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       # taz.de -- Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar: Viel Bedauern, aber keine Entschuldigung
       
       > Nach mutmaßlich falschen Vorwürfen gegen Gelbhaar will sich sein
       > Kreisverband nicht explizit entschuldigen. Er selbst will im Wahlkampf
       > mithelfen.
       
   IMG Bild: Konnte jetzt vor Gericht einen Erfolg erzielen: der grüne Bundestagsabgeordnete Stefan Gelbhaar
       
       Berlin taz | Prozess gewonnen, (noch) keine Entschuldigung des eigenen
       Kreisverbands bekommen, sich gegenüber der Zeit geöffnet: Umstände und
       Inhalt der Vorwürfe gegen den Grünen-Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar
       sind weiter nicht geklärt. Aber eine Stufe darunter gibt es [1][nach dem
       Wegfall zentraler Vorwürfe] Weiterentwicklungen.
       
       So mochte sich am Dienstagabend sein Kreisverband Pankow, der ihn im
       November mit 98,4 Prozent erneut zum Direktkandidaten für die
       Bundestagswahl machte, aber am 8. Januar durch eine neue Kandidatin
       ersetzte, zwar nicht auf eine Entschuldigung gegenüber dem 48-Jährigen
       festlegen. Die hatte eine Gruppe von Mitgliedern um den
       Landesparlamentarier Andreas Otto beantragt.
       
       Bei einem Parteitreffen unterstützte laut Otto aber eine große Mehrheit von
       über 100 Anwesenden eine geänderte Fassung des Antrags. Darin heißt es:
       Gelbhaar sei politisch wie persönlich schwerer Schaden zugefügt worden.
       „Dies bedauern wir ausdrücklich.“ Man hoffe auf schnelle Klärung, „so dass
       gegebenenfalls eine Rehabilitierung Stefan Gelbhaars möglich gemacht werden
       kann“. Sodann würde man sich freuen, „wenn Stefan Gelbhaar sich zukünftig
       weiter innerhalb unseres Kreisverbands engagiert“.
       
       Die ursprüngliche Formulierung im Antrag hatte gelautet: „Wir bitten Stefan
       Gelbhaar um Entschuldigung, ihn ohne klare Aufklärung der schweren Vorwürfe
       als Bundestagskandidaten abgesetzt zu haben.“ Laut Abgeordnetenhausmitglied
       Otto redete Gelbhaar bei der nicht-öffentlichen Mitgliederversammlung und
       kündigte an, „dass er im Wahlkampf mit dabei ist und uns unterstützt.“ Eine
       Chance, im Februar selbst erneut in den Bundestag gewählt zu werden, hat
       Gelbhaar nicht mehr.
       
       ## Praktische Wiedergutmachung?
       
       Denn am Montag ist die Frist abgelaufen, bis zu der die Grünen und alle
       anderen Parteien ihre Kandidaten bei der Wahlleitung benennen konnten. Eine
       nochmalige Änderung der Nominierung war aus Zeitgründen nicht mehr möglich,
       obwohl am Wochenende ein großer Teil der Vorwürfe gegen Gelbhaar
       zusammengebrochen war: Eine Bezirkspolitikerin hatte nach jetzigem
       Kenntnisstand unter falschem Namen gegenüber dem RBB eine eidesstattliche
       Versicherung abgegeben, die zur Basis der Berichterstattung wurde.
       
       Auf der Landesliste ist Gelbhaar nicht vertreten, weil er unmittelbar
       [2][vor Beginn des dafür zuständigen Landesparteitags Mitte Dezember seine
       Listenbewerbung zurück gezogen] und parallel Journalisten über nicht weiter
       konkretisierte Vorwürfe gegen ihn informiert hatte. Die Bundestagskarriere
       Gelbhaars, die 2017 begann und den Grünen 2021 den ersten Sieg in einem
       Ost-Wahlkreis brachte, ist damit zumindest vorerst beendet.
       Grünen-Bundeschef Felix Banaszak hatte zu Wochenbeginn dazu gesagt: „Stefan
       Gelbhaar ist Schaden zugefügt worden.“ Das bedauere man ausdrücklich.
       
       Wenn aus dem Bedauern praktische Wiedergutmachung werden soll, sind als
       Ersatz für das Bundestagsmandat zwei Wege denkbar: Falls die Grünen nach
       dem 23. Februar mitregieren und das Verkehrsministerium verantworteten,
       könnte Gelbhaar – bisher verkehrspolitischer Sprecher der
       Bundestagsfraktion – in dessen Leitung einsteigen. In der Opposition
       wiederum könnte ihn die Fraktion zum nichtparlamentarischen Geschäftsführer
       mit herausgehobener Verantwortung machen.
       
       Ein zeitweiliger Abgeordnetenhauskollege von Gelbhaar hat währenddessen als
       Reaktion auf die Vorkommnisse die Grünen verlassen. Özcan Mutlu, 14 Jahre
       Mitglied im Berliner Landesparlament und von 2013 bis 2017
       Bundestagsabgeordneter, schreibt in einem Brief an Landes- und
       Bundesvorstand: „Das, was Stefan Gelbhaar widerfahren ist, kenne ich aus
       eigener Erfahrung nur allzu gut.“ Die aktuellen Vorfälle seien kein
       isolierter Einzelfall, sondern Ausdruck eines tief verwurzelten
       strukturellen Problems im grünen Landesverband Berlin. „Für eine Partei,
       die sich sonst moralisch über andere erhebt, ist es geradezu heuchlerisch
       und beschämend, einen Abgeordneten mit falschen Anschuldigungen derart
       skrupellos kaltzustellen“, heißt es weiter. Mutlu hatte sich zuletzt 2021
       erfolglos in Berlin um eine erneute Bundestagskandidatur beworben und
       seither im Landesverband keine Rolle mehr gespielt.
       
       ## Erfolg im Gericht
       
       Auf dem Weg zu der von den Pankower Grünen ins Auge gefassten
       Rehabilitierung konnte Gelbhaar nach eigenen Angaben [3][einen
       gerichtlichen Erfolg erzielen]: Das Landgericht Hamburg urteilte per
       einstweiliger Verfügung, dass der Sender RBB bestimmte Behauptungen nicht
       mehr verbreiten werden darf. „Damit sind alle vier Kernvorwürfe vom Tisch“,
       heißt es in einer Stellungnahme auf Gelbhaars Internetseite. Auf seinen
       eigenen Hintergrund als Jurist und Strafverteidiger ist er gegenüber der
       Wochenzeitung Zeit zu sprechen gekommen. „Der Politiker wurde zersetzt, der
       Mensch zutiefst erschüttert“, sagt er dort. „Was noch steht, ist der
       Anwalt.“
       
       22 Jan 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Vorwuerfe-gegen-Gruenen-Politiker/!6059812
   DIR [2] /Bundestagswahlkampf-der-Berliner-Gruenen/!6056356
   DIR [3] https://www.stefan-gelbhaar.de/post/alle-kernvorw%C3%BCrfe-vom-tisch-landgericht-hamburg-und-landgericht-frankfurt-entscheiden-f%C3%BCr-stefan-ge
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Alberti
       
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