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       # taz.de -- Protest gegen AfD-Parteitag in Riesa: Demosanitäter landet im Krankenhaus
       
       > In Riesa wurde auch AfD-Chefin Alice Weidel blockiert. Die Polizei räumte
       > die Straße, dabei wurde ein Demosani verletzt. So erlebte er die
       > Situation.
       
   IMG Bild: Riesa, 1. Januar: Polizisten beim Einsatz aus Anlass des Bundesparteitags der AfD
       
       Leipzig taz | Sein Bauch schmerze immer noch, sagt Jens Becker, da ist der
       Vorfall schon mehr als vier Tage her. Am vergangenen Samstag war er in
       Riesa, um verletzte Demonstrant:innen beim [1][Protest gegen den
       AfD-Bundesparteitag] zu versorgen. Doch noch vor der Mittagszeit landete
       Becker selbst in der nahegelegenen Elblandklinik. Nachdem das Auto von
       Alice Weidel zum Stehen gekommen war, habe ihm eine Polizistin das Knie in
       den Bauch gerammt, erzählt der 20-jährige Jens Becker der taz am Telefon.
       Eigentlich heißt er anders, möchte aber anonym bleiben.
       
       Wegen seiner starken Schmerzen transportierte ihn kurz darauf ein
       Rettungswagen ab. Untersuchungen mit Ultraschall und Computertomographie
       ergaben: Beckers Milz war verformt und ein gefährlicher Riss nicht
       auszuschließen. Der Befund liegt der taz vor. Um sicherzugehen, behielten
       die Ärzt:innen ihn bis zum Sonntag um 14 Uhr zur Beobachtung auf der
       Station. Da sich sein Zustand verbesserte, durfte er gehen. Mittlerweile
       hat er einen Anwalt kontaktiert, um gegen die am Einsatz beteiligten
       Polizeibeamten zu klagen.
       
       In den Tagen nach den Protesten gegen den AfD-Bundesparteitag mehren sich
       die Klagen über die Polizei. Organisator:innen und
       Beobachter:innen werfen den Beamten übermäßige Härte vor.
       Deutschlandweit berichten [2][Medien über Polizeigewalt.]
       
       Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) hielt dem entgegen, die Polizei
       habe in „hitzigen Situationen“ mit robustem Handeln Ordnung durchgesetzt.
       Die zuständige Polizeidirektion Dresden verbucht den Einsatz zumindest als
       Erfolg. Sie habe den Protest in Sicht- und Hörweite ermöglicht und
       gleichzeitig die Anreise der Parteitagsdelegierten abgesichert.
       
       Allerdings ermittelt genau diese Polizeidirektion gegen einen Beamten aus
       Niedersachsen wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt, weil er
       mutmaßlich den [3][Landtagsabgeordneten Nam Duy Nguyen] (Linke)
       niederschlug, der als parlamentarischer Beobachter die Proteste begleitete.
       Die Zentrale Polizeidirektion Niedersachsen teilte dazu am Donnerstag mit,
       dass sie die beteiligten Beamten identifizieren könne und die Namen an die
       Ermittler:innen in Dresden weitergeleitet habe.
       
       Fälle wie dieser sowie auch der verletzte Demosanitäter Jens Becker werfen
       die Frage auf: War das Vorgehen verhältnismäßig?
       
       ## Mit Pfefferspray und Schlagstöcken
       
       Als am Samstag ein paar Minuten nach 10 Uhr zwei schwarze Audis mit
       Blaulicht und Polizeieskorte von einer Kreuzung in die Straße An der
       Klosterkirche im Osten Riesas einbogen, beobachtete Jens Becker vom Rand,
       wie sich ihnen mehrere Dutzend Aktivist:innen in den Weg stellten. In
       einem der Autos saß die [4][AfD-Vorsitzende Alice Weidel]. Sie war auf dem
       Weg zum Parteitag und schon spät dran: Der Beginn war um Punkt zehn
       geplant.
       
       Bereits vor dem Wochenende hatte das [5][bundesweite Bündnis Widersetzen]
       öffentlich aufgerufen, Zufahrten zum Veranstaltungsort der AfD mit zivilem
       Ungehorsam zu blockieren. Genau das versuchten die Aktivist:innen
       offenbar, wie Videos zeigen und Zeug:innen berichten, und setzten sich
       vor die Autos auf die Fahrbahn. Die wenigen Einsatzkräfte der sächsischen
       Bereitschaftspolizei, die zuvor die MLPD-Kundgebung an der Kreuzung
       begleiteten, konnten sie nicht daran hindern.
       
       Aus dem hinteren der beiden Audis stiegen unvermittelt Beamte des
       Bundeskriminalamts (BKA) in schwarzen Anzügen aus. Ihr Auftrag: Weidel
       schützen. Dazu gehöre, erklärt ein Sprecher des BKA im Nachgang, die freie
       Ausübung des Mandates der Bundestagsabgeordneten Weidel sicherzustellen –
       auch ihre Teilnahme am Bundesparteitag. „Frau Weidel war im Fahrzeug an der
       Weiterfahrt in alle Richtungen gehindert“, sagte der Sprecher. Um ihre
       Bewegungsfreiheit zu gewährleisten, hätten die eingesetzten
       Polizist:innen des BKA auch Mittel des unmittelbaren Zwangs angedroht
       und eingesetzt, wie es das Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung
       öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes vorschreibe.
       
       Was das in der Praxis heißt? Auf Videos ist zu sehen, wie die Beamten mit
       erhobenen Schlagstöcken den Aktivist:innen brüllend befahlen, sich von
       den Autos zu entfernen. Sie sprühten Pfefferspray, zerrten, schubsten,
       schlugen und traten. Die Aktivist:innen skandierten: „Wir sind
       friedlich, was seid ihr?“. Zwei lehnten sich kurz gegen den Kühlergrill des
       vorderen Audis, andere blieben mit tränenden Augen und hustend auf dem
       Boden liegen.
       
       Während ein Teil der uniformierten Beamten unbehelmt die Straße sicherte,
       unterstützte ein anderer Teil die BKA-Personenschützer:innen und setzten
       unangekündigt Reizgas gegen die Aktivist:innen ein. Mehrfach stiegen
       die Personenschützer:innen des hinteren Audis wieder in ihren Wagen
       und dann doch wieder aus, um den Einsatz tonangebend und tatkräftig
       fortzuführen. Ein koordiniertes, zielgerichtetes Vorgehen, lässt sich auf
       den Videos davon nicht erkennen.
       
       Vor dem Wochenende hatte die Polizei verkündet: Legitimer Protest stoße an
       seine Grenzen, wo er verhindere, dass andere ihre Grundrechte ausüben
       können. Sollte das vorkommen, werden die Beamten konsequent handeln. Die
       Leipziger Anwältin Anna-Maria Müller, die die Proteste in Riesa beobachtend
       begleitete, betont allerdings, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sei kein
       „demokratischer Luxus, der in ‚dynamischen Einsatzlagen‘ dem polizeilichen
       Auftrag und Selbstbild handlungsfähiger Autorität zu weichen hat“. Die
       Frage, ob Gewalt zulässig und das mildeste Mittel zur Erfüllung der
       polizeilichen Aufgabe war, „schien sich bei dem Polizeieinsatz eher nur
       ausnahmsweise zu stellen“, kritisiert Müller.
       
       ## Mit dem Knie in den Bauch
       
       Auch Jens Becker erschreckte das Vorgehen der Beamten in Riesa. Nachdem er
       am Samstag in der Straße An der Klosterkirche die ersten Verletzungen
       wahrgenommen habe, sei er auf mehrere Polizeibeamte zugegangen und habe um
       Durchlass gebeten: „Ich würde gerne die Leute versorgen“. Er trug eine rote
       Weste mit der Aufschrift „Medizinische Versorgung“ und eine große orange
       Tasche, gefüllt mit Augenduschen und Verbandszeug. Der 20-Jährige macht
       derzeit eine Ausbildung zum Pflegefachmann, ist Mitglied beim Deutschen
       Roten Kreuz und begleite seit 2022 politische Versammlungen als
       freiwilliger Demosanitäter.
       
       In Riesa ließ die Polizei Jens Becker jedoch nicht einfach durch.
       Stattdessen stieß ihm eine Polizistin in Uniform ihr Knie in den Bauch, so
       erzählt er es. Erst als er wiederholt betonte, eine neutrale Person zu
       sein, die sich um medizinische Versorgung kümmere, durfte er zu den
       Verletzten.
       
       In Videos ist zu sehen, wie Becker danach von einer Stelle zur nächsten
       eilte, Hilfe anbot, Augen ausspülte und desorientierte Personen zur Seite
       nahm. Elf Verletzte habe er behandelt, erzählt er der taz: durch
       Pfefferspray gereizte Augen, eine Platzwunde, abgeschürfte Haut. Für zwei
       Personen rief er einen Rettungswagen, ihre Augen seien vom Pfefferspray so
       verklebt gewesen, dass seine Spülung nicht gereicht habe. Er selbst habe in
       der Zwischenzeit zunehmende Schmerzen im Bauchraum entwickelt und ebenfalls
       Pfefferspray abbekommen.
       
       Währenddessen räumte die Polizei weiter mit großem Tumult die beiden
       Blockaden vor den Autos. Der Einsatz dauerte nur wenige Minuten, dann
       konnte der Konvoi um Weidel weiterfahren. Zurück blieben verwunderte
       Aktivist:innen, sächsische Polizist:innen, die sich sammeln mussten und
       mehr als ein Dutzend verletzte.
       
       Jens Becker ging es sichtlich schlechter, berichten Zeugen später der taz.
       Wegen des Pfeffersprays litt der Demosanitäter unter Atemnot und seine
       Bauchschmerzen nahmen weiter zu. Doch erst als Becker gefragt wurde, ob er
       Hilfe brauche, ging er zum Rettungswagen. Weil die Rettungskräfte keine
       inneren Blutungen ausschließen konnten, fuhren sie den Demosani in die
       nahegelegene Elblandklinik. Für ihn endete der Einsatz an diesem Tag.
       
       Aus der Polizeidirektion Dresden hieß es auf Anfrage der taz, sie habe noch
       keine Kenntnis vom Fall des Demosanitäters. Die Arbeit von solchen sei der
       Polizei zwar bekannt, aber sie bewerte diese nicht und es gebe auch keine
       Vorgaben im Umgang mit ihnen.
       
       Allerdings dauert die Auswertung des Großeinsatzes noch an. Insgesamt waren
       am Samstag in Riesa etwa 4.000 Polizist:innen aus 12 Bundesländern im
       Einsatz. Sie leiteten inzwischen 70 Ermittlungsverfahren ein, unter anderem
       wegen Körperverletzung, tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte und
       Nötigung. Zwei Personen wurden vorläufig festgenommen. Inwieweit danach
       durch die Polizei Verletzte versorgt wurden, beantworteten die
       Polizeidirektion Dresden und das BKA nicht.
       
       Bislang richten sich die Ermittlungen neben dem mutmaßlich durch einen
       Polizeibeamten niedergeschlagenen Linken-Abgeordneten noch gegen einen
       weiteren Polizisten. Ein 35-jähriger sächsischer Beamter hatte am Samstag
       seinen Polizeihund auf einen Aktivisten geworfen und dabei „Fass!“ gerufen.
       Er steht unter dem Verdacht der versuchten Körperverletzung im Amt sowie
       der Sachbeschädigung und des Verstoßens gegen das Tierschutzgesetz.
       
       Auch wenn Jens Becker den Einsatz am Samstag als erschreckend empfand,
       wolle er auf jeden Fall weiter als Demosanitäter arbeiten: „Es ist einfach
       wichtig, dass jemand für die medizinische Sicherheit bereitsteht.“
       
       17 Jan 2025
       
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