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       # taz.de -- Strafgerichtshof Den Haag gegen Taliban: Ein feministischer Antrag
       
       > Chefankläger Karim Khan beantragt Haftbefehl gegen zwei Taliban-Führer.
       > Die Taliban sollen Frauenrechte „in noch nie dagewesener Weise“ verletzt
       > haben.
       
   IMG Bild: Karim Khan, Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag
       
       Berlin taz | Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH)
       in Den Haag, Karim Khan, hat am Donnerstag Haftbefehle gegen die zwei
       einflussreichsten Anführer der Taliban in Afghanistan beantragt.
       Ausgestellt werden sollen sie für ihr geistliches und politisches Oberhaupt
       Hebatullah Achundzada und den Obersten Richter Abdul Hakim Hakkani.
       
       Sein Büro, so Khan, sei zu dem Schluss gekommen, dass „hinreichende Gründe
       für die Annahme“ vorlägen, dass beide [1][„strafrechtlich verantwortlich
       für das Verbrechen gegen die Menschlichkeit der Verfolgung aus Gründen des
       Geschlechts“] seien. „Im gesamten Hoheitsgebiet Afghanistans“ würden unter
       ihrer Herrschaft „Frauen, Mädchen und die LGBTQI+-Gemeinschaft“ in „noch
       nie dagewesener, skrupelloser und andauernder“ Weise entrechtet.
       
       ## Völkerrechtswidrige Verletzung von Grundrechten
       
       Diese Entrechtung führe „zu zahlreichen schweren, völkerrechtswidrigen
       Verletzungen der Grundrechte der Opfer, einschließlich des Rechts auf
       körperliche Unversehrtheit und Autonomie, auf Freizügigkeit und freie
       Meinungsäußerung, auf Bildung, auf Privat- und Familienleben und auf
       Versammlungsfreiheit.“ Vermeintlicher Widerstand oder Opposition sowie
       Personen, die Frauen und Mädchen in ihrem Kampf unterstützten, würden
       „brutal unterdrückt.“
       
       „Unsere Aktion signalisiert, dass der Status quo für Frauen und Mädchen in
       Afghanistan nicht akzeptabel ist“, so Khan weiter, und die „Verfolgung
       genderspezifischer Verbrechen absolute Priorität“ bleibe, so Khan.
       Afghanische Opfer und Überlebende hätten „schon zu lange unter
       Ungerechtigkeit gelitten.“
       
       Khans Entscheidung war ein Antrag auf Befassung mit diesem Thema durch
       sechs IStGH-Vertragsstaaten, Chile, Costa Rica, Spanien, Frankreich,
       Luxemburg und Mexiko, vorausgegangen.
       
       ## Scharia rechtfertigt nicht Vorenthaltung von Menschenrechten
       
       Khan erklärte ferner, er verträte die Auffassung, „dass die Auslegung der
       Scharia durch die Taliban nicht als Rechtfertigung für die Vorenthaltung
       grundlegender Menschenrechte dienen“ dürfe. Genau das ist deren Begründung
       für ihre Verfolgungspraxis. Hakkani, einer der beiden demnächst Gesuchten,
       erklärte erst am Montag in Kabul, die Aufgabe des Taliban-Regimes sei, „die
       Welt zu überzeugen, sondern das islamische Recht durchzusetzen.“ Sie
       berufen sich zudem auf ihre Souveränität nach dem Scheitern des
       US-geführten Afghanistan-Einsatzes von 2001 bis 2021.
       
       Eine Kammer des IStGH muss jetzt Khans Antrag bearbeiten. Das dauert
       normalerweise vier Monate, kann aber – [2][wie im Fall von Russlands
       Präsident Putin] – schneller gehen. Stimmt sie zu, müsste jeder der 125
       IStGH-Vertragsstaaten die beiden Taliban verhaften, wenn einer von ihnen
       ihr Territorium beträte. Der Gerichtshof hat keine eigene Polizeigewalt und
       führt keine Prozesse in Abwesenheit durch. Allerdings reisen beide selbst
       im eigenen Land sehr wenig.
       
       ## Taliban-Regierung international nicht anerkannt
       
       Afghanistan ist seit 2003 Partei des Rom-Statuts – der rechtlichen
       Grundlage bei der Gründung des IStGH – als die westlich unterstützte
       Taliban-Vorgängerregierung diesem beitrat. Ob das von keinem Land
       anerkannte Taliban-Regime dem noch unterliegt, ist aber umstritten. Im
       September initiierten Australien, Deutschland, Kanada und die Niederlande,
       dass der Internationale Gerichtshof, das höchste UN-Gericht mit Sitz
       ebenfalls in Den Haag, Maßnahmen einleiten solle, wenn Afghanistans
       Herrscher ihre „systematische Verletzung“ der Konvention zur Beseitigung
       jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) nicht einstellen. Damit
       wird indirekt eine weiterbestehende UN-Mitgliedschaft der Taliban
       bestätigt.
       
       Internationale und exil-afghanische Menschenrechtsorganisationen begrüßten
       Khans Schritt. Sie führen eine weltweite Kampagne, dass der Begriff
       „Gender-Apartheid“ anerkannt und als neues Verbrechen gegen die
       Menschlichkeit gewertet wird. Die Taliban reagierten bisher offiziell
       nicht.
       
       Khan kündigte ferner an, dass sein Büro „in Kürze“ weitere Haftbefehle für
       andere hochrangige Mitglieder der Taliban sowie deren Gegner vom
       afghanischen Ableger ISKP des Islamischen Staates beantragen werden.
       [3][ISKP verübt immer wieder Terrorangriffe] auf Vertreter*innen
       ethnischer und religiöser Minderheiten.
       
       24 Jan 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.icc-cpi.int/news/statement-icc-prosecutor-karim-aa-khan-kc-applications-arrest-warrants-situation-afghanistan
   DIR [2] /Internationaler-Strafgerichtshof/!5922646
   DIR [3] /Nach-Anschlag-bei-Moskau/!6001317
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Thomas Ruttig
       
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