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       # taz.de -- Die CDU und die Brandmauer: Der Schlingerkurs des Friedrich Merz
       
       > Mit oder ohne AfD? Der Kanzlerkandidat fordert nach Aschaffenburg
       > drastische Verschärfungen in der Asylpolitik. Nur: Mit wem will er die
       > durchsetzen?
       
   IMG Bild: Friedrich Merz kommt nicht bei allen gut an, diesem Wahlplakat nach zu urteilen
       
       Berlin taz | Wenn Friedrich Merz in den vergangenen Wochen von der AfD
       sprach, war häufig eine Schlange im Spiel. „Wenn man sich eine solche
       Natter an den Hals holt, dann wird man von dieser Natter erwürgt“, sagte
       der CDU-Chef und Kanzlerkandidat der Union etwa vor zwei Wochen bei der
       Vorstandsklausur seiner Partei in Hamburg. Die CDU stand da unter dem
       Eindruck der gescheiterten Koalitionsverhandlungen in Österreich, die nun
       dazu führen könnten, dass die Konservativen im Nachbarland, die ÖVP, den
       rechtsextremen FPÖ-Mann Herbert Kickl zum Kanzler machen und mit ihm
       regieren.
       
       „Ich wiederhole es hier zum Mitschreiben: Eine Zusammenarbeit unter meiner
       Führung wird es mit der CDU in Deutschland nicht geben“, sagte Merz und
       knüpfte sein Schicksal als Parteivorsitzender an diese Antwort. Wochen
       zuvor hatte der CDU-Chef in einer Rede im Bundestag nach dem Scheitern der
       Ampel ausgeschlossen, Anträge einzubringen, bei denen es Zufallsmehrheiten
       mit der AfD geben könne. So weit, so klar.
       
       Doch nach der schrecklichen Attacke von Aschaffenburg, bei der mutmaßlich
       ein psychisch kranker Geflüchteter aus Afghanistan, der Deutschland längst
       hätte verlassen müssen, eine Kindergruppe angriff und einen 2-jährigen
       Jungen marokkanischer Herkunft so wie einen 41-jährigen Passanten tötete,
       ist bei der CDU etwas ins Rutschen geraten. Merz schlingert. Erst Richtung
       AfD, dann wieder etwas zurück.
       
       Erst kündigte er an, in der kommenden Woche Anträge in den Bundestag
       einzubringen, „die ausschließlich unserer Überzeugung entsprechen“, und
       fügte hinzu: „Und wir werden sie einbringen, unabhängig davon, wer ihnen
       zustimmt.“ Fünf Punkte stellte Merz vor, die das Asylrecht drastisch
       verschärfen würden und erklärte Zustimmung zu diesen auch gleich noch zur
       Bedingung für eine Koalition. Darunter: die unbegrenzte Kontrolle aller
       deutscher Grenzen, die dortige Zurückweisung aller, die keine gültigen
       Einreisepapiere haben, das gelte, so Merz, „ausdrücklich auch für Personen
       mit Schutzanspruch“ und eine unbefristete Abschiebehaft.
       
       Grüne und SPD lehnten die Pläne unter anderem wegen rechtlicher Bedenken
       ab, die AfD signalisierte umgehend Zustimmung. Nahm man Merz beim Wort,
       wäre eine gemeinsame Zustimmung mit der extrem rechten Partei nun möglich
       gewesen, sollte es im Bundestag zu einer Abstimmung kommen. Seitdem tobt
       eine öffentliche Diskussion darüber, ob in der CDU nun auf Bundesebene die
       Brandmauer kippt. Am Wochenende haben Zehntausende gegen den Rechtsruck
       demonstriert.
       
       Jetzt hat die Unionsfraktion zwei Antragsentwürfe vorgelegt, einer davon
       zum Thema Migration mit den fünf harten Forderungen, die Merz bereits
       formuliert hatte. Dieser enthält aber auch einen Passus, dem die AfD nicht
       zustimmen kann. „Wer die illegale Migration bekämpft, entzieht auch
       Populisten ihre politische Arbeitsgrundlage. Die AfD nutzt Probleme, Sorgen
       und Ängste, die durch die massenhafte illegale Migration entstanden sind,
       um Fremdenfeindlichkeit zu schüren und Verschwörungstheorien in Umlauf zu
       bringen“, so heißt es in dem Papier.
       
       Und weiter: „Sie will, dass Deutschland aus EU und Euro austritt und sich
       stattdessen Putins Eurasischer Wirtschaftsunion zuwendet. All das gefährdet
       Deutschlands Stabilität, Sicherheit und Wohlstand. Deshalb ist diese Partei
       kein Partner, sondern unser politischer Gegner.“ Das soll wohl nahelegen:
       Die Zustimmung der AfD wollen wir nicht. Warum aber hat Merz zuvor tagelang
       signalisiert, die Union könnte – ohne Absprache zwar – zu einer gemeinsamen
       Abstimmung mit der AfD bereit sein?
       
       Offenbar treibt ihn die Sorge um, Aschaffenburg könne weitere
       Wähler*innen zur AfD treiben. Die liegt in Umfragen inzwischen bei über
       20 Prozent, die Union ist wie festgenagelt bei um die 30. Merz wollte vor
       allem auf das Thema Wirtschaft setzen, doch sein Wahlkampf zündet nicht.
       Jetzt steckt er in einem Migrationswahlkampf, den die CDU eigentlich
       vermeiden wollte. Denn von einer aufgeheizten Debatte bei diesem Thema
       profitiert vor allem die AfD.
       
       [1][Bei der CDU-Vorstandsklausur in Hamburg] war auch Renate Köcher zu
       Gast, die Chefin des Umfrageinstituts Allensbach. Sie hat der CDU-Spitze
       drei Dinge erklärt: Dass die Partei erstens ihr Potential bei weitem noch
       nicht ausgeschöpft hat. Dass sie zweitens deutlich mehr Wähler*innen in
       der Mitte holen kann als rechts von der Union. Und dass die Zustimmung zur
       Union drastisch sinkt, sobald mögliche Koalitionspartner ins Spiel kommen.
       Köchers Empfehlung: auf CDU pur zu setzen, die eigenen Themen nach vorne zu
       stellen.
       
       Merz leitet nach Aschaffenburg daraus offenbar seinen kompromisslosen Kurs
       in der Migrationspolitik ab. Die Überlegung: Die Union muss in diesem
       Politikfeld Handlungsfähigkeit zeigen, damit die Ränder nicht weiter
       zunehmen. Dass Merz sich damit inhaltlich und strategisch dem kleineren
       Wählerreservoir rechts von der Union zuwendet, scheint er dabei in Kauf zu
       nehmen.
       
       Nur: mit seinem Schlingerkurs in Richtung AfD könnte er auch dieses Lager
       vergrätzen. Die AfD setzt bereits alles daran, Merz als Umfaller
       vorzuführen. Und: Trotz des neuen Schwenks in den Anträgen wird die Union
       bis zur Bundestagswahl eine Diskussion über die bröckelnde Brandmauer nicht
       mehr loswerden. Das könnte ihn Wähler*innen in der Mitte kosten. Ob
       dieser Move am Ende bei der Union einzahlt oder für diese nach hinten
       losgeht, ist schwer abzusehen.
       
       Merz Einlassung vor wenigen Tagen, in einem TV-Duell würde er lieber mit
       AfD-Chefin Alice Weidel als mit SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz diskutieren,
       dürfte diesen Eindruck weiter verstärken. Welt TV hat sich umgehend
       angeboten, ein solches Streitgespräch auszutragen. Dort fand vor der
       Landtagswahl in Thüringen auch das Duell zwischen CDU-Mann Mario Voigt und
       dem Rechtsextremisten Björn Höcke statt, dem Landeschef der AfD.
       
       ## Normalisierung der AfD
       
       Viele Expert*innen haben dies als weiteren Schritt zur Normalisierung
       der AfD gewertet. Voigt hat es im Land bekannter gemacht, heute führt er
       als Ministerpräsident eine Minderheitsregierung an. Die AfD allerdings ist
       stärkste Kraft und verfügt im Landtag über eine Sperrminorität.
       
       Als Merz 2023 im Sommerinterview in Sachen Brandmauer auf kommunaler Ebene
       für Irritationen sorgte, gab es aus der Partei umgehend scharfe Kritik,
       insbesondere aus dem liberalen Flügel der Partei. Jetzt aber herrscht
       Stille. Niemand kritisiert öffentlich den gefährlichen Kurs, den Merz jetzt
       eingeschlagen hat. Intern, so ist zu hören, gibt es zwar in Chatgruppen
       durchaus erregte Diskussionen, am Montag wurde eine Sondersitzung des
       Bundesvorstands anberaumt. Aber offenen Widerspruch, den gibt es bislang
       nicht. Das liegt nicht nur daran, dass kurz vor der Bundestagswahl niemand
       dem eigenen Kanzlerkandidaten in den Rücken fallen will.
       
       Es zeigt auch, wie sich der ohnehin stark geschwächte soziale und liberale
       Flügel hinter Merz eingereiht hat. Nicht, dass sie alles gut finden, das
       dieser tut. Aber die Angst ist groß, die letzte große christdemokratische
       Partei Europas könnte einen weiteren Grundsatzstreit nicht verkraften. Und
       den scharfen Kurs in der Migrationspolitik scheinen inzwischen viele von
       ihnen zu teilen. Die schleswig-holsteinische Bildungsministerin Karin Prien
       und Verteidigungspolitikerin Serap Güler jedenfalls haben auf X die fünf
       Forderungen von Merz ausdrücklich gelobt.
       
       Von diesen wird Merz schwer runterkommen, will er nicht als Umfaller
       dastehen. Schließlich hatte er bei der Vorstellung in der vergangenen Woche
       mit Blick auf mögliche Koalitionspartner gesagt: „Kompromisse sind bei
       diesen Themen nicht möglich.“ Das klingt mehr nach Erpressung als nach
       Verhandlungen zwischen demokratischen Parteien.
       
       Eine schwarz-grüne Koalition dürfte damit ausgeschlossen sein. Was aber,
       wenn auch die Sozialdemokraten bei ihrer Position bleiben und nicht
       mitgehen? Dann stünde Merz plötzlich ohne Koalitionspartner da. Ganz so,
       wie das bei der ÖVP in Österreich der Fall war. Eine Koalition mit der AfD
       schließt Merz glaubhaft aus. Dann also Neuwahlen? Damit dürfte die von Merz
       beschriebene Natter noch ein Stückchen weiter an die CDU heranrücken.
       
       26 Jan 2025
       
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