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       # taz.de -- Vorwürfe gegen Stefan Gelbhaar: Wie „House of Cards“ in der Berliner Landespolitik
       
       > Die jüngste Entwicklung bei den Belästigungsvorwürfen gegen
       > Grünen-Bundestagsmitglied Stefan Gelbhaar erinnert an Intrigen aus der
       > US-Politserie.
       
   IMG Bild: Fünf Wochen vor der Bundestagswahl stehen die Grünen in der Kritik, Gelbhaar wegen unbewiesener Vorwürfe fallen gelassen zu haben
       
       Vorab: Es könnte immer noch sein, dass verbliebene Vorwürfe gegen den
       Grünen-Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar wegen Belästigung sich
       bewahrheiten oder noch andere zutage kommen. Aktuell aber, auf der Basis
       des bis Sonntag bekannt Gewordenen deutet sich an: Hier wurden Ruf,
       Unschuldsvermutung und politische Zukunft eines Mannes Parteizielen
       untergeordnet, hier fiel in einem gravierenden Fall journalistische
       Sorgfalt unter den Tisch.
       
       [1][Was jetzt zutage gekommen ist], wirkt wie eine „House of Cards“-Folge
       in der Berliner Landespolitik statt in Washington: Eine eidesstattliche
       Versicherung einer Frau, die nun nach Darstellung des RBB gar nicht war,
       wer sie zu sein vorgab. Aber eben auch ein Rundfunksender, der angesichts
       der Schwere der Vorwürfe besonders hätte prüfen müssen, wer da mit ihm
       redete.
       
       So ist auf schlechte Weise weitergegangen, was schon am Anfang der
       vermeintlichen Affäre Gelbhaar Mitte Dezember skeptisch machte. Warum kamen
       die anonymen Vorwürfe gegen ihn ausgerechnet wenige Tage vor dem Parteitag
       zur Kandidatenliste für die Bundestagswahl am 23. Februar?
       
       Dass Frauen nicht stets direkt, sondern auch mit zeitlichem Abstand von
       Übergriffen berichten, ist aus vielen Gründen nachvollziehbar und steht
       hier nicht infrage. Aber warum gerade vor einer politischen Entscheidung
       und dann geballt, wie koordiniert wirkend, von mehreren?
       
       ## Kafkeske Situation
       
       So kurz vor knapp und ohne konkrete Information kamen die Vorwürfe, dass
       dem Beschuldigten keine Zeit blieb, sie vor dem Parteitag zu entkräften zu
       versuchen. Erst gegen Jahresende, als, wie Gelbhaar es darstellt,
       Journalisten – und nicht etwa die Ombudsstelle der Partei – ihn mit
       konkreten Vorwürfen konfrontierten, konnte er kontern, indem er Zeitabläufe
       rekonstruierte.
       
       Gelbhaar hat [2][in einem Interview] von einer „kafkaesken Situation“
       gesprochen. Tatsächlich muss er sich vorgekommen sein wie der Herr K. in
       Kafkas „Prozess“. Er wurde zwar nicht festgenommen wie der dortige
       Protagonist, von dem es heißt, jemand müsse ihn „verleumdet haben, denn
       ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet“.
       Aber es stellt sich schon die Frage nach der Rolle der Grünen-Ombudsstelle.
       Denn die stellt keine neutrale Instanz dar. „Die Perspektive der
       Betroffenen ist für uns handlungsleitend“, heißt es in der
       Selbstbeschreibung.
       
       Fünf Wochen sind vergangen, seit Gelbhaar per Mail an Journalisten
       informierte, dass es Vorwürfe gegen ihn gebe, und dabei diese Ombudsstelle
       erwähnte. Für die Landesliste der Grünen trat er da schon nicht mehr an.
       Absehbar war, dass man ihn drängen würde, auch seine Direktkandidatur
       aufzugeben: Es wäre also Eile geboten gewesen, um vor weiteren
       Parteientscheidungen öffentlich zu erklären, ob die Vorwürfe stimmten oder
       nicht. Doch das passierte nicht.
       
       Nicht nur die CDU auf Bundesebene, auch die Spitze der Berliner SPD
       kritisierte die Vorgänge: Sie sieht „grundlegende Fehlstrukturen der grünen
       Parteiverfahren“. Die Partei von Kanzlerkandidat Robert Habeck habe ein
       Bundestagsmitglied „aussortiert, ohne die im Raum stehenden Vorwürfe
       rechtsstaatlich zu untersuchen“.
       
       ## Unschuldsvermutung stand zurück
       
       Als ob das nicht alles schon schlimm genug wäre, bricht der
       öffentlich-rechtlich RBB mit dem Grundsatz von Nachrichtenagentur-Gründer
       Reuter: „Be first, but first be right.“ Ja, alle Journalisten machen mal
       Fehler, den Schreiber diesr Zeilen eingeschlossen. Aber bei so gravierenden
       Vorwürfen offenbar nicht genau zu überprüfen, wer da eine eidesstattliche
       Versicherung abgibt, das ist grob fahrlässig.
       
       Es ist auch eine Abkehr von früher Üblichem: Als ein befreundeter
       Journalist vor 30 Jahren mit seinem Text in der Dokumentation des Stern saß
       für das, was heute fact checking heißt, bat der Dokumentar als Erstes um
       den Personalausweis – wie solle er sonst wissen, ob das mit der
       Autorenzeile stimme?
       
       Die taz hinterfragte vor zehn Tagen, ob die Unschuldsvermutung dem Schutz
       der Partei zu opfern sei, wie es die Grünen in Pankow mehrheitlich und mit
       Rückendeckung von Landes- und Bundesvorsitzenden taten. Der Text endete:
       Wenn sich die Vorwürfe nicht erhärten, „dann haben die Grünen Stefan
       Gelbhaar gegenüber einiges wiedergutzumachen.“ Jetzt ist es so weit.
       
       19 Jan 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Vorwuerfe-gegen-Gruenen-Politiker/!6059812
   DIR [2] https://www.businessinsider.de/politik/deutschland/schweren-vorwuerfen-gruenen-bundestagsabgeordneter-gelbhaar-haben-sie-frauen-belaestigt/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Alberti
       
       ## TAGS
       
   DIR Stefan Gelbhaar
   DIR Grüne Berlin
   DIR Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
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