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       # taz.de -- Max-Ophüls-Nachwuchsfilmfest Saarbrücken: Verdammt schwere Gefühle
       
       > Die diesjährige Auswahl des Filmfestivals Max Ophüls Preis offenbarte ein
       > starkes Bedürfnis nach Authentizität und Emotion
       
   IMG Bild: Regisseur Lauro Cress (M) gewinnt mit „Ungeduld des Herzens“ den Preis Bester Spielfilm des 46. Max-Ophüls-Festivals
       
       Technik kann ein Segen sein – wenn man sie zu bedienen weiß. Im soeben beim
       46. Filmfestival Max Ophüls Preis mit den Ehrungen für die Beste Regie und
       das Beste Drehbuch ausgezeichneten „Bagger Drama“ steckt sie schon im
       Titel: Ein Familienbetrieb, bestehend aus Vater Paul, Mutter Conny,
       erwachsenem Sohn Daniel und einer – trotz körperlicher Absenz – zumindest
       emotional spürbaren, tödlich verunfallten Tochter, hat es mit großen,
       technischen Geräten. Man führt, repariert und verleiht Bagger. Und die
       Leidenschaft für die Hebelautomatik macht auch vor dem Privatleben nicht
       Halt. So lässt Daniel nicht nur die Schaufeln Ballett tanzen, sondern fährt
       per Knopfdruck auch gleich noch den Schreibtisch hoch- und das
       Krankenhausbett runter oder öffnet das Garagentor.
       
       Doch der Debütspielfilm des Schweizer Regisseurs Piet Baumgartner legt den
       Fokus eigentlich auf besagtes „Drama“ – denn hinter dem Vorsprung durch
       Technik steckt verdrängte Trauer um den Verlust der Tochter/Schwester, um
       die schmerzhafte Lücke, die niemand in der Familie wirklich formulieren
       möchte – eher trennt man sich und trauert allein. Baumgartners Bagger-Idee
       rettet den sensiblen Film vor zu viel erzählerischer Konvention. Dass
       Daniel irgendwann einen anderen, stattlichen Baggerführer küsst, könnte man
       zudem fast als „Anbaggern“ bezeichnen. Und die pittoresken roten
       Baggerschaufeln glänzen dazu in der Sonne.
       
       Der deutschsprachige Nachwuchs, der eine Woche lang in Saarbrücken Spiel-
       und Dokumentarfilme präsentierte, zeigte auch in anderen Werken einen eher
       introspektiven, privaten, sensiblen Blick. Die [1][Stefan-Zweig-Adaption]
       „Ungeduld des Herzens“ von Lauro Cress, die sowohl mit der Auszeichnung für
       den Besten Film als auch mit den Preisen für den „Besten
       Schauspielnachwuchs“ (Giulio Brizzi und Ladina von Frisching) geehrt wurde,
       gibt die Zweig’sche Liebesgeschichte des Soldaten, der sich in eine
       querschnittsgelähmte Frau verliebt, zart wieder, modernisiert sie in
       manchen, wenn auch nicht in allen Bereichen und bereichert sie um Motocross
       und eine heutige, genderunabhängige Empfindsamkeit. Die beiden
       Hauptdarsteller:innen sind dabei absolut liebenswert – kein Wunder,
       dass sie füreinander Feuer fangen.
       
       ## „Weak spot“ für cineastische Beziehungsklärungen
       
       Aber auch die Festival-Besucher:innen schienen ihren „weak spot“ für
       cineastische Beziehungsklärungen umarmt zu haben: Sie zeichneten das Drama
       „Ich sterbe, kommst du?“ mit einem Publikumspreis aus, zusätzlich gab es
       dafür eine Anerkennung als „gesellschaftlich relevanter Film“. Benjamin
       Kramme erzählt in seinem Debüt von der an Krebs erkrankten, handfesten
       Nadine, die ihre letzten [2][Lebenswochen in einem Hospiz] verbringt und
       dabei versucht, irgendeine Art von Verhältnis zu ihrem kleinen Sohn
       aufrechtzuerhalten – solange es geht.
       
       Extrem anrührend, nachvollziehbar und ehrlich, bricht der Film ebenfalls
       kaum mit erzählerischen oder inhaltlichen Konventionen und Tabus –
       stattdessen ordnet er sich ganz seinem Sujet unter und konzentriert sich
       somit auf das vielleicht Wichtigste: auf diese verdammten, schweren Gefühle
       von Liebe, Verlust, Trauer und die herzzerreißende Angst, vom eigenen Kind
       vergessen zu werden.
       
       Ob man daraus nun schon einen Generationenkonflikt ablesen möchte oder
       nicht: Der Eröffnungsfilm in Saarbrücken, „Muxmäuschenstillx“ von und mit
       [3][Jan Henrik Stahlberg], eine Fortsetzung der radikalen
       Low-Budget-Diskursparodie „Muxmäuschenstill“ aus dem Jahr 2004, wirkte
       gegen das anscheinend momentan besonders starke Bedürfnis nach
       Authentizität und Emotion fast ein bisschen wie aus der Zeit gefallen.
       
       Lockt man mit einer ironischen Hauptfigur über 50 überhaupt jemanden unter
       30 hinterm Ofen hervor? Andererseits: Öfen gibt’s ja auch immer weniger.
       
       27 Jan 2025
       
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