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       # taz.de -- Ausbeutung bei der Deutschen Post: Der Weihnachtsmann hat ausgedient
       
       > Für das Weihnachtsgeschäft wirbt DHL ausländische Arbeitskräfte an und
       > serviert sie danach wieder ab. Von falschen Versprechen, Druck und
       > Kakerlaken.
       
   IMG Bild: Der Stress für Zusteller*innen in der Vorweihnachtszeit ist immens
       
       Hamburg taz | „Fairness. Sicherheit. Verbindlichkeit.“ – Mit diesem Slogan
       wirbt die Firma ESG Solutions Arbeitskräfte für die Deutsche Post DHL Group
       an – besonders vor dem Weihnachtsgeschäft. Doch Fairness, Sicherheit und
       Verbindlichkeit sind genau das Gegenteil von dem, was die
       Saisonarbeitskräfte bei DHL erfahren – so legen es Berichte der
       Arbeiter*innen gegenüber der taz da.
       
       „Sie behandeln uns, als wären wir dumm oder würden kein Recht und Gesetz
       kennen“, sagt Ana Da Cruz, eine ehemalige DHL-Mitarbeiterin aus Brasilien,
       die zuletzt in Portugal gelebt hatte. Über eine portugiesische Website für
       Jobinserate war sie auf die Anzeige von ESG gestoßen, die [1][für einen Job
       als Paketbotin in Hamburg] warb. Da Cruz bewarb sich und wurde genommen,
       sie brachte sogar noch fünf Bekannte aus Portugal mit.
       
       Am 2. Juli begannen sie den Vollzeitjob, unbefristet, mit einer Probezeit
       von sechs Monaten. Man habe ihr in Aussicht gestellt, dass sie langfristig
       dort arbeiten könne, wenn sie gute Arbeit leisten würde, sagt Da Cruz. Auch
       könnte sie verantwortungsvollere Aufgaben übernehmen und einen Deutschkurs
       an der posteigenen Akademie machen, sei ihr gesagt worden.
       
       Nichts davon wurde eingelöst – stattdessen habe die Firma extremen Druck
       auf die Arbeitskräfte ausgeübt. „Wenn man nicht völlig außer Gefecht
       gesetzt ist, soll man auch mit einer Verletzung oder Krankheit arbeiten“,
       sagt Da Cruz. Eine portugiesische Kollegin etwa sei bei der Arbeit von
       einem Hund gebissen worden. Als sie am nächsten Tag zu ihrer Vorgesetzten
       gegangen sei, um den Vorfall zu berichten und sich krank zu melden, habe
       man ihr gesagt „Kannst du laufen? Dann kannst du auch arbeiten!“
       
       ## Zweieinhalbmal so viele Pakete wie normal
       
       Vor allem kurz vor Weihnachten ist die Arbeitsbelastung für
       Paketzusteller*innen extrem. Die tägliche Paketanzahl steige um das
       Zweieinhalbfache, berichtet der Hamburger Betriebsratsvorsitzende der
       Deutschen Post, Ingo Freund. Festangestellte verzichteten in der Zeit auf
       freie Tage und leisteten viele Überstunden. Weil man den Kolleg*innen
       aber keine unendliche Mehrbelastung zumuten könne, [2][setze die Post eben
       auf die Saisonarbeiter*innen], die durch Agenturen aus dem Ausland
       geholt würden. „Da mag nicht immer alles so laufen, wie man es sich
       vorstellt“, sagt Freund. Auch in normalen Zeiten sei der Job ein hartes
       Geschäft.
       
       Während ihres Arbeitsverhältnisses sind die ausländischen Arbeitskräfte
       über DHL gesetzlich krankenversichert – haben aber laut Berichten keinen
       Zugriff auf entsprechende Nachweise der Krankenkasse. DHL bestreitet das
       auf Nachfrage. „Informationen zur Krankenversicherung sind jederzeit
       einsehbar“, schreibt DHL-Sprecher Tobias Buchwald der taz. „Auch in Zeiten
       mit besonders hohem Sendungsaufkommen stehen die Sicherheit und das
       Wohlergehen unserer Kolleginnen und Kollegen an erster Stelle.“
       
       Das Gefühl hatte Ana Da Cruz nicht: Kurz vor dem regulären Ende ihres
       Arbeitsverhältnisses habe sie einen Anruf von ihrem Vorgesetzten erhalten.
       „Wir würden dich gern behalten, du machst gute Arbeit“, habe man ihr gesagt
       –, „aber leider warst du zwei Mal krank.“ Ob das Arbeitsverhältnis nun
       verlängert werden würde oder nicht, sei dabei nicht klar geworden, sagt Da
       Cruz. „Ich hatte das Gefühl, sie wollten nur Druck aufbauen, damit ich mich
       nicht noch mal krank melde“, sagt Da Cruz.
       
       Drei Tage vor Weihnachten seien sie und zwei andere Kolleg*innen erneut
       von den Vorgesetzten kontaktiert worden – sie müssten sich zum ersten
       Januar eine neue Unterkunft suchen, oder ab sofort den doppelten Preis für
       das Hostel bezahlen. Die DHL Group hat eine Kooperation mit einem Hostel
       in Hamburg-Billstedt, an der bezeichnenden Adresse „Letzter Heller 11“. Der
       Betriebsratsvorsitzende Ingo Freund bestätigt, dass von dort viele
       Beschwerden über die Unterkunft kämen.
       
       ## Wanzen, Schaben und Wasser im Keller
       
       Der taz liegen Berichte und Videos einer anderen DHL-Saisonarbeiterin vor,
       die Bettwanzen und einen überschwemmten Wäschekeller zeigen, außerdem
       Küchenschaben und einen extrem dreckigen Kühlschrank. Eine Nacht habe sie
       aus Ekel vor den Bettwanzen im Badezimmer geschlafen, berichtet eine
       Kollegin.
       
       DHL subventioniert die Unterkunft für die [3][dort untergebrachten
       Saisonarbeiter*innen]. Während der normale Preis 705 Euro pro Monat
       für ein Bett im Dreibettzimmer beträgt, zahlen die DHL-Arbeiter*innen
       lediglich 350 Euro – zumindest einige, darunter auch Ana Da Cruz. Dass die
       Subvention kurz vor Weihnachten plötzlich enden sollte, während noch nicht
       klar war, ob der Vertrag verlängert werden würde, habe sie massiv unter
       Druck gesetzt, sagt die Brasilianerin. Sie habe nicht nur Angst vor dem
       Jobverlust, sondern auch vor der Obdachlosigkeit gehabt.
       
       Vier Tage vor Silvester habe DHL die Drohung zurückgenommen und die
       Subvention noch bis zum 15. Januar bezahlt. Ebenfalls teilte man ihr mit,
       dass das Arbeitsverhältnis binnen zwei Wochen, am 13. Januar enden würde.
       „Ein Einzelfall“, sagt DHL-Sprecher Buchwald. „Sofern möglich beschäftigen
       wir Kolleginnen und Kollegen, die für das Weihnachtsgeschäft eingestellt
       werden, darüber hinaus weiter.“ In diesem Fall sei die Arbeitsleistung
       ungenügend gewesen, deshalb habe man mit Ablauf der Probezeit gekündigt –
       das Hostel aber sogar noch zwei Tage länger anteilig bezahlt.
       
       Der Betriebsratsvorsitzende schildert die grundsätzliche Situation etwas
       anders: Sicher würden jedes Jahr ein paar Kolleg*innen aus dem
       Weihnachtsgeschäft übernommen, schließlich gehe auch ab und an jemand in
       Rente. Doch der Konkurrenzdruck sei extrem hoch und die Kommunikation
       vermutlich nicht immer klar. Ein Mitarbeiter, der anonym bleiben möchte,
       formuliert es deutlicher: „Den Kolleginnen und Kollegen werden
       Versprechungen gemacht, aber die allermeisten werden nach dem
       Weihnachtsgeschäft eiskalt abserviert. Das ist eine extrem rücksichtslose
       Personalpolitik.“
       
       Ana Da Cruz will nicht lange arbeitslos bleiben, schließlich habe sie
       Verpflichtungen gegenüber ihrem zehnjährigen Sohn und ihrer restlichen
       Familie in Brasilien. Sie hat schon den nächsten Job gefunden – leider
       [4][bei Amazon].
       
       15 Jan 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Katharina Schipkowski
       
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