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       # taz.de -- Linkenpolitikerin Caren Lay im Wahlkampf: „Schwestaaaa, da lebt ein Miethai hier im Block“
       
       > Wohnungsnot spielt im Wahlkampf kaum eine Rolle. Die Linkenpolitikerin
       > Caren Lay rappt dazu auf Tiktok und hofft auf Wiedereinzug in den
       > Bundestag.
       
   IMG Bild: Bundestagsabgeordnete Caren Lay während der Aufnahme eines Tiktok-Videos
       
       Berlin taz | Eins, zwei, drei. Caren Lay steht mit einer kleinen Gruppe auf
       der Treppe vor dem Bundestag, sie singen: „Schwestaaaa, da lebt ein
       Miethai hier im Block.“ Eine Frau mit Haifischmaske über dem Kopf dreht
       Kreise und reißt die Arme hoch wie ein Schreckgespenst. Am Ende macht der
       Trupp mit den Händen schnelle Hackbewegungen und singt: „Macht den Miethai
       jetzt zu Fischstäbchen!“ Der Social-Media-Coach, der das Spektakel filmt,
       ist nicht ganz zufrieden. Also noch mal.
       
       Das mit den Fischstäbchen, das muss sitzen, findet auch Caren Lay. Es ist
       nur eine von mehreren Szenen, die sie und ihr Team an diesem Dienstag Ende
       Januar für Tiktok drehen. Lay trägt rosa Cap, olivfarbene Bomberjacke,
       Stiefel mit lila Plateausohle. Sie ist Linkenpolitikerin,
       Bundestagsabgeordnete. Ihr Schwerpunkt: Wohnungspolitik. Erkennbar auch an
       der Halskette mit dem Schriftzug „Mietendeckel“.
       
       Nur noch wenige Wochen bleiben bis zur Bundestagswahl. Und die Themen?
       Drehen sich fast nur noch [1][um Merz, das Ende der Brandmauer, die AfD].
       Aber ein Wahlkampf ist eben auch ein Kampf um Aufmerksamkeit. Die Linke
       macht Wohnungspolitik zu einem ihrer Schwerpunkte. Warum auch nicht?
       Steigende Mieten bewegen viele Menschen im Land. Die Mietpreisbremse steht
       vor dem Aus. Die Zahl der Sozialwohnungen sinkt. Die Bundesregierung
       verfehlt die Neubauziele.
       
       Umfragen sehen die Linkspartei zwischen drei und fünf Prozent. Ob sie die
       Fünfprozenthürde schafft, ist offen. Aber sie kann den Einzug in den
       Bundestag auch über drei Direktmandate schaffen. Vielleicht mithilfe von
       Wohnungspolitik. Nur: Wie bricht man das rechte Agendasetting?
       
       ## „Ich singe oder rappe über Probleme“
       
       „Ich singe oder rappe über Probleme. Aber es gibt ein Augenzwinkern dazu
       und am Ende auch einen positiven Ausgang“, sagt Caren Lay. Seit letztem
       Jahr ist sie auf Tiktok unterwegs, der Social-Media-Plattform, auf der die
       AfD besonders aktiv ist. Lay covert bekannte Songs und dichtet sie
       politisch um. Mit ihrer [2][feministischen Version von „Bauch, Beine, Po“]
       – einem Song der Rapperin Shirin David – war sie besonders erfolgreich.
       Über 1,8 Millionen Menschen haben sich das angeschaut.
       
       Das Miethai-Video basiert auf einem nicht ganz so bekannten Song.
       „Mietfrei“ heißt das Original des Berliner Pop-Rappers Ski Aggu, und es hat
       nichts mit Mietenpolitik zu tun. Lay will ihre Version nun „zu einer Art
       Hymne der Mietenkampagne“ machen. Gedreht wurden schon mehrere
       Miethai-Videos, in Dresden, Köln, Leipzig. Die Texte werden jeweils an die
       Städte angepasst. Das Rezept lautet: Politbotschaften als schnell
       konsumierbare Häppchen. Die Reaktionen sind überwiegend positiv. „Album
       wann?“, fragen manche.
       
       „Niemand möchte den ganzen Tag mit Weltuntergangsszenarien konfrontiert
       werden“, sagt Lay. Die Videos seien „auch ein Versuch, bei all diesen
       multiplen Krisen den Humor nicht zu verlieren“. Zudem wolle sie „auch die
       erreichen, die sich nicht jeden Tag Bundestagsdebatten angucken“.
       
       ## Das Mietthema war lange „schambesetzt“
       
       Lay ist 52 und Direktkandidatin im sächsischen Wahlkreis Bautzen I – und
       sie steht auf dem aussichtsreichen Platz 2 der Landesliste. Seit 2009 sitzt
       sie im Bundestag, seit 2016 ist sie mietenpolitische Sprecherin. Wer ihre
       parlamentarische Arbeit die letzten Jahre begleitet hat, weiß: Jedes Jahr
       fragt sie die [3][Zahl der Zwangsräumungen] ab, verfolgt genau, wie viele
       Sozialwohnungen entstehen. Will von der Bundesregierung wissen, wie sich
       die Mieten entwickeln. Vor zwei Jahren [4][veröffentlichte sie „Wohnopoly“,
       ein Buch über Immobilienspekulation,] in dem sie einen Weg zu einem
       gemeinwohlorientierteren Wohnungsmarkt skizzierte.
       
       Bereits 2011 startete Lay als Bundesgeschäftsführerin der Linken eine
       „mietenpolitische Offensive“. „Mein Credo war schon früh, die Linke zur
       Partei der Mieterinnen und Mieter zu machen und sie eng anzubinden an die
       Bewegung.“ Doch das Thema sei damals nicht als so wichtig empfunden worden.
       Und es sei „auch lange schambesetzt gewesen“.
       
       Schließlich war die Vorgängerpartei der Linken, die PDS, in Berlin und
       Dresden auch daran beteiligt, [5][kommunale Wohnungsbestände zu verkaufen].
       Heute unterstützt die Linke den erfolgreichen [6][Berliner Volksentscheid
       Deutsche Wohnen und Co enteignen], der eine Vergesellschaftung großer,
       profitorientierter Wohnungskonzerne anstrebt. Ein Thema, das sich SPD und
       Grüne nicht ins Wahlprogramm geschrieben haben, genau wie einen
       bundesweiten Mietendeckel. Zu radikal offenbar.
       
       Als Fachpolitikerin wird Caren Lay über Parteigrenzen hinweg geschätzt. Sie
       seien sich bei der Wahl der Mittel nicht immer einig, aber verfolgten
       ähnliche Ziele, sagt Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) der taz. Lay
       stelle „die richtigen Fragen, und das viel beharrlicher als andere“. Die
       grüne Bundestagsabgeordnete Canan Bayram bezeichnet Lay als „wichtige
       Verbündete“. Selbst Jan-Marco Luczak, wohnungspolitischer Sprecher der
       Union, der einen Mietendeckel für sozialistisches Teufelszeug hält, sagt:
       „Auch wenn uns politisch Welten trennen“, schätze er sie „als zugewandte
       und engagierte Kollegin“.
       
       ## Wohnungspolitik als Chance für Die Linke
       
       Mitte Januar sitzt Caren Lay in einem Café in Berlin-Wedding, einem alten
       Arbeiterbezirk, in dem noch heute viele Menschen mit kleinem Einkommen
       leben. In einer halben Stunde muss sie zur nächsten Veranstaltung des
       Berliner Mietervereins eilen, bei dem es um missbräuchliche
       Wärmelieferverträge geht, die zu horrenden Nebenkosten führen können.
       „Wohnungspolitik als Schwerpunkt ist im Wahlkampf eine große Chance –
       leider“, sagt Lay. „Union, FDP und AfD vertreten immer die Kapitalseite,
       und SPD und Grüne haben sehr deutlich gezeigt, dass ihnen das Thema nicht
       am Herzen liegt.“
       
       Tatsächlich hat die Ampelregierung in puncto Mieterschutz fast nichts von
       dem umgesetzt, was sie sich in den Koalitionsvertrag geschrieben hatte. Das
       lag auch [7][an der Blockade der FDP], die so lange reichte, bis die
       Koalition zerbrach. Der Mietenanstieg in den Bestandsmieten sollte stärker
       begrenzt, der Kündigungsschutz verbessert, das kommunale Vorkaufsrecht
       wieder rechtssicher gemacht werden.
       
       Nichts davon ist geschehen. Und es ist unklar, ob [8][die Mietpreisbremse,
       die noch bis Ende des Jahres gilt, verlängert wird]. Einziges Trostpflaster
       ist die Einführung der [9][neuen Wohngemeinnützigkeit], mit der Unternehmen
       steuerlich begünstigt werden sollen, die dauerhaft bezahlbare Wohnungen
       schaffen – nur leider ist das finanziell nicht unterfüttert. Bundeskanzler
       Olaf Scholz hatte im letzten Wahlkampf noch großspurig bezahlbares Wohnen
       versprochen, unter anderem 100.000 Sozialwohnungen. Geschaffen wurden nicht
       einmal ein Viertel.
       
       Für Caren Lay ist das ein strategischer Vorteil. SPD und Grüne haben in der
       Wohnungspolitik an Glaubwürdigkeit eingebüßt und der ewige Fingerzeig auf
       die böse FDP überzeugt nicht alle. Wenn ein sozialdemokratischer Kanzler,
       eine sozialdemokratische Bauministerin und Grüne als Verbündete in der
       Regierung wohnungspolitisch nichts ausrichten können – warum sollte man sie
       dafür wiederwählen? An der Linken hingegen klebt diese verheerende Bilanz
       nicht, von ihr wird keine Kompromissfähigkeit erwartet, sie kann sich in
       der Leichtigkeit jener bewegen, die keine Regierungsverantwortung tragen.
       
       ## Politische Eliten ohne Bewusstsein für Mietenwahnsinn
       
       Lay ist besorgt. Schon jetzt spalte der „Mietenwahnsinn das Land massiv“,
       er verändere das Bild der Städte. Bürohäuser, teure Eigentumswohnungen,
       wenig Angebot für den kleinen Geldbeutel, [10][steigende Obdachlosigkeit].
       „Es wird ganz schwer, das wieder rückgängig zu machen“, sagt sie. Bei
       Haustürgesprächen im Landkreis Bautzen sagten ihr Menschen in den
       Plattenbauvierteln: „Der Mietenwahnsinn ist inzwischen auch bei uns
       angekommen.“
       
       Caren Lay hat diese Entwicklung schon in den Nullerjahren beobachtet.
       Damals lebte sie in einer WG in Berlin-Kreuzberg. Das Haus wurde immer
       wieder an dubiose Briefkastenfirmen verkauft, keine Hausverwaltung war
       erreichbar, aber die Mieterhöhungen kamen noch an, erzählt sie. „Die ersten
       Opfer waren Menschen mit Migrationshintergrund, deutsche Rentnerinnen,
       Hartz-IV-Empfänger.“ Die heutige Wohnungsnot treffe besonders „die unteren
       sozialen Schichten, und in den Städten auch die Mittelschichten“. Den
       politischen Eliten fehle aber „das Bewusstsein, Wohnungspolitik ernst zu
       nehmen als eine Frage, die weite Teile der Bevölkerung betrifft“.
       
       Lay will deshalb politische Forderungen mit „einem praktischen Angebot“
       verbinden. Im Dezember brachte die Linke einen Antrag im Bundestag ein, um
       Mietwucher besser bekämpfen zu können. Zeitgleich entwickelte die
       Linkengruppe eine [11][Mietwucher-App], mit der Mieter*innen in
       mittlerweile acht Städten mit wenigen Mausklicks überprüfen können, ob ihre
       Miete zu hoch ist. Besteht dieser Verdacht, lässt sich auf Wunsch eine
       Meldung an das zuständige Wohnungsamt abschicken, die das ahnden muss. Die
       App [12][ist ein voller Erfolg.] Aber reicht das?
       
       Am vergangenen Dienstag wirft Caren Lay einen aufblasbaren Plastikhai in
       die Spree, um ihn kurz darauf wieder rauszufischen. Ob es diese Szene ins
       TikTok-Video schafft, ist zu diesem Zeitpunkt ungewiss. So wie der Ausgang
       der Bundestagswahl.
       
       1 Feb 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Merz-bricht-Tabu/!6062249
   DIR [2] https://www.tiktok.com/@caren.lay.mdb/video/7405847049960262944?lang=de-DE
   DIR [3] /Zwangsraeumung-ohne-Schonfrist/!5997176
   DIR [4] /Linkenpolitikerin-uebers-Wohnen/!5880216
   DIR [5] /Ausverkauf-der-Stadt/!6010700
   DIR [6] /Zwangsraeumung-ohne-Schonfrist/!5997176
   DIR [7] /FDP-verschleppt-besseren-Mieterschutz/!5922641
   DIR [8] /Mieten-begrenzen/!6055088
   DIR [9] /Neue-Wohngemeinnuetzigkeit/!6043736
   DIR [10] /Obdachlosigkeit-in-New-York/!6056778
   DIR [11] https://www.mietwucher.app/de
   DIR [12] /App-gegen-Mietwucher/!6065703
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jasmin Kalarickal
       
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