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       # taz.de -- Anschlag von Hanau: Ermittlungen zu nicht erreichbarem Notruf erneut eingestellt
       
       > Beim Hanau-Anschlag war der Notruf kaum zu erreichen, die
       > Staatsanwaltschaft aber lehnt neue Ermittlungen dazu ab. Betroffene
       > kündigen Beschwerde an.
       
   IMG Bild: Sein Vater erhebt schwere Vorwürfe gegen die Polizei: das Hanau-Mordopfer Vili-Viorel Păun, hier auf einem Graffiti
       
       Frankfurt taz | Die Staatsanwaltschaft Hanau hat die Ermittlungen wegen
       [1][des kaum erreichbaren Notrufs während des rassistischen Anschlags am
       19. Februar 2020] erneut eingestellt. Das teilte die Staatsanwaltschaft am
       Montag mit. Es sei kein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten
       festgestellt worden, das für eine Anklageerhebung gegen die beschuldigten
       Polizeibeamten oder andere Beteiligte ausreichen würde.
       
       Am vergangenen Dienstag hatte der Vater des bei dem Anschlag erschossenen
       Vili-Viorel Păun, Niculescu Păun, [2][Strafanzeige bei der
       Staatsanwaltschaft Hanau] gestellt, wegen des Vorwurfs der fahrlässigen
       Tötung. Die Anzeige richtete sich unter anderem gegen den damals
       zuständigen Polizeipräsidenten des Polizeipräsidiums Südosthessen, Roland
       Ullmann, den damaligen Leiter der Polizeidirektion Main-Kinzig, Jürgen
       Fehler, sowie den Leiter der Abteilung Einsatz, Claus S.
       
       In der Nacht vom 19. Februar 2020 hatte ein rassistischer Attentäter zuerst
       drei Menschen [3][in zwei Bars am Hanauer Heumarkt erschossen und auch auf
       Păuns Auto gefeuert], war dann mit seinem eigenen Pkw davongerast. Păun
       nahm die Verfolgung auf und versuchte dabei fünfmal, die Polizei zu
       erreichen, wobei er sich zweimal vertippte. Doch [4][kein Anruf kam durch].
       Als der Attentäter schließlich im Stadtteil Kesselstadt anhielt, erschoss
       er Păun in dessen Auto – und danach noch fünf weitere Menschen.
       
       Die Anzeige des Vaters von Păun warf Roland Ullmann, Jürgen Fehler und
       Claus S. vor, von dem nur eingeschränkt funktionierenden Notruf gewusst,
       aber nichts dagegen unternommen zu haben. Anders als die Behörden bisher
       behaupten, gebe es zudem sehr wohl eine Kausalität durch den nicht
       erreichbaren Notruf. Păuns Anwalt hatte dafür eigens frühere
       Arbeitskollegen von Vili-Viorel Păun zu dessen Charakter befragt: Alle
       beteuerten, dass dieser kein Draufgänger gewesen sei und in jedem Fall
       einer Polizeianweisung gefolgt wäre, dem Täter nicht weiter
       hinterherzufahren – wenn er denn die Wache erreicht hätte. Der Anwalt
       skizzierte dazu auch ein hypothetisches Gesprächsprotokoll. Wäre dies
       geschehen, wäre Păun „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit noch
       am Leben“.
       
       ## Notruf-Problem seit 2004 bekannt
       
       Die Hanauer Staatsanwaltschaft sieht aber genau diese Kausalität nicht. Es
       lasse sich weiterhin „keine gesicherte Aussage“ dazu treffen, ob Păun
       wirklich den Attentäter nicht weiter verfolgt oder einen Sicherheitsabstand
       eingehalten hätte, hätte er die Polizei erreicht, heißt es in der
       Einstellungserklärung. Denn bereits am ersten Tatort habe der Täter ja auf
       Păun geschossen – der damals 22-Jährige habe die Gefahr also gesehen und
       dennoch die Verfolgung aufgenommen. Diesen Punkt habe auch die neue Anzeige
       „nicht erschüttern“ können, so die Staatsanwaltschaft. Auch weitere
       Ermittlungen würden einen hinreichenden Tatverdacht „nicht fundieren“.
       
       Die Anzeige von Păuns Vater wiederum verwies auf die versuchten Anrufe
       seines Sohns bei der Polizei, die beweisen würden, dass Vili-Viorel Păun
       eben nicht die Sache allein klären wollte. Der Anwalt von Niculescu Păun
       hatte bereits in seinem Schriftsatz betont, dass eine Einstellung der
       Ermittlungen für den Vater „unerträglich“ wäre. Ein Sprecher der Initiative
       19. Februar, in der sich Niculescu Păun und weitere Betroffene des
       Anschlags engagieren, sagte der taz, der Vater werde Beschwerde gegen die
       Einstellung einlegen.
       
       Bereits frühere Entscheidungen der Staatsanwaltschaft Hanau und der
       Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt/Main aus den Jahren 2021 und 2022
       hatten indes festgestellt, dass keine hinreichende Kausalität zwischen
       einem möglichen Organisationsverschulden und dem Tod des Opfers vorliege.
       
       ## Schon lange Warnungen vor defektem Notruf
       
       Zuletzt hatte die [5][Frankfurter Rundschau] berichtet, dass Hanauer
       Polizist*innen von der Landespolizei spätestens ab 2004 wiederholt
       Verbesserungen bei ihrem Notruf gefordert hatten. Auch die hessische
       Polizei diskutierte bereits 2017 über die Einführung eines „Alarmbuttons“
       zur Verbesserung des Notrufsystems, setzte diese Maßnahme jedoch erst nach
       dem rassistischen Anschlag in Hanau 2020 um. Die Alarmfunktion sollte dafür
       sorgen, dass Notrufe im Fall eines Terroranschlags nicht erst nach einer
       Minute in der Warteschleife an eine Partnerleitstelle weitergeleitet
       würden, sondern sofort.
       
       Auf Anfrage der taz teilte das Polizeipräsidium Südosthessen mit, dass
       Hanau zum Zeitpunkt des Anschlags „aufgrund der bekannten
       räumlich/technischen Einschränkungen von den genannten Maßnahmen
       ausgenommen“ war und „noch über dezentrale Notrufabfragestellen auf Basis
       von ISDN“ verfügte. Mit dieser Technik sei die Realisierung eines
       Notrufüberlaufs nicht möglich gewesen. Heute seien alle hessischen
       Polizeipräsidien modernisiert und „verfügen über die beschriebenen
       technischen Funktionalitäten“.
       
       Der hessische Innenminister Roman Poseck (CDU) hatte sich im vergangenen
       Jahr bei den Angehörigen und Überlebenden von Hanau entschuldigt. „Eine
       Entschuldigung allein reicht nicht – es braucht Konsequenzen“, forderte
       Hagen Kopp von der Initiative 19. Februar in der vergangenen Woche. „Es ist
       die letzte Möglichkeit in dieser Kette des Versagens, juristisch aktiv zu
       werden.“
       
       Mit den eingestellten Ermittlungen droht nun die Verjährung für eine
       strafrechtliche Verfolgung: Diese tritt fünf Jahre nach der Tat ein, also
       am 19. Februar 2025. Würden indes neue Ermittlungen aufgenommen, würde
       diese Frist um weitere fünf Jahre verlängert.
       
       14 Jan 2025
       
       ## LINKS
       
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   DIR [3] /Ein-Jahr-nach-Hanau/!5748572
   DIR [4] https://kein-abschlussbericht.org/aufklaerung/analysen-texte/notruf/
   DIR [5] https://www.fr.de/rhein-main/main-kinzig-kreis/hanau-ort66348/notruf-loesung-jahrelang-nicht-umgesetzt-93497121.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Yağmur Ekim Çay
   DIR Konrad Litschko
       
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