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       # taz.de -- Vermögensungleichheit und Bundestagswahl: Der Trump-Effekt
       
       > Warum geben so viele Menschen aus der arbeitenden Bevölkerung ihre Stimme
       > der AfD? Sie machen sich so zum eigenen Henker – ganz wie in den USA.
       
   IMG Bild: AfD-Plakat für die Veranstaltung: Migranten in Deutschland, mit Serge Menga, in Landshut
       
       Arian Berisha (Name geändert) ist 38 Jahre alt. Er lebt mit seiner Frau und
       zwei Kindern in einer Kleinstadt in Nordrhein-Westfalen und arbeitet im
       öffentlichen Dienst. Die Familie wohnt im Eigenheim, [1][es geht ihnen
       grundsätzlich gut.] Und trotzdem wählt der Mann, der eine
       Einwanderungsgeschichte hat, die AfD. Man könnte – so man gewillt ist – das
       sogar nachvollziehen.
       
       Doch zunächst ein Blick in die USA. Es gab genügend Gründe, Donald Trump,
       den mehrfach verurteilten Straftäter mit autoritären, rassistischen,
       frauenfeindlichen Ansichten, die er im Wahlkampf offen im ganzen Land
       verbreitete, nicht zum Präsidenten zu wählen. [2][Trotzdem gaben knapp mehr
       als die Hälfte der Menschen, die zur Wahl gingen, diesem Mann ihre Stimme,]
       darunter viele Frauen, Schwarze, Latinos und Latinas, Hispanics,
       Eingewanderte. Sind diese Menschen alle Rassisten, Sexisten, Faschisten?
       Das wäre zumindest eine recht steile These.
       
       Trumps Wähler:innen geben auf diese Frage in der Regel zwei Antworten:
       die Lebenshaltungskosten. Und die „illegale Migration“. Um den Zusammenhang
       zwischen diesen Antworten zu verstehen, muss man ein paar Jahrzehnte
       zurückspringen: [3][zu Ronald Reagan.] Während der Präsidentschaft Reagans
       begann in den USA ein kontinuierlicher Abbau des Sozialstaats und eine
       massive Umverteilung von unten nach oben, die bis heute anhält. Reagan
       erzählte der Bevölkerung, dass der Sozialstaat nur den „Faulen“
       („undeserving“) diene und brachte die Menschen so dazu, für ihre eigene
       Verarmung zu stimmen.
       
       Die arbeitende Bevölkerung wurde zum eigenen Henker gemacht. Kombiniert mit
       enormen Steuerprivilegien für Reiche führte das laut dem Thinktank Rand
       Corporation dazu, dass in den vergangenen 50 Jahren etwa 50 Billionen
       Dollar von den unteren 90 Prozent der Bevölkerung zum oberen einen Prozent
       der Gesellschaft verschoben wurden. Egal, ob Republikaner oder Demokraten
       an der Regierung waren. Öffentliche Infrastruktur, Schulen, soziale
       Absicherung – alles verlor an Qualität und Wert. Das System benachteiligt
       die arbeitende Bevölkerung bis heute strukturell.
       
       ## Aus Rache Trump gewählt
       
       Auftritt Donald Trump heute: Schuld an eurer Lage sind die „illegalen
       Migranten“ und das korrupte System. Dabei gehört sein ganzes Leben zum
       System, zu diesem einen Prozent, dessen Reichtum auf der Arbeit der
       Menschen im Land basiert. Trump stellt sich dennoch als „Außenseiter“ dar.
       Und viele Menschen denken: Alle Präsidenten haben versprochen, dass es uns
       besser gehen wird. Es ist aber immer nur schlimmer geworden. Und nun kommen
       auch noch Migranten und nehmen uns den Rest an Wohlstand und Sicherheit.
       Trump ist der Einzige, der unseren Schmerz sieht, er verspricht
       Veränderung. Die bringt er auch – allerdings noch stärker zum Vorteil der
       Vermögenden. Aber das interessiert viele nicht. Der US-amerikanische
       Historiker John Komlos erklärt, dass sie Trump „aus Rache“ gewählt haben:
       „Das System hat sie nicht gut behandelt.“
       
       Zurück nach Deutschland. Die Vermögensungleichheit in Deutschland ist fast
       so hoch wie in den USA. Auch in Deutschland sind die Vermögen in einem
       winzigen Teil der Bevölkerung konzentriert. Der sogenannte Gini-Koeffizient
       von 0 bis 1 misst die Ungleichheit in einer Gesellschaft: Je näher er bei 1
       liegt, desto ungleicher sind Einkommen und Vermögen verteilt. In den USA
       liegt dieser Wert für Vermögen bei 0,85, in Deutschland bei 0,79.
       Deutschland gehört innerhalb der westlichen Demokratien zu den Staaten, in
       denen Vermögen am stärksten ungleich verteilt sind. Das liegt in erster
       Linie an Steuerprivilegien für Vermögende.
       
       Vermögen und Einkommen werden in Deutschland unterschiedlich behandelt.
       Vermögende können, wenn sie gute Berater:innen haben, mit einem
       effektiven Steuersatz von 0 oder 1 Prozent wegkommen. Im Schnitt zahlen
       laut ZDF-Recherchen Multimillionäre 29 Prozent Steuern, Milliardäre 26
       Prozent. Während Menschen, die wie der AfD-Wähler Arian Berisha von ihrem
       monatlichen Einkommen leben, bis zur Hälfte davon in Form von Steuern und
       Abgaben an den Staat geben müssen. Vermögende hingegen können systematisch
       mit weit niedrigeren Steuersätzen leben. [4][Die arbeitende Bevölkerung
       wird strukturell benachteiligt].
       
       Das Versprechen, dass es den Kindern besser oder zumindest nicht schlechter
       gehen wird als einem selbst, gilt für viele Menschen in Deutschland nicht
       mehr. Einer von ihnen ist Arian Berisha. Er und viele andere Menschen
       zahlen hohe Steuern und Abgaben, sie ziehen die nächste Generation auf –
       und bekommen in einem der reichsten Länder der Welt nicht das, was sie
       eigentlich dafür bekommen sollten: Eine gute Infrastruktur, hochwertige
       öffentliche [5][Schulen ohne Mangel an Lehrkräften,] einen Kitaplatz,
       bezahlbaren Wohnraum, moderne Digitalisierung, eine funktionierende und gut
       ausgestattete Verwaltung. Und so spüren diese Menschen, dass etwas nicht
       stimmen kann.
       
       ## Der AfD geht es um Spaltung
       
       Was hören sie von den Parteien? Die „Faulen“ seien daran schuld, die
       Sozialleistungsempfänger:innen – und die Migranten. Das ist
       natürlich Blödsinn. Aber für Arian Berisha klingt es überzeugend, auch,
       weil das nicht nur die AfD sagt. Fast alle Parteien machen bei dieser
       Verantwortungsverschiebung mit. Die AfD gibt sich nun als vermeintlicher
       „Außenseiter“, der sagt: Wir sehen euren Schmerz. Und wir helfen euch. Das
       tun sie natürlich nicht. Auch sie wollen die Reichen nur reicher machen.
       Ihnen geht es allein um Spaltung, Hass und Macht.
       
       Es wird Menschen geben, die sagen, dass es keine Entschuldigung ist, eine
       menschenverachtende Partei zu wählen. Das mag sein. Das Problem ist: Eine
       Demokratie kann es auf Dauer nicht aushalten, wenn ein großer Teil der
       Bevölkerung strukturell benachteiligt wird. Die AfD ist ein Symptom. Und
       wenn sich an diesem System nichts Grundlegendes verändert, wird dieses
       Symptom nicht nur nicht verschwinden; es wird noch viel schlimmer werden.
       
       5 Feb 2025
       
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       ## AUTOREN
       
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