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       # taz.de -- Autoverkehr in Berlin: Unentwegt über dem Limit
       
       > Messungen haben bestätigt, was man eigentlich doch schon weiß. Dass
       > Autofahrer auf Berlins Straßen zu schnell unterwegs sind, ist der
       > Normalfall.
       
   IMG Bild: Nicht zu übersehen. Nur halten sich halt nicht alle an diese 30 auf Deutschlands Straßen
       
       Berlin taz | Wer auf dem Fahrrad oder im Auto in deutschen Städten
       regelmäßig unterwegs ist, weiß es aus eigener Anschauung: An die innerorts
       herrschenden Geschwindigkeitsbegrenzungen hält sich kaum jemand – seien es
       die generell zugelassenen 50 Stundenkilometer oder die 30 km/h, die schon
       in den meisten Nebenstraßen, aber auch auf vielen Abschnitten von
       Hauptverkehrsstraßen gelten. Dass in sogenannten Spielstraßen tatsächlich
       Schrittgeschwindigkeit gefordert ist – sogar für RadfahrerInnen –, wissen
       viele noch nicht einmal.
       
       Die einzigen VerkehrsteilnehmerInnen, die regelmäßig etwas anderes erleben
       dürften, sind PolizistInnen in Einsatzfahrzeugen: Um sie herum bilden sich
       zuverlässig kleine Taschen der Tempolimit-Gehorsamkeit. Und auch überall
       dort, wo Radarkontrollen Verstöße dokumentieren, bilden sich solche Blasen.
       Sei es, weil die Blitzer weithin sichtbar am Straßenrand aufgestellt sind,
       sei es, weil sich die Information über ihre Standorte durch autofreundliche
       Radiosender, Apps oder schlichte Mundpropaganda verbreitet. Das führt zu
       einer lokal streng begrenzten Entschleunigung, verzerrt aber das
       Gesamtbild.
       
       Die regelmäßige Auswertung der Radarfallen durch die Berliner Polizei
       ergibt, dass nur rund 5 Prozent der VerkehrsteilnehmerInnen (in den
       allermeisten Fällen motorisierte) zu schnell fahren – wobei da flottes
       Fahren im Rahmen des berühmten Toleranzwerts schon herausgerechnet ist. Ein
       deutlich präziseres Bild zeichnet nun eine andere Polizeistatistik: Sie
       beruht auf anonymen Messungen durch unscheinbare Sensoren, die temporär
       Berliner Straßen scannen.
       
       Weil praktisch niemand die Kästchen wahrnimmt und die Geräte auch gar keine
       Fotos schießen können, bilden sie die harsche Realität eins zu eins ab. Und
       die lautet, zumindest auf 148 Berliner Straßen in den vergangenen beiden
       Jahren: [1][Im Schnitt mehr als ein Viertel fährt deutlich zu schnell],
       also oberhalb der Toleranzgrenze.
       
       ## Besonders schnell durch den Wald
       
       Tatsächlich waren es auf 25 dieser Straßen 50 Prozent
       Zu-schnell-FahrerInnen, auf 15 Straßen sogar zwei Drittel. Den Spitzenwert
       von fast 95 Prozent erreichte, auch das dürfte wenige wundern, eine
       Straßenverbindung durch ein Waldstück im Berliner Bezirk Pankow, auf der
       Tempo 50 gilt und an der auch hin und wieder ein paar Wohngebäude stehen.
       
       Um wie viel km/h die einzelnen Fahrzeuge zu schnell fuhren, gibt die
       Statistik nicht her, aber das Bild ist klar, und es dürfte in vielen
       deutschen Städten ähnlich aussehen. Man könnte nun daraus folgern, dass ein
       generelles Tempolimit von 30 km/h innerorts, [2][wie es Mobilitäts- und
       KlimaaktivistInnen schon lange fordern], für die Katz ist – hält sich ja in
       der Praxis eh keiner dran.
       
       Das stimmt so natürlich nicht, denn jede Absenkung der zugelassenen
       Geschwindigkeit zieht im Schnitt auch die illegalen Überschreitungen mit
       nach unten. Aber ohne eine massive Ausweitung von Kontrollen wird es
       künftig wohl nicht gehen.
       
       In Berlin fordern die Grünen jetzt die digital unterstützte Überwachung von
       Tempolimits, eine deutliche personelle Verstärkung der Bußgeldstelle und
       saftigere Sanktionen fürs kleine Rasen nebenbei. Die verkehrspolitische
       Fraktionssprecherin Antje Kapek liebäugelt mit dem finnischen Modell, wo
       die Strafen drakonisch sind und man sogar schnell den Führerscheinentzug
       auf Lebenszeit riskiert.
       
       Noch schöner wäre natürlich, bei AutofahrerInnen setzte sich die Erkenntnis
       durch, dass ein schwerer Fuß auf dem Gaspedal in den seltensten Fällen für
       große zeitliche Einsparungen in der Stadt sorgt – mit Sicherheit aber für
       Stress, Lärm und immer wieder schwere Unfälle.
       
       7 Feb 2025
       
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