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       # taz.de -- Kinotipp der Woche: Ungleiche Jahre
       
       > Vampire der Armut und Melancholie in Athen: Die Woche der Kritik stellt
       > in ihrer 11. Ausgabe die Klassenfrage und lädt wieder zu Konferenz und
       > Filmen.
       
   IMG Bild: Nur Kulissse?: „What We Ask of a Statue Is That It Doesn’t Move“ (R.: Daphné Hérétakis, GRC/FRA 2023)
       
       Die Welt geht gerade unter, da ist es nur folgerichtig, sich so kämpferisch
       zu geben wie die elfte Ausgabe des Filmfestivals [1][Woche der Kritik], das
       wie immer weitgehend parallel zur Berlinale statt findet. „Zurück zur
       Klassenfrage – Filme und soziale Ungleichheit“ lautet in diesem Jahr der
       Titel der Auftaktkonferenz, die am 12. Februar in der [2][Akademie der
       Künste] statt findet, bevor es mit dem Filmprogramm acht Tage weiter im
       Hackesche Höfe Kino geht.
       
       Dort beispielsweise mit einem Film wie „Vampires of poverty“ von Luis
       Ospina und Carlos Mayolo. Das halbstündige Werk ist zwar bereits fast 50
       Jahre alt, aber sein beißender Spott über die Armut der einen, mit der die
       anderen auch noch Geld verdienen, verfängt auch heute noch. In der
       Mockumentary durchstreifen ein paar Leute vom Fernsehen im Auftrag eines
       deutschen Senders die kolumbianische Stadt Cali, um mit der Kamera ein paar
       hübsche Bilder für die bestellte Armutsreportage einzufangen.
       
       Bettler werden ungefragt gefilmt, Kinder dazu animiert, nach ein paar
       Münzen in einem Brunnen zu tauchen und dann wird noch eine ganze Familie
       gecastet, der es eigentlich ganz gut geht, die aber erzählen soll, dass sie
       am Hungertuch nagt. Die Menschen in Cali sind nur noch genervt von den
       Fernsehleuten mit der guten Bezahlung aus dem reichen Deutschland und
       klagen: Die Vampire der Armut sind wieder unterwegs. Bis einer kommt und
       sagt: ihr könnt euch meine Armut nicht kaufen.
       
       Auch in „What We Ask of a Statue Is That It Doesn’t Move“ (2023) von Daphné
       Hérétakis haben ein paar Menschen das Gefühl, nur noch Teil einer Kulisse
       zu sein, begafft von reichen Touristen, die in Athen nach den Spuren des
       antiken Griechenlands suchen und sich als Höhepunkt natürlich das Parthenon
       ansehen wollen.
       
       Die jungen Leute haben langsam genug von ihrer eigenen Melancholie und
       davon, sich selbst in diesem Athen wie Jahrtausende alte bewegungslose
       Statuen vorzukommen. Also kommen sie auf die Idee, es so machen zu wollen
       wie die guten alten Futuristen: der ganze überkommene Krempel muss weg und
       das Parthenon in die Luft gesprengt werden. Wer ist mit dabei? Kaum jemand,
       der revolutionäre Geist ist kaum irgendwo zu finden und die Melancholie
       bleibt deshalb weiterhin grenzenlos.
       
       Lang- und Kurzfilme, neue Produktionen und Klassiker, es geht mal wieder
       drunter und drüber beim Filmprogramm der Woche der Kritik. Der Blick auf
       die Vielfalt des globalen Kinos soll hier geschärft werden. Auch dadurch,
       indem gezeigt wird, mit welch einfachen Mitteln und ein paar guten Ideen
       bereits ein interessanter Film entstehen kann.
       
       Beispielsweise der Kurzfilm „Tragedy“ von Bernardo Zanotta. Der Filmemacher
       zeigt ein paar wacklige Aufnahmen einer Videokamera. Auf denen ist ein Mann
       zu sehen und eine Frau, mal im Garten, mal in einem Haus. Dann wird
       erzählt, dass diese Bilder einen Mord dokumentieren würden, die Spannung
       steigt also. Man erlebt die Magie des Kinos nun in einer Art Workshop,
       sieht, wie eine haarsträubende Geschichte entsteht, indem zu einfachen
       Bildern etwas erzählt wird, was diesen eine neue Bedeutung verleiht.
       
       Auch so ein Meisterwerk der einfachen Mittel ist „Sleep#2“ des gefeierten
       rumänischen Regisseurs Radu Jude. Er schneidet hier das im Zeitraum eines
       Jahres entstandene Best of von Aufnahmen einer Web-Cam aneinander, die auf
       das Grab des Popart-Meisters Andy Warhol in Pittsburgh gerichtet ist.
       
       Wie der Titel andeutet, hat man es hier mit einer Hommage an Warhols
       Experimentalfilm „Sleep“ zu tun. Man sieht also Warhols Grab bei Tag und
       bei Nacht, mal umschlichen von einem streunenden Hund, dann belagert von
       einer ganzen Reisegruppe. Eine Stunde lang immer nur ein Grab zu sehen, das
       kann, wirklich wahr, regelrecht kurzweilig sein.
       
       12 Feb 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://wochederkritik.de/de_DE/programm-2025/
   DIR [2] https://www.adk.de/de/programm/?we_objectID=67392
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Hartmann
       
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