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       # taz.de -- Sängerin Joan Armatrading: Künstlerische Freiheit, die bleibt
       
       > Berühmt ist Songwriterin Joan Armatrading seit den 1980ern. Altersmilde
       > klingt ihr neues Album „How did this happen and what does it now mean“
       > aber nicht.
       
   IMG Bild: Joan Armatrading bei einem Konzert im Jahr 2015 in Berlin
       
       Was macht eigentlich …?, eine Frage, die man ja gerne in Hinblick auf
       Prominente stellt, deren bekannteste Zeit schon etwas zurückliegt.
       Konfrontierte man Joan Armatrading damit, würde sie herzhaft lachen und
       ihrerseits kontern: Was hast du alles nicht mitbekommen?
       
       Denn die 74-jährige britische Singer-Songwriterin mischt zwar schon seit
       mehr als einem halben Jahrhundert im Popgeschäft mit und ihre größten Hits
       wie „Love and Affection“ und „Drop the Pilot“ stammen vor allem aus der
       Vergangenheit, untätig blieb sie danach allerdings nie.
       
       Allein in den letzten beiden Dekaden hat sie etwa eine Trilogie zum
       angloamerikanischen Blues, Rock und Jazz veröffentlicht, hat eine
       musikalische Bearbeitung des Shakespeare-Dramas „Der Sturm“ komponiert
       sowie ihre erste Symphonie. Und mit dem beim Major BMG veröffentlichten
       Werk „How did this happen and what does it now mean“ ist nun ein neues
       Album von Armatrading erschienen.
       
       Künstlerische Unabhängigkeit war für Joan Armatrading schon immer wichtig.
       Wie üblich hat sie auch die zwölf Stücke ihres neuen Albums komplett allein
       im Bumpkin Studio in ihrem Wohnhaus in Surrey eingespielt und produziert.
       
       ## Auf der Höhe der Zeit
       
       Schlagzeug, Bass und Keyboard klingen unaufdringlich und ganz auf der Höhe
       der Zeit, die stilistische Palette ist vielfältig, aber nie wahllos. Der
       eingängige Refrain von „Someone Else“ macht sich gut als Hymne zum
       Mitsingen. Voluminös mit Streicherarrangement und Bläserfanfaren ist die
       Ballade „Irresistible“ aufgebaut. Die für Armatrading typischen Ausflüge in
       den Reggae gibt es in „Say It Tomorrow“.
       
       Der Albumtitel „How did this happen and what does it now mean“ lässt sich
       als Reflexion über den konservativen Backlash auffassen. Das dazugehörige
       Stück kreist um grundsätzliche Fragen, die sich auf Beziehungen genauso wie
       auf die politische Realität anwenden lassen.
       
       Angesichts der thematisierten Ratlosigkeit spenden feste Klavierakkorde und
       ein solides Rhythmusfundament Sicherheit. Dazwischen finden sich zwei
       lässig hingeworfene Instrumentals mit schnörkellosem Rock. Die Gitarrensoli
       machen dabei deutlich, wie viel Spaß Armatrading am Musizieren hat. Ihr
       Alter merkt man höchstens dem leicht brüchigen Gesang von „Redemption Love“
       an.
       
       ## Es geht nie um ihre Befindlichkeit
       
       [1][Joan Armatrading ist keine Bekenntnis-Musikerin, die ihr eigenes Leben
       oder ihre Gefühle zum Ausgangspunkt von Songs macht.] Sie sieht sich eher
       als Beobachterin, die das Gesehene in Worte und Noten übersetzt. Dies zeigt
       sich auf dem neuen Album vor allem in der Single „I’m Not Moving“. Das Lied
       basiert auf einem erlebten, verstörenden Vorfall: Ein junger,
       offensichtlich psychisch angekratzter Mensch drohte in aller
       Öffentlichkeit, sich nicht vom Fleck bewegen und alle Passanten in seiner
       Nähe umbringen zu wollen.
       
       [2][Die Aggressivität verwandelt Armatrading in einen bedeutungsoffenen
       Protestsong] zwischen Größenwahn und Hilfeschrei, aber auch
       Selbstbehauptung und Ungehorsam.
       
       Nicht zuletzt könnte man die Zeilen „I’m not moving / I am staying right
       here“ auch als das Lebensmotto von Joan Armatrading verstehen, die als
       feministische Pionierin geradlinig ihren Weg gegangen ist und damit vor
       allem jüngeren Musikerinnen als Vorbild dient. Die afrobritische Künstlerin
       hat sich zwar alle Möglichkeiten geschaffen, jederzeit ihre Musik aufnehmen
       zu können. Sie ist aber keine Vielschreiberin, die irgendwann einen Berg
       unveröffentlichten Materials hinterlassen wird.
       
       Bleibt zu hoffen, dass noch viele weitere Alben folgen werden.
       
       31 Jan 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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