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       # taz.de -- Die Wahrheit: Batteriewechsel im Puppentheater
       
       > Ein kindlich aussehender kleiner Mensch unbestimmten Geschlechts steuert
       > das geheimnisvolle Fahrzeug, das wirkt wie ein Bett auf Rädern.
       
       Ich konnte von Natur aus nicht Auto fahren, dementsprechend hatte das
       Vehikel, in dem ich mich fortbewegte, keine Ähnlichkeit mit einem richtigen
       Automobil. Eher wirkte es wie ein Bett auf Rädern. Einen Motor gab es
       anscheinend ebenso wenig wie Steuer, Gangschaltung und Pedale, daher musste
       der Antrieb des Fahrzeugs per Willenskraft erfolgen. Doch glaubte ich
       keineswegs, es könne sich um meinen Willen handeln.
       
       Rechts von mir, in ein Kopfkissen zurückgelehnt und mit einem dicken
       Plumeau zugedeckt, schlief ein – nicht zuletzt wegen seiner Zipfelmütze mit
       Schirm – kindlich aussehender kleiner Mensch unbestimmten Geschlechts.
       Etwas sagte mir, dass sowohl der Verlauf der Fahrt als auch die Art des
       Ziels davon abhingen, was dieses Wesen träumte.
       
       Die Straße verlief durch eine weite öde Landschaft und führte zu einem noch
       zwei oder drei Kilometer entfernten, eigentümlich geformten Berg, um darin
       wie in einem aufgerissenen Maul zu verschwinden. Mir graute davor, dort
       hineinzufahren, doch ich wusste nicht, wie ich das Fahrzeug anhalten
       sollte. Instinktiv konzentrierte ich mich auf die Vorstellung, die nächste
       Autowerkstatt verfüge über das landesweit beste Puppentheater.
       
       Mein Beifahrer schien sich nicht dagegen zu wehren. Ich ließ nicht locker,
       sondern erhöhte die Intensität meines Gedankens. Es wirkte. Wie gerufen kam
       eine Tankstelle mit Werkstatt in Sicht, und wir hielten. Die kleine Kreatur
       neben mir schlief weiter. Behutsam kam ich unter der Bettdecke hervor und
       stieg aus. Jetzt kam es darauf an, den kleinen Schläfer schnell
       loszuwerden.
       
       Ich eilte in die Werkstatt. Eine Mechanikerin, die soeben Lampengas bog,
       erklärte sich bereit, einen Blick auf das draußen geparkte Vehikel zu
       werfen. Nachdem sie es eine Zeit lang mit gefurchter Stirn inspiziert
       hatte, befand sie: „Ich rate zu einem Batteriewechsel.“ Ich erkundigte
       mich: „Wo ist denn bei diesem Modell die Batterie?“ – „Na, hier“,
       antwortete die Mechanikerin und zeigte auf das schlafende Wesen. „Kommen
       Sie mit.“
       
       Sie führte mich zum Kühlraum, wo die Batterien aufbewahrt wurden. Auf einem
       Regalboden saß ein Dutzend schlafender kleiner Gestalten, die exakt so
       aussahen wie die, mit der ich hergekommen war. Mit geübten Handgriffen nahm
       die Mechanikerin ein frisches Exemplar herunter. Damit verließen wir den
       Kühlraum und durchquerten die Werkstatt. Beim Öffnen der Tür nach draußen
       sah ich sofort, dass das bettartige Fahrzeug samt seinem Insassen fort war.
       
       „Das ist typisch“, sagte die Mechanikerin unbeeindruckt. „Batterien wollen
       nicht ausgewechselt werden. Sie spüren es vorher und entziehen sich auf
       Nimmerwiedersehen.“
       
       „Und jetzt?“, fragte ich ratlos. Die Frau antwortete: „Sie können gern hier
       bleiben und sich nützlich machen.“ So blieb ich bei ihr, um die Werkstatt
       mit einem Puppentheater auszustatten, das den Anspruch hat, das beste im
       Land zu sein.
       
       4 Feb 2025
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Eugen Egner
       
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