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       # taz.de -- Ärzte auf Abwegen: Die Erfindung der Aidslüge
       
       > Schon vor Corona ignorierten manche Mediziner den Forschungsstand zu HIV
       > und Aids. André wäre deshalb fast gestorben. Trotzdem besucht er seinen
       > Arzt noch.
       
   IMG Bild: Gerade mal 100 bis 120 Nanometer Durchmesser hat das HI-Virus
       
       Kiel taz | Wenn André über das spricht, was ihm passiert ist, dann sprudelt
       es nur so aus ihm heraus: Anekdoten, Einschübe, Rückblenden, manchmal sogar
       Witze. Ein Streifzug durch sein Leben, 1974 bis heute. Nur an einer Stelle
       bricht seine Stimme. „Das war der schlimmste Tag für meinen Vater. Als die
       Ärzte ihm gesagt haben, dass sein Sohn sterben wird.“
       
       Dann wird es kurz still, nur die Ostsee rauscht leise in der Ferne.
       Plötzlich scheint das Erlebte wieder ganz nah. Und ein Schmerz kommt hoch,
       den er sonst irgendwo sicher verstaut hat.
       
       2009 musste André als Notfall in die Kieler Uniklinik. Sein Zustand war
       schlecht, er habe Krampfanfälle gehabt, erzählt er, wenig später fiel er
       ins Koma. Er schwebte in Lebensgefahr. Was André damals nicht wusste: Er
       hatte Aids im Endstadium.
       
       Dabei war er schon vorher regelmäßig bei einem Arzt in Behandlung gewesen.
       Beim Internisten Claus Köhnlein. Doch der hat seine eigene Ansicht zu HIV
       und sagt noch heute: „Das ist ein harmloses Passagiervirus, das gar nichts
       macht.“
       
       André war an einen Aidsleugner geraten. Das sind Menschen, die aus
       Zweifeln, Unsicherheiten und Verschwörungserzählungen ein Narrativ
       gestrickt haben: HIV sei ein Schwindel, behaupten sie. Aids eine Erfindung
       von Pharmaindustrie und Gesundheitsbehörden. Die „Aidslüge“ nennen sie das
       – ein früher Vorläufer der „Coronalüge“. Manche von ihnen glauben bis heute
       daran.
       
       Wenn neue Krankheiten auftauchen, herrschen oft Unsicherheit und Angst.
       Weil wissenschaftliche Antworten Zeit brauchen, haben es alternative
       Erklärungen und Verschwörungsmythen leicht. So war es schon immer. Bei der
       Pest, der Cholera, der Tuberkulose und auch bei Aids.
       
       Rund dreißig Jahre vor Andrés Krankenhausaufenthalt suchten fünf junge
       Männer das Cedars-Sinai Medical Center in Los Angeles auf. Sie alle hatten
       seltsame Symptome, die sonst nur bei Patienten mit Immunversagen auftreten.
       „Wir wussten gleich, dass das etwas Großes sein wird“, sagt heute Michael
       Gottlieb, damals behandelnder Arzt. Was er jedoch nicht ahnen konnte: Diese
       fünf jungen Männer waren die ersten Patienten einer Pandemie, die bis heute
       etwa 40 Millionen Menschen das Leben kostete.
       
       Bald wurden auch in Deutschland die ersten Fälle gemeldet. Nach und nach
       verbreitete sich die seltsame Krankheit. Doch niemand kannte ihren
       Auslöser. Wilde Theorien entstanden, und mit den steigenden Fallzahlen
       griff die Angst um sich. Aidskranke wurden als Aussätzige behandelt, manche
       schimpften, Gott habe die „Schwulenpest“ als Strafe geschickt. Diese
       Krankheit war unbarmherzig. Wer Aidssymptome entwickelte, starb meist
       innerhalb weniger Jahre. Die Diagnose ein Todesurteil, Heilung nicht in
       Sicht.
       
       ## Südafrikas Präsident ließ sich überzeugen
       
       Heute wirkt das alles weit weg. Besonders hier, ganz im Norden der
       Republik. Von Kiel aus fährt man eine gute halbe Stunde zu André. Raus aus
       der Stadt, vorbei an Feldern, Campingplätzen und natürlich der Förde. Das
       Dorf, in dem André heute wohnt, hat keine tausend Einwohner. Hier hat er
       sich seinen Rückzugsort gebaut, ein Einfamilienhaus aus roten und beigen
       Backsteinen. Die Straßen sind wie leergefegt. HIV-Infizierte werden bis
       heute stigmatisiert, deshalb will André seinen Nachnamen nicht
       veröffentlicht sehen.
       
       Er empfängt mit Baseball-Kappe, Poloshirt und Dreitagebart. Durch die Nase
       trägt er ein silbernes Piercing. Vor etwa fünf Jahren hat er hier neu
       gebaut, alles nach seinen Vorstellungen. Kamin, Sauna, weiß glänzende
       Fliesen.
       
       André sitzt am ausladenden Esstisch bei einem Glas Leitungswasser und
       beginnt zu erzählen: „Aids war immer ein Schreckgespenst. Deswegen wollte
       ich das auch gar nicht wissen. Ich wollte nichts mit Aids zu tun haben.“
       André wurde 1974 in Norddeutschland geboren, seine Jugend fiel genau in die
       Zeit der Aidskrise. Damals herrschte helle Aufregung. Der bayrische
       Staatssekretär Peter Gauweiler (CSU) diskutierte die Meldepflicht,
       veranlasste in Bayern, dass alle, die „schwul wirkten“, zwangsgetestet
       werden konnten. Horst Seehofer, damals ein junger Abgeordneter im
       Bundestag, soll vorgeschlagen haben, [1][Aids-Kranke in „speziellen Heimen“
       zu „konzentrieren“]. André war zu diesem Zeitpunkt ein Teenager. Als
       Freddie Mercury starb, war er 17. Damals habe er auch „einen Test“ gemacht,
       das fällt ihm fast beiläufig ein, und der sei positiv gewesen. Wie es zu
       dem Test kam, erzählt er nicht, nur dass sein Arzt ihn vor dem
       „Schreckgespenst“ Aids gewarnt habe. Von dem solle er sich nicht verrückt
       machen lassen. Damit sei das Thema zunächst erledigt gewesen.
       
       André hat verschiedene Ideen, wie er sich damals infiziert haben könnte.
       Zum Beispiel gab es da einen Schlittenunfall, als er noch ein kleiner Junge
       war. Viele Berge hätten sie nicht, hier in Schleswig-Holstein, ein paar
       Rodelpisten aber doch. Einmal sei er mit dem Schlitten über eine
       hinausgeschossen und in einem Stacheldrahtzaun gelandet, musste ins
       Krankenhaus, erhielt dort Spenderblut. „Und dann haben alle gesagt, wenn du
       mit 17 Jahren positiv bist, dann sind das wahrscheinlich irgendwelche
       verseuchten Bluttransfusionen gewesen.“
       
       Wie genau er mit dem Virus infiziert wurde, lässt sich heute nicht mehr
       überprüfen. Sicher ist: André schob damals die Diagnose von sich weg,
       machte nicht den zweiten Test, der für die offizielle Bestätigung notwendig
       ist, ging nicht in Behandlung. Alles blieb beim Alten, dem Schreckgespenst
       wurde das Spuken verboten.
       
       Zu diesem Zeitpunkt war die Ursache von Aids längst gefunden. 1983 hatten
       erst ein französisches, dann ein US-amerikanisches Forscherteam das
       HI-Virus entdeckt. Ein Retrovirus, komplexer als nahezu alles, was man
       bisher an Krankheitserregern kannte. Endlich konnte auch die Suche nach
       einer Therapie beginnen. Trotzdem blieb noch vieles unklar: Warum wurden
       nur manche HIV-Infizierte krank, wie konnte ein Virus 29 unterschiedliche
       Symptome auslösen, und das erst nach Jahren? Oder steckte doch etwas ganz
       anderen dahinter?
       
       In einem Gastvortrag an der Freien Universität Berlin sagte Professor Peter
       Duesberg 1995: „Es besteht kein kausaler Zusammenhang zwischen Infektion
       und Krankheit bei HIV und Aids.“ Duesberg lehrte und forschte damals
       Molekular- und Zellbiologie an der US-amerikanischen Berkeley University.
       Er war sich sicher: Aids hat eine ganz andere Ursache. „Man spricht nicht
       gerne davon, weil es politisch nicht korrekt ist, dass Homosexuelle mit
       ihrem Verhalten selbst verantwortlich sind für Aids, statt an einer
       Infektionskrankheit zu leiden.“
       
       Duesberg glaubte, dass Drogen, [2][besonders die Sexdroge Poppers], Aids
       auslösen – nicht das HI-Virus. Er behauptete, die „Aidslüge“ aufgedeckt zu
       haben, eine Verschwörung von Pharmariesen, die endlose Forschungsgelder
       abgreifen, und Behörden, die durch eine künstliche Krise ihre Macht sichern
       würden. Duesbergs Wort hatte Gewicht, er war ein angesehener
       Wissenschaftler, ein auf Lebenszeit gewähltes Mitglied der
       US-amerikanischen Akademie der Wissenschaften. Schon 1987 hatte er
       begonnen, den Zusammenhang von HIV und Aids zu leugnen – und stieß damit
       auf offene Ohren. Immer mehr Menschen wurden krank, und ein Virus, eine
       Infektionskrankheit, hätte bedeutet, dass jeder und jede sich anstecken
       konnte. Anders bei Sexdrogen. Beweise konnte Duesberg nicht vorlegen; dass
       nur Menschen mit HIV an vielen der spezifischen Aidssymptomen leiden,
       ignorierte er.
       
       Leugnung ist auch deswegen für viele Menschen so verlockend, weil sie
       Kontrolle simuliert. Wer positiv auf HIV getestet wurde, erhielt lange Zeit
       auch eine Prognose, wie viele Jahre er noch zu leben habe. Wer möchte in so
       einer Situation nicht einem hochdekorierten Wissenschaftler glauben, der
       sagt: Alles halb so wild, mach dir keine Sorgen!
       
       Die Folgen der Infektion holten André erst Mitte der 2000er Jahre ein. Er
       erzählt, dass er lange im öffentlichen Dienst gearbeitet und dort Karriere
       gemacht habe. Er sei zwar häufiger krank gewesen, aber meistens nur mit
       Kleinigkeiten, die er auf die Arbeitsbelastung geschoben habe.
       
       ## Flucht in den brasilianischen Karneval
       
       Zur Erholung sei er dann nach Brasilien geflogen. Auf andere Gedanken
       wollte er kommen, sich neu sortieren. André liebte das Land und die Leute.
       Er genoss die Offenheit, die Lebensfreude, vor allem im brasilianischen
       Karneval. Irgendwie passend – immerhin soll der Karneval doch böse Geister
       vertreiben. „Ich bin sogar auf der Karnevalsparade im Sambadrom
       mitgelaufen. Das war einfach geil.“
       
       Doch André wird immer schwächer, er habe Aphten-Geschwüre im Mund bekommen
       und Schluckbeschwerden. Irgendwann waren die so schlimm, dass er den
       Heimweg antrat. André geht zu seinem Hausarzt und der leitet ihn an einen
       Kollegen weiter: an den Internisten und Aids-Leugner Claus Köhnlein.
       
       „Ich war, als das damals mit HIV losging, in der Uniklinik Kiel angestellt
       in der Facharztausbildung. Und da hatten wir plötzlich den ersten
       Aidspatienten.“ Claus Köhnlein sitzt in seinem großzügigen Praxiszimmer
       nördlich von Kiel. Vor ihm liegen stapelweise Aufsätze und Artikel, die er
       eigens herausgesucht hat. Er ist ein schlanker, braungebrannter Mann, trägt
       Jeans und Segelschuhe. Eigentlich schon im Rentenalter, behandelt er auch
       heute noch Patienten. Das Thema HIV und Aids begleitet ihn seit Jahren.
       „Und dann sage ich zu meinem Kollegen: Wieso ist das jetzt ein Aidspatient?
       Der hatte doch gestern noch Lymphdrüsenkrebs. Und dann sagte der zu mir,
       ja, der hat einen positiven HIV-Test. Und dann sagte ich nach kurzer
       Überlegung: Dann ist das für mich keine Seuche im eigentlichen Sinne,
       sondern eine Testseuche.“
       
       Von Anfang an ist Claus Köhnlein skeptisch gegenüber HIV und Aids. Wie
       solle ein Virus für all die unterschiedlichen Symptome verantwortlich sein?
       Köhnlein vermutet andere Gründe. „Unter den Homosexuellen waren es
       vorwiegend die, die es einfach übertrieben haben mit ihren Drogen.“ Lange
       blieb er mit dieser Theorie ein einsamer Rufer in Deutschland. Bis er auf
       Peter Duesberg stieß. „Ich war im Winter Ski laufen und dann rief mich
       meine Frau an und sagte mir, du musst dir unbedingt den Spiegel kaufen. Da
       ist ein Artikel drin über einen Peter Duesberg, einen Professor aus
       Berkeley, und der sagt genau das Gleiche wie du.“
       
       Köhnlein habe damals sofort Kontakt zu Duesberg aufgenommen und sei sogar
       nach Kalifornien geflogen. Die beiden Männer freundeten sich an. Der Kampf
       gegen die vermeintliche Aidslüge schweißte sie zusammen. Köhnlein holte
       seinen Unterstützer nach Kiel, organisierte Podiumsdiskussionen, über die
       „wirklichen Hintergründe“ von Aids. 1993 machte sich Köhnlein mit einer
       eigenen Praxis selbstständig, behandelte dort auch HIV-Patienten. Gemeinsam
       mit einer kleinen Gruppe Gleichgesinnter publizierte er Artikel und schrieb
       Bücher. 2006 veröffentlichte Köhnlein sein Buch „Virus-Wahn. Wie die
       Medizinindustrie ständig Seuchen erfindet und auf Kosten der Allgemeinheit
       Milliardenprofite macht“. Damit fand er eine größere Öffentlichkeit, wurde
       sogar ins Fernsehen und ins Radio eingeladen.
       
       An diesen Arzt geriet André also, mit seinen Aphten und Schluckbeschwerden.
       Ob ihm nie der Gedanke gekommen sei, dass er Aids haben könnte? André
       überlegt einen Moment. Es habe immer andere Gründe gegeben, sagt er. Der
       Stress, die Psyche. Und schließlich hätten ihn weder sein Hausarzt noch Dr.
       Köhnlein noch einmal getestet. Der behandelte stattdessen Andrés Symptome.
       Trotzdem baute André weiter ab. „Ich habe dann innerhalb von wenigen Wochen
       viele Kilo verloren. Und das ging so weit, dass ich mein Motorrad gar nicht
       mehr halten konnte, weil ich zu schwach war.“
       
       Weil es ihm immer schlechter ging, ließ André im Krankenhaus eine
       Beckenpunktion durchführen, ein schmerzhaftes Prozedere, bei dem ein Stück
       des Knochens entnommen wird, das dann auf verschiedene Erkrankungen
       getestet werden kann: „Und damals, da bin ich dann so richtig damit
       konfrontiert worden: Wollen wir nicht mal einen Test machen?“
       
       Nein.
       
       Wollte er nicht.
       
       Denn da war ja noch Dr. Köhnlein. In seiner Praxis spricht Köhnlein ruhig,
       mit leiser Stimme, fast plaudernd. Doch was er da behauptet, ist
       hochgefährlich.
       
       Als sich immer mehr Menschen auch außerhalb der schwulen Community
       infizierten, mussten die Leugner ihre Argumente anpassen. Sie schossen sich
       auf die Medikamente ein, die bis dahin entwickelt wurden. 1987 kam
       Azidothymidin, kurz AZT, auf den Markt, verbunden mit großen Hoffnungen. Es
       scheiterte kolossal. Zwar hatte es tatsächlich eine Wirkung gegen das
       Virus, doch die war nur von kurzer Dauer – und wurde von enormen
       Nebenwirkungen überschattet. Für Köhnlein war der Fall klar: „AZT kam 1987
       auf den Markt, dann fingen alle an zu sterben.“
       
       Wie so viele Argumente der Leugner beginnt auch dieses mit dem wahren Kern:
       AZT kann Aids nicht verhindern, hat schwere Nebenwirkungen, vor allem in
       hohen Dosen. Es hat immer wieder Medizinskandale gegeben, auch um
       schädliche und teure Medikamente. Doch die Schlussfolgerung, AZT sei
       tödlich, ist falsch. Denn auch ohne die Gabe von AZT starben
       Aids-Patienten.
       
       Den echten medikamentösen Durchbruch gab es erst 1996, als die kombinierte
       antiretrovirale Therapie, kurz ART, auf den Markt kam. Die ART baut auf
       mehrere Wirkstoffe, die gemeinsam verhindern, dass das HI-Virus Resistenzen
       entwickelt. Doch zu Beginn gehörte auch AZT zu den Inhaltsstoffen, und die
       Nebenwirkungen der hochkomplexen Therapie bestimmten die Leben der
       Patienten. Köhnlein und Duesberg blieben bei ihrem Narrativ: Finger weg von
       den giftigen Medikamenten. Einige Infizierte glaubten ihnen, setzten die
       Medikamente ab oder verzichteten von Anfang an. Dadurch blieben ihnen auch
       die Nebenwirkungen erspart. Manche bezahlten diese Entscheidung mit ihrem
       Leben.
       
       Im Jahr 2000 erreichte die Aidsleugnung dann ganz neue Dimensionen. Thabo
       Mbeki, Präsident von Südafrika, [3][ließ sich überzeugen]. Er berief Peter
       Duesberg und Claus Köhnlein neben anderen Gleichgesinnten in ein
       Aids-Beratungsgremium und verhinderte wenig später die Einfuhr jeglicher
       Aidsmedikamente nach Südafrika. Stattdessen sollte man sich gesund
       ernähren, möglichst viele Zitronen und Knoblauch essen. Konservativen
       Schätzungen zufolge starben allein wegen Mbekis Gesundheitspolitik 300.000
       Menschen in Südafrika an den Folgen von Aids.
       
       2009 arbeitete Heinz Horst als Oberarzt der Infektionsambulanz der
       Uniklinik Kiel, dort traf er auf André. „Als er eingeliefert wurde, war er
       in einem sehr schlechten Zustand“, sagt Horst heute, er ist mittlerweile im
       Ruhestand. Horst war seit den 80ern an der Uniklinik tätig, versuchte
       damals noch seinen Kollegen Claus Köhnlein von der HIV-Gefahr zu
       überzeugen. Jahre später kämpfte Heinz Horst um das Leben von Köhnleins
       Patienten André.
       
       ## Mit der Wärmflasche gegen HIV
       
       Im Sommer 2009 zwang das HI-Virus Andrés Immunsystem endgültig in die Knie.
       Plötzlich habe er „tierische Schweißausbrüche“ bekommen, sein Hausarzt
       verschrieb ihm Bettruhe und eine Wärmflasche. In derselben Nacht rief André
       mit letzter Kraft einen Krankenwagen, der ihn zu Heinz Horst in die Klinik
       brachte.
       
       „Das Letzte, woran ich mich erinnern kann, war, dass mein Zimmernachbar
       geschnarcht hat wie ein Rhinozeros. Und dann war ich weg.“ André schwebte
       in Lebensgefahr. Er litt unter einer PCP-Lungenentzündung und einer
       enzephalopathischen Toxoplasmose, das sind Parasiten, die ins Gehirn
       wandern und dort Entzündungen hervorrufen. Typische Aidssymptome.
       
       Als seine Sauerstoffsättigung immer weiter in den bedrohlichen Bereich
       sank, entschieden die Ärzte, André zu intubieren. André fiel ins Koma,
       seine Eltern kamen noch in der Nacht ans Krankenbett geeilt. Die Ärzte
       hatten schlechte Nachrichten: „Die haben dann gesagt, das wird nichts mehr
       werden, der wird sich nicht mehr berappeln. Und das war der schlimmste Tag
       für meinen Vater.“ Andrés Eltern entschieden, dass lebenserhaltende
       Maßnahmen eingeleitet werden sollten. Doch es gab noch immer keine
       Diagnose.
       
       „Wir haben uns dann mit der Rechtsabteilung besprochen“, sagt Heinz Horst
       heute. „Man muss immer davon ausgehen, dass ein Patient am Erhalt seines
       Lebens interessiert ist. Deshalb konnten wir ihn jetzt auf HIV testen, weil
       er seine Zustimmung nicht mehr selbst geben konnte.“ Der Test war positiv.
       Die Ärzte begannen unmittelbar mit der antiretroviralen Therapie – mit
       Erfolg.
       
       Heute merkt man André nicht mehr an, dass er vor rund 15 Jahren um ein Haar
       gestorben wäre. Er hat sich ins Leben zurückgekämpft, musste Gehen und
       Sprechen neu lernen. Mittlerweile gehe es ihm gut, er könne wieder Motorrad
       fahren, reisen, sei eigentlich immer unterwegs. Damals habe er einen
       Schutzengel gehabt. Und Heinz Horst, dem vertraue er blind, „der hat damals
       mein Leben gerettet“.
       
       Im vergangenen Herbst hat André seinen 50. Geburtstag gefeiert, eine große
       Party, auch seine Freunde aus Brasilien hat er eingeladen. Dass er dieses
       Fest noch feiern konnte, verdankt er der ART, die er bis heute einnimmt.
       Trotzdem geht er ab und an noch zu Claus Köhnlein in Behandlung. Einen
       Groll hegt er nicht. Obwohl Köhnleins Überzeugungen ihn fast das Leben
       gekostet hätten. Bei Köhnlein erhalte er schnell Rezepte – und eine
       alternative ärztliche Meinung. Das scheint ihm immer noch wichtig zu sein.
       
       Wie Köhnleins ärztlicher Rat aussieht, verraten die vielen Onlineideos
       seiner Vorträge. Mit den Aidsmedikamenten habe er mittlerweile zwar seinen
       Frieden gemacht, sagt Köhnlein darin. Aber das Virus, das sei harmlos. Der
       Viruswahn ist derweil schon in die nächste Runde gegangen. „Das hat jetzt
       mit [4][Corona] seine Wiederholung gefunden. Ein Schnupfenvirus ist das.“
       
       4 Feb 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.spiegel.de/politik/entartung-ausduennen-a-bd30126d-0002-0001-0000-000013522444
   DIR [2] https://dassuchtportal.de/suchtstoffe/poppers/
   DIR [3] /!1203909&s=Kordula+Doerfler&SuchRahmen=Print/
   DIR [4] /Schwerpunkt-Coronavirus/!t5660746
       
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   DIR Jonas Reese
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       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Verschwörungsmythen bei Aids und Corona: Schluss mit der Schwurbelei
       
       Wird die Wissenschaft geleugnet, hat das fatale Folgen, das zeigte schon
       die Aids-Pandemie. Daraus haben wir für die Coronazeit leider nichts
       gelernt.
       
   DIR Podcast über AIDS und HIV: Die Ideologin
       
       Lügen über Viren gibt es nicht erst seit Corona. Der Podcast „AIDS-Leugner“
       erzählt von einer kranken Frau mit verhängnisvollem Einfluss.
       
   DIR Die taz und Fake News: Die Aids-Verschwörung
       
       Schuld an der Verbreitung von Fake-News. Wie die taz 1987 durch einen Köder
       von östlichen Geheimdiensten instrumentalisiert wurde.