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       # taz.de -- Kinotipp der Woche: Animierte 50er
       
       > Im Animationsfilm der Nachkriegszeit dreht sich vieles um die deutsche
       > Geschichte. Auch Kontinuitäten zum Nationalsozialismus zeichnen sich ab.
       
   IMG Bild: Besorgend aktuell: Gerhard Fiebers Fabel „Es war einmal“ (BRD 1957)
       
       „Es war einmal ein Wolkenreich … Nicht gerade ein Musterstaat, aber ein
       Land, in dem es sich leben ließ. Und das ist schon viel, sehr viel sogar!“
       1957 skizzieren Regisseur Gerhard Fieber und Drehbuchautor Boris von
       Borresholm in einem kurzen Animationsfilm mit dem Titel „Es war einmal“ in
       einer Tierfabel Edas Ende der Weimarer Republik und den Aufstieg des
       Nationalsozialismus. Drei Vögel mit deutlichen Ähnlichkeiten zu Hitler,
       Goebbels und Göring spitzen die Auseinandersetzungen in der Gesellschaft
       immer stärker zu, bauen den Staat autoritär um und stürzen die Vögel von
       Wolkenreich schließlich in einen Krieg.
       
       In nur knapp über zehn Minuten schlagen Fieber und der vom Kulturreferenten
       und Erwachsenenbildner zum Drehbuchautor gewandelte von Borresholm einen
       Bogen von den frühen 1930er Jahren bis in die Bundesrepublik. „Es war
       einmal“ ist einer der frühen politischen Animationsfilme der Bundesrepublik
       und entsprechend überrascht es nicht, dass der Filmhistoriker und Kurator
       Jeanpaul Goergen den Film nun in einer kleinen, aber feinen Filmreihe zum
       westdeutschen Animationsfilm der 1950er Jahre erneut präsentiert.
       
       Die Reihe mit dem Titel [1][„Trickreiches Wirtschaftswunder“] lädt den
       Februar hindurch jeden Sonntag dazu ein, heute weitgehend unbekannte
       Kurzfilme zu entdecken. Doch auch wenn die Titel und Namen heute oft
       vergessen sind, haben einige von ihnen die Kulturgeschichte der
       Bundesrepublik mitgeprägt. So war Fiebers Produktionsfirma EOS an der
       Entwicklung der Mainzelmännchen für das ZDF beteiligt – nachdem er während
       des NS für die Ufa-Tochter [2][Deutsche Zeichenfilm GmbH] seine ersten
       Filme realisiert hatte.
       
       Noch etwas mehr als in anderen Filmbereichen überwiegen im Animationsfilm
       die Kontinuitäten zur Zeit der Weimarer Republik, aber auch des
       Nationalsozialismus. Hans Held beispielsweise griff 1958 für „Einigkeit
       macht stark“, den er für die Bundeswehr realisierte, auf Ideen zurück, die
       er schon 1940 für den Propagandafilm „Der Störenfried“, in dem Wespen mit
       Bombergeräuschen unterlegt sind, verwendet hatte.
       
       Hans Fischerkoesen, der in der Weimarer Republik als Werbefilmer begann und
       während des Kriegs Unterrichtsfilme für die Wehrmacht realisierte, kann in
       der Bundesrepublik an seine lukrative Karriere als Werbefilmer anknüpfen.
       Es entstehen Filme wie „Alles in Butter“, der 1953 eine westdeutsche
       Gesellschaft zeigt, in der Mangelernährung kein Thema mehr ist. Der Film
       regt dazu an, den Butterkonsum zu steigern – ein Lebensmittel, das in dem
       Film von glücklichen Kühen in einer zentral in der BRD gelegenen
       Butterfabrik hergestellt wird.
       
       Lotte Reiniger, die seit den 1920er Jahren für ihre Scherenschnittfilme
       bekannt war, kehrt 1949 nach London zurück, wohin sie 1935 mit ihrem Mann
       Carl Koch emigriert war, das sie jedoch 1943 aus familiären Gründen wieder
       verlassen mussten. Mitte der 1950er Jahre realisiert sie in Großbritannien
       eine Reihe von kurzen Märchenfilmen, darunter die 1001-Nacht-Verfilmung
       „Caliph Stork“.
       
       Für eine kurze Zeit ist der Animationsfilm in der frühen Bundesrepublik ein
       zentrales Medium zur Vermittlung von Modernität und neuer Gesellschaft.
       Industrie, Institutionen und politische Parteien – alle setzten in den
       1950er Jahren auf den animierten Kurzfilm und schufen so einen in der
       deutschen Filmgeschichte der Nachkriegszeit einmaligen Markt für
       Filmemacher_innen.
       
       Die Mischung aus Abstraktion und Verspieltheit, die das Medium in jenen
       Jahren prägt, wirkt wie eine Steilvorlage, um sich so unterschiedlichen
       Themen wie der deutschen Geschichte, der Butterproduktion oder auch den
       Bedrohungen des Kalten Kriegs (zu sehen in Hans-Ulrich Ahlefelds „Die rote
       Gefahr“, 1959) zu widmen. Jeanpaul Goergens Reihe im [3][Zeughauskino] ist
       eine Entdeckungsreise in die Kulturgeschichte der Bundesrepublik des
       Wirtschaftswunders.
       
       6 Feb 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.dhm.de/zeughauskino/filmreihe/trickreiches-wirtschaftswunder/
   DIR [2] https://www.deutschlandfunkkultur.de/die-nazis-und-der-zeichenfilm-eine-schlechte-kopie-von-100.html
   DIR [3] https://www.dhm.de/zeughauskino/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Fabian Tietke
       
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