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       # taz.de -- Abgehängt sein auf dem Land: Pingpong und Politik
       
       > Unsere Autorin sieht schöne Häuser und große Autos in ihrem Dorf in der
       > Lausitz – und versteht nicht, wenn wieder von abgehängten Menschen die
       > Rede ist.
       
   IMG Bild: Man konnte spüren, wie stolz die Männer auf ihren Tischtennisverein waren und das war irgendwie schön
       
       „Sagt mal, spielt ihr eigentlich Tischtennis?“, fragte unser Nachbar Willi.
       Zu viert saßen er, seine Frau Christa, Gerda und ich in ihrem Wintergarten
       beisammen. Die Wände vollständig behangen mit alten Blechschildern von
       Bierfirmen, drinnen wird geraucht. Es gab schon wieder Sekt. Lächelnd
       schwelgten die beiden in Erinnerungen darüber, wie sie hier früher ständig
       gefeiert haben. Sie erzählten uns von Christas gefährlichem selbst
       gebrannten Kirsch (Alkohol als sozialer Kleber ist nochmal ein Thema für
       sich), ausgelassenem Tanzen, all den lustigen Abenden.
       
       Es war herrlich, den beiden zuzuhören. Willi erklärte: „Früher hatten wir
       viel weniger, das ist klar. Aber wir waren immer zusammen. Man war ja auch
       aufeinander angewiesen. Wir haben hart gearbeitet und viel gefeiert.“
       Christa ergänzte: „Jeder hat mit seinem Grundstück zu tun und älter werden
       wir auch. Ehe man sich versieht, trifft man sich nur noch an Geburtstagen.“
       
       So geben sich sozialer und demografischer Wandel die Hand. Häufig ist in
       Diskussionen um die [1][strukturschwachen Regionen vom sogenannten
       Abgehängt-sein] die Rede. Wenn man im Dorf spaziert, sieht man überall
       schöne Häuser, gepflegte Gärten und große Autos. Mir drängt sich die Frage
       auf – wie abgehängt sind denn die Leute hier wirklich? Es liegt nahe, als
       Erklärungsversuch eher das Wegbrechen der Sozialstruktur ins Auge zu
       fassen. Doch als treue Amtsblattleserin weiß ich, dass es in der Gegend
       überraschend viele Vereine und Veranstaltungen gibt: über Töpfermärkte,
       Skatturniere, Reisevorträge, Kirchentage bis hin zu Konzerten.
       
       „Aber viele Leute nehmen solche Angebote nicht wahr und kümmern sich auch
       um nichts Eigenes. Von der Couch aus meckert es sich nun mal am besten“,
       erklärte Christa. Vielleicht liegt eine der großen Veränderungen darin,
       dass soziales Miteinander auf dem Dorf früher schiere Notwendigkeit war.
       Heute sind die Höfe saniert und die meisten Leute in Rente. Man muss oder
       müsste sich also aktiv um andere Formen des sozialen Miteinanders bemühen.
       Womit wir wieder beim Tischtennis wären.
       
       ## Keine Aufregung über Wärmepumpe
       
       Willi lud uns ein, am folgenden Dienstag zum Training in den Heuboden zu
       kommen. Der Heuboden ist die einzig verbleibende Kneipe im Dorf –
       froschgrüne Fassade, warme Küche und kaltes Bier. Besagter Dienstag stand
       vor der Tür und Gerda und ich vor der Kneipe. Von drinnen hörten wir
       bereits das Geräusch des Balls, der auf die Platte aufschlug. Wir zögerten
       kurz, lachten etwas nervös und drückten dann doch die Klinke nach unten.
       Drinnen waren alle Stühle und Bänke des kleinen Raums an die
       holzverkleideten Wände gerückt, in der Mitte stand eine neu aussehende
       Platte. Zwei Spieler waren gerade in eine Partie vertieft.
       
       Die Mannschaft bestand aus ungefähr zehn Männern, allesamt weit Ü-60, in
       Vollmontur mit Trainingsanzügen und Turnschuhen. Gerda und ich waren mit
       unseren Alltagsklamotten komplett underdressed. Zum Glück hatten wir
       wenigstens zwei Kellen eingesteckt. Die Männer rückten schnell noch zwei
       Stühle für uns zurecht, stellten sich nett mit Vornamen und
       Straßenanschrift vor und gaben sich alle Mühe, ihre Irritation über das
       plötzliche Erscheinen zweier junger Frauen in ihrer Runde zu verbergen. Der
       Kneipier Karl setzte uns je einen halben Liter frisch gezapftes Bier vor
       die Brust und erklärte, dass es den Tischtennisverein schon seit über
       zwanzig Jahren gibt.
       
       Absolutes Highlight sei das Dezember-Turnier gegen den Verein aus
       Hoyerswerda. Die Dorfmannschaft hat noch nie gewonnen. Aber überhaupt gegen
       die Profis aus der Stadt zu spielen – „Das ist schon was!“ Man konnte
       regelrecht spüren, wie stolz die Männer auf ihren Verein waren und das war
       irgendwie schön. Während die Spieler nach jedem Satz durchwechselten, kamen
       wir mehr und mehr ins Gespräch. Die zentralen Smalltalk-Themen: Wo man
       früher gearbeitet hat, seit wann man im Dorf ist und wie der Hausbau damals
       so verlief. Von uns wollten sie vor allem wissen, was wir beruflich machen
       und wie denn unser kleines Haus beheizt sei.
       
       [2][„Wir haben eine Wärmepumpe“], antwortete Gerda wahrheitsgemäß. Etwas in
       mir spannte sich an, denn ich befürchtete den Beginn einer Diskussion über
       etwaige Heizhämmer. Doch ich sollte mich mal wieder irren. Stattdessen
       erkundigten sie sich neugierig über den Verbrauch und die Wärmeleistung des
       Geräts bei Minusgraden. So fand ich mich also tatsächlich an einem
       Dienstagabend mit zehn Rentnern in Sportanzügen fachsimpelnd über
       Kilowattstunden einer Wärmepumpe wieder.
       
       ## Unpolitisch in hochpolitischen Zeiten?
       
       Solche und ähnliche Interaktionen begegnen uns im Dorf recht häufig. So
       sehr ich mich über die netten nachbarschaftlichen Begegnungen freue, drängt
       sich mir vermehrt die Frage auf, wie politisch das soziale Miteinander hier
       eigentlich ist. Denn entgegen aller Erwartungen haben Gerda und ich bislang
       kaum politische Diskussionen mitbekommen. Äußern wir uns zu Themen wie
       Bildung, Wirtschaft oder Klima wird uns oft wenig entgegnet.
       
       Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass unsere Nachbar*innen schlichtweg
       resigniert sind oder „heiklere“ Themen in unserem Beisein lieber meiden.
       Natürlich geht es mir nicht darum, hier irgendwen links-grün missionieren
       zu wollen, geschweige denn zu können. Und selbstverständlich kann ich einen
       lustigen Kneipenabend ganz ohne Politikdiskussion verbringen.
       
       Gleichzeitig fühlt es sich insbesondere nach den politischen Ereignissen
       der letzten Woche(n) merkwürdig an, mit unseren mehrheitlich CDU- und
       AfD-wählenden Nachbar*innen einen unverfänglichen Plausch am Gartenzaun
       abzuhalten. Was macht man also gegen das Unbehagen: Stärker die
       Konfrontation suchen? Aushalten lernen, dass soziales Miteinander auch in
       hochpolitischen Zeiten unpolitisch sein kann? Oder doch den Rückzug ins
       Private antreten? Bis ich dahingehend schlauer geworden bin, muss ich auf
       jeden Fall noch an meinen Pingpongfähigkeiten feilen.
       
       4 Feb 2025
       
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