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       # taz.de -- Nach Attacken auf Rechtsextreme: Sieben gesuchte Linke stellen sich
       
       > Seit zwei Jahren waren neun deutsche Linke abgetaucht, die in Budapest
       > Neonazis attackiert haben sollen. Nun haben sich sieben der Polizei
       > gestellt.
       
   IMG Bild: Demonstrierende fordern im Juli 2024 in Leipzig die Freiheit für die in Budapest Gesuchten
       
       Berlin taz | Seit zwei Jahren waren neun deutsche Linke abgetaucht, die
       [1][an schweren Angriffen auf Rechtsextreme in Budapest beteiligt gewesen
       sein] sollen. Die Neonazis hatten sich dort im Februar 2023 zum „Tag der
       Ehre“ getroffen, einem europaweiten Szenetreffen, auf dem der Wehrmacht und
       SS gehuldigt wird. Ungarische und deutsche Behörden hatten seitdem
       erfolglos nach den neun gefahndet. Bis zum Montag: Da stellten sich sieben
       der Gesuchten der Polizei in Deutschland.
       
       Nach taz-Informationen stellten sich je zwei Gesuchte in Kiel, Bremen und
       Köln, eine weitere in Hamm. Der Schritt erfolge freiwillig, teilten ihre
       Anwält*innen mit. Gegen die Vorwürfe wollten sich ihre Mandant*innen
       in Deutschland verteidigen. In Ungarn, wohin ihnen eine Auslieferung droht,
       stehe dagegen eine „überlange Haftstrafe von bis zu 24 Jahren“ im Raum, in
       einem Strafverfahren, das „rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht genügt“.
       Auch die Haftbedingungen in Ungarn seien „menschenunwürdig“.
       
       Eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft wollte sich zu dem Vorgang vorerst
       nicht äußern. Bereits am Montagabend aber sollten erste Haftvorführungen
       vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe erfolgen.
       
       Die Gesuchten sind junge Linke, die vor dem Abtauchen in Sachsen und
       Thüringen lebten, 21 bis 27 Jahre alt. Die Behörden rechnen sie der
       autonomen Szene zu. Ihnen wird die Bildung einer kriminellen Vereinigung
       und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Die Ermittler suchten sie mit
       einigem Aufwand: Angehörige wurden befragt, Familienfeste beschattet,
       Telefone abgehört.
       
       Eine Auslieferung nach Ungarn steht für die sieben aber weiter im Raum.
       Eine zehnte gesuchte Person, [2][die nonbinäre Thüringer*in Maja T.],
       die bereits im Dezember 2023 in Berlin gefasst wurde, war nach einer
       Entscheidung des Berliner Kammergerichts bereits im Juni in einer
       nächtlichen Blitzaktion nach Ungarn ausgeliefert worden – ohne die
       Entscheidung über eine Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht
       abzuwarten. Das untersagte eine Auslieferung später tatsächlich. Da war
       Maja T. aber schon in Ungarn.
       
       ## Bundesanwaltschaft lehnte Gespräche ab
       
       Die anderen Gesuchten hatten sich bereits vor Monaten an die
       Bundesanwaltschaft gewandt und [3][angeboten, sich zu stellen, sollte ihnen
       zugesichert werden, nicht nach Ungarn ausgeliefert zu werden]. Laut ihren
       Anwält*innen hatte die Bundesanwaltschaft ein Gespräch darüber
       wiederholt abgelehnt. Die Behörde mache deutlich, „dass sie die
       abschreckende Wirkung jahrelanger Untersuchungshaft in Ungarn und maßloser
       ungarischer Verurteilungen will“, kritisierten sie am Montag. Sie habe
       „jegliches Augenmaß verloren“. Nun stellen sich die Gesuchten trotzdem.
       Zwei der Gesuchten bleiben dagegen weiter abgetaucht.
       
       Auf einer Pressekonferenz in Berlin erklärten drei Mütter der bisher
       Gesuchten, dass sich ihre Kinder stellten, zeige „ihren Willen zur
       Deeskalation“. Dies widerlege auch Vorwürfe, dass eine „Radikalisierung im
       Untergrund“ stattfinde – [4][wie es etwa Sachsens Innenminister Armin
       Schuster (CDU) behauptet hatte]. Man habe von dem Schritt erst über die
       Anwält*innen erfahren und sei sowohl erleichtert als auch in Sorge. Sie
       erwarteten nun, dass es zu keiner Auslieferung nach Ungarn komme und
       setzten auf faire Verfahren in Deutschland, so die Mütter. Auch eine
       Untersuchungshaft sei zu unterlassen, da keine Fluchtgefahr bestehe. Dass
       zwei der Gesuchten sich nicht stellten, sei „angesichts der fehlenden
       Zusicherung für ein Verfahren in Deutschland nicht verwunderlich“.
       
       Ein Unterstützer*innen-Bündnis der Gesuchten erklärte, der Schritt, sich zu
       stellen, sei „weder als Schwäche der Beschuldigten noch als Kapitulation
       vor den Ermittlungsbehörden zu verstehen“. Auch die Entscheidung „in den
       Knast zu gehen, kann eine politische sein“. Man drücke weiter „vollste
       Solidarität“ aus.
       
       Der frühere Linksparteichef und Europaabgeordnete Martin Schirdewan
       forderte, deutsche Behörden müssten nun zusichern, dass es keine
       Auslieferungen nach Budapest geben wird. Rechtstaatliche Verfahren für
       deutsche Antifaschisten könnten nicht in Ungarn stattfinden. Es brauche
       einen europaweiten Auslieferungsstopp in das von Viktor Orbán autoritär
       geführte Ungarn und eine Rücküberstellung von Maja T. nach Deutschland.
       Auch der Grünen-Rechtspolitiker Helge Limburg sagte der taz, „das
       skandalöse Vorgehen um die Auslieferung von Maja darf sich nicht
       wiederholen“. In Ungarn sei kein faires Verfahren garantiert, [5][wie etwa
       ein ihm verweigerter Haftbesuch zeige].
       
       Die Thüringer Linken-Abgeordnete Katharina König-Preuß, aus deren
       Bundesland einige der Gesuchten kommen, forderte ebenso die deutschen
       Behörden auf, „alle Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass erneut
       Antifaschist*innen aus Deutschland nach Ungarn ausgeliefert werden“.
       Mit der Selbststellung der Gesuchten müsse diesen ein Verfahren in
       Deutschland ermöglicht werden. In Ungarn seien ein rechtstaatliches
       Verfahren und menschenwürdige Haftbedingungen nicht gewährleistet.
       
       Im Fall Maja T. hatte zuletzt [6][eine Budapester Staatsanwaltschaft
       Anklage vorgelegt]: Laut den Verteidigern drohen T. bereits im Falle eines
       Geständnisses 14 Jahre Haft – ansonsten noch weit mehr. Eine erste Anhörung
       von Maja T. soll nun am 21. Februar in Budapest stattfinden. Danach wird
       über den weiteren Prozessverlauf entschieden. Die Anwälte von Maja T.
       hatten die Strafandrohung als völlig überzogen kritisiert und auch von
       katastrophalen Haftbedingungen berichtet. Hygiene und Verpflegung seien
       schlecht, bis heute bestehe Isolationshaft.
       
       Bereits vor Ort in Budapest waren im Februar 2023 zwei Berliner*innen
       gefasst worden, [7][Anna M. und Tobias E.], sowie eine Ungarin und die
       Italienerin Illaria Salis, die inzwischen ins Europaparlament gewählt
       wurde. Tobias E. hatte ein Geständnis abgelegt, auf eine Beweisaufnahme
       verzichtet und war zu drei Jahren Haft verurteilt worden, die zuletzt auf
       ein Jahr und zehn Monate abgesenkt wurden. Er war im Dezember nach
       Deutschland ausgeliefert worden und wurde hier erneut festgenommen, weil
       die Bundesanwaltschaft weitere Vorwürfe gegen ihn erhebt. Gegen Anna M.
       läuft ein Prozess in Budapest. Gegen Illaria Salis ist dieser wegen ihres
       Mandats im Europaparlament ausgesetzt.
       
       Im Mai 2024 folgte dann die [8][Festnahme der Nürnbergerin Hanna S.] – sie
       gehörte nicht zu den anfangs Gesuchten, war von Ermittler*innen erst
       später identifiziert worden. Die ungarischen Behörden hatten sie deshalb
       auch nicht gesucht und auch später keine Auslieferung beantragt. Gegen
       Hanna S. wird ab Februar in München verhandelt, die Anklage führt die
       Bundesanwaltschaft – die hier auch den Vorwurf des versuchten Mordes
       erhebt.
       
       Im November folgte schließlich die [9][Festnahme von Johann G. in
       Thüringen]. Auch er soll in Budapest dabei gewesen sein.
       Ermittler*innen sehen in ihm aber auch den Anführer einer Gruppe um die
       Leipzigerin Lina E., die mehrere Angriffe auf Rechtsextreme in Thüringen
       und Sachsen verübt haben soll. Lina E., die frühere Partnerin von Johann
       G., und drei Mitangeklagte waren [10][im Mai 2023 zu mehrjährigen
       Haftstrafen verurteilt worden]. Johann G. war da bereits länger flüchtig.
       Ob auch ihm eine Auslieferung nach Ungarn droht, ist offen.
       
       20 Jan 2025
       
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