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       # taz.de -- Freestyle Chess an der Ostsee: Glamouröse Brett-Show
       
       > In einem Luxusresort an der Ostsee wird gerade eine Schach-Revolution
       > vorangetrieben. Der Weltverband hält dagegen. Es geht um Macht und Geld.
       
   IMG Bild: Duell im Weissenhaus: Nodirbek Abdusattorov (l.), Weltmeister im Schnellschach 2021, und Dommaraju Gukesh, Schachweltmeister 2024
       
       „And the number is: 200“ liest Holly Buettner die Ziffern auf einer kleinen
       Kugel vor. In weißer Manschetten-Bluse und Louboutin-Stilettos steht sie
       auf einer Bühne im Luxusresort Weissenhaus an der Ostsee. Wie der
       Verschnitt einer Wettshow in Vegas sieht es hier aus, mit Lottomaschine,
       rotem Vorhang, Trophäe und Gong. Beobachtet wird sie von zehn Männern in
       bunten, maßgeschneiderten Samt-Jacketts. Sie sind die eigentlichen Stars
       der Veranstaltung. Denn die ganze Show wird abgezogen, damit sie Freestyle
       Chess spielen können. Eine Spielvariante, die Schach revolutionieren soll.
       
       Zumindest, wenn es nach Jan Henric Buettner, dem Gatten der Showmasterin,
       geht. Der 60-Jährige ist Unternehmer, selbsternannter Gründer von Freestyle
       Chess und hostet in seinem [1][Private Nature Luxury Resort] in dieser
       Februarwoche den Auftakt der „Freestyle Chess Grand Slam Tour“. Sein
       Mitstreiter ist der [2][weltbeste Schachspieler Magnus Carlsen.]
       
       Beim Freestyle werden die hinteren Spielsteine auf dem Brett mit
       ausgeloster Grundstellung zufällig angeordnet. Das soll Schach zugänglicher
       machen, da es verhindert, dass Partien durch einstudierte
       Eröffnungssequenzen entschieden werden. Ganz innovativ ist das nicht, Bobby
       Fischer hat mit Fischerschach diese Spielvariante schon in den 1990ern
       erfunden. Neu ist, aus dem Spiel eine Marke zu machen. Jan Henric Buettner
       hat bisher selbst 3 Millionen Euro investiert und das Preisgeld für dieses
       Jahr mit insgesamt 750.000 Dollar ungewöhnlich hoch angesetzt.
       
       Und er hat weitere Geldgeber*innen gefunden. Etwa Jan Deepen, der
       Gründer des Zahlungsdienstleisters SumUp, oder die NBA-Legende Derrick
       Rose, mit dem eine Schachshow in Vegas geplant sei. „Mir geht es darum,
       dass die Spieler Spaß haben“, sagt Buettner. Auf seiner Gürtelschnalle
       prangt das Logo von Freestyle Chess – zwei Meerkatzen aus dem Wappen des
       Weissenhaus-Schlosses.
       
       ## Inszenierte Rebellion
       
       Der Spaß – und vielleicht das Geld – bringt die internationale Elite des
       Schachs ins Luxusresort: Den amtierenden und jüngsten Weltmeister Gukesh
       Dommaraju, die Nummer 2 in der Weltrangliste nach Carlsen, Fabiano Caruana.
       Oder Alireza Firouzja, Großmeister und Fashion-Ikone. Magnus Carlsen läuft
       passend zum Gastgeberpaar auf – in weißem Jackett, das Weissenhaus-Wappen
       auf das Hemd gestickt. Noch im Dezember hatte er sich bei einem Spiel
       geweigert, dem offiziellen Dresscode des Schachweltverbands Fide zu folgen
       und stattdessen in Jeans gespielt.
       
       Diese [3][inszenierte Rebellion] rückte die Fide in ein schlechtes Licht –
       eine perfekte Publicity für das Freestyle-Chess-Event. Der Verband wurde
       von der Gegenwart eingeholt, denn die Welt des Schachs hat sich seit der
       Pandemie digitalisiert. Über Werbung und exklusive Inhalte laufen
       mittlerweile lukrative Geschäfte auf den Onlineplattformen. Schon vor dem
       Turnier im Weissenhaus ist daher klar, wer gewinnt: Carlsen als
       Markenbotschafter und Buettner als Unternehmer dürften großen Profit aus
       der Veranstaltung schlagen.
       
       Doch die Fide will mitreden. Sie sieht sich in ihrem Vorrecht, Regeln für
       die Schachwelt aufzustellen, verletzt. So beansprucht die Organisation,
       dass nur sie einen Weltmeistertitel vergeben darf. Genau darüber stritten
       sich Buettner und der Vorsitzende der Fide, Arkady Dvorkovich, monatelang.
       Denn es stand im Raum, den Gewinner des Freestyle Slam „Weltmeister“ zu
       nennen. Wer mit dieser Idee aufkam? Buettner behauptet, die Fide sei auf
       ihn zugekommen und habe für die Vergabe 500.000 Dollar gefordert, er habe
       nur 100.000 geben wollen. Auf eine Anfrage der taz äußert sich die Fide
       dazu nicht. [4][In einer Mitteilung lehnte die Organisation den Deal aber
       offiziell ab] und kritisierte den „intransparenten Qualifikationsprozess“
       des Turniers.
       
       Zudem habe der Verband Spieler unter Druck gesetzt: Wenn sie beim
       Freestyle-Turnier dabei wären, dürften sie nicht mehr an Turnieren der Fide
       teilnehmen. „Kinderkacke“, findet Buettner und organisierte am Sonntag
       einen „runden Tisch“ im Weissenhaus, damit die Spieler selbst entscheiden,
       welcher Titel künftig vergeben wird. Der im Herbst in Südafrika zu kürende
       Gewinner soll nun „Freestyle Chess Champion“ heißen. Die Welt wird mal eben
       aus dem Titel gestrichen, teilte der Pressesprecher am Montag mit. Das
       hätten die Spieler einstimmig entschieden.
       
       ## Nur digital zugängliches Event
       
       Allerdings gibt es weitere Regeln, die die Fide und den
       privatwirtschaftlichen Verein Freestyle Chess unterscheiden. Die Fide
       verbietet etwa seit dem russischen Angriffskrieg Spielern, unter russischer
       Flagge anzutreten. „Wir versuchen, möglichst unpolitisch zu sein“, sagt
       Buettner. So ganz einig sind sich Buettner und die Turnierleitung aber
       anscheinend nicht. Für Wettkampf-Direktor Sebastian Siebrecht ist klar,
       dass russische Spieler auch im Freestyle Chess unter der neutralen
       Fide-Flagge spielen würden.
       
       Außerdem fördert die Fide Nachwuchstalente, etwa durch Workshops an
       Schulen. Freestyle Chess will das durch eine „Freestyle Chess Academy“ auch
       schaffen. Wie die genau aussehen soll? „Ich erzähle gerne erst mal und
       schaue dann, wie’s läuft“, erklärt Buettner.
       
       Auch die im Weissenhaus viel betonte Zugänglichkeit von Freestyle-Schach
       ist weitläufig zu verstehen. Bei klassischen Schachturnieren ist es etwa
       üblich, Schachbretter für die Gäste aufzustellen. Schach-Amateure wie auch
       Zuschauer*innen kann man auf diesem Turnier aber lange suchen. „Wir
       mussten leider aus Platzgründen Leute wegschicken, die aus Hamburg und
       Bremen angereist waren“, sagt ein Sprecher der taz. Dafür ist die ganze
       Veranstaltung online zugänglich. Es sind mehr Kameras als Menschen vor Ort,
       auch die größten Schach-Influencer sind eingeladen. Ein Händchen für den
       Hype hat Freestyle Chess also.
       
       Kurz nach der Ziehung der Kugel erscheint auf der Leinwand die Kombination
       für die Aufstellung der nächsten Partie. Die Spieler der gleichen Farbe
       können zusammensitzen, sich über die Startpositionen austauschen.
       Währenddessen dann nur noch das Klicken der Uhren. An diesem Samstag
       gewinnt Alireza Firouzja die erste Runde. Für sein Post-Game-Interview
       zieht er sich noch schnell eine Prada-Jacke über, seine Augen glänzen
       hinter der Louis-Vuitton-Brille. Zwischen all dem Glamour freut er sich
       einfach über den Sieg.
       
       11 Feb 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.weissenhaus.de/en/packages.html
   DIR [2] /Streit-um-die-Zukunft-des-Schachs/!6058251
   DIR [3] /Schachstar-Magnus-Carlsen-in-Jeans/!6053238
   DIR [4] https://www.fide.com/news/3409
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ann-Kathrin Leclere
   DIR Nathan Pulver
       
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