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       # taz.de -- Bericht zu Afghanistan-Einsatz: Ambivalente Empfehlungen für Hochrisikoeinsätze
       
       > Die Enquetekommission legt ihren Abschlussbericht zum gescheiterten
       > Afghanistan-Einsatz vor. Das Fazit ist verheerend.
       
   IMG Bild: Krachend gescheitert: Der Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan
       
       Berlin taz | „Sehr, sehr wenig“ war gut in Afghanistan, so die Hamburger
       Friedensforscherin Ursula Schröder am Montag in Berlin. Das betrifft sowohl
       die Folgen des 20-jährigen Einsatzes für die dortige Bevölkerung als auch
       die Rolle Deutschlands dabei. In künftigen deutschen Auslandseinsätzen soll
       nun einiges besser werden, auch wenn das Afghanistan nicht mehr hilft.
       
       Das geht aus dem Abschlussbericht der Bundestags-Enquetekommission hervor,
       die über zweieinhalb Jahre beide Themen beackerte, um Schlussfolgerungen
       für solche Einsätze zu erarbeiten. Am Montag verabschiedeten die 22
       Mitglieder der Kommission – zur Hälfte Abgeordnete aller Fraktionen und zur
       Hälfte Sachverständige wie Schröder – ihren Bericht mit 72 Empfehlungen.
       Einstimmig übrigens, von den Grünen bis zur AfD, auch wenn alle Fraktionen
       Sondervoten mit abweichenden Meinungen zu Einzelfragen abgaben.
       
       Die Kommission war sich darüber einig, dass es Auslandseinsätze auch in
       Zukunft geben wird. Die Zahl der Kriege weltweit, so Schröder, sei seit dem
       Ende des 2. Weltkriegs nie so hoch gewesen wie jetzt. Deutschland „wird“
       dazu weiter seinen Beitrag leisten, heißt es in dem Bericht, wenn wohl auch
       nicht in dem Umfang wie in Afghanistan. Die Grünen-Abgeordnete Schahina
       Gambir erklärte: „So wie wir in Afghanistan gescheitert sind, dürfen wir
       nie wieder scheitern.“
       
       Die Linke, nach ihrer Spaltung in zwei Bundestagsgruppen, war zuletzt nicht
       mehr vertreten. Man wäre bei ihr wie beim BSW gespannt gewesen, ob sie
       diesen überraschenden Konsens mitgetragen hätten.
       
       ## Fehlende „Landeskenntnis und Konfliktverständnis“
       
       Der Konsens resultierte auch daraus, dass sich die Kommission in ihre
       Empfehlungen um einen konstruktiven Ton bemüht. Eine vernichtende Analyse
       der deutschen Afghanistan-Politik hatte sie schon im vorigen Februar [1][in
       einem Zwischenbericht] formuliert. „Gemeinsam mit seinen internationalen
       Partnern“ sei man „strategisch gescheitert“, „gesamtstaatliche
       Strategiebildung“ und „ressortübergreifende Planung“ seien nicht erkennbar
       gewesen, sondern in „Ressortegoismen“ zwischen dem federführenden
       Auswärtigen Amt, Verteidigungs-, Innen- und Entwicklungsministerium
       untergegangen.
       
       Es habe an „Landeskenntnis und Konfliktverständnis“ gemangelt, obwohl das
       in der Forschung „durchaus vorhanden“ gewesen sei. Der zivile Wiederaufbau
       blieb „unterfinanziert“; der Löwenanteil der Mittel floss in den
       Bundeswehreinsatz, der auch die meiste öffentliche Aufmerksamkeit bekam.
       
       Im Großen mahnt die Kommission für künftige Einsätze eine „tatsächliche
       Gleichwertigkeit ziviler und militärischer Instrumente“ an. Es müsse eine
       „kohärente Strategie“ einschließlich „Exit-Strategie“ sowie „klare,
       überprüfbare und realistische Ziele“ geben. Daran habe es in Afghanistan
       gemangelt. Militärhistoriker halten mit Clausewitz allerdings dagegen:
       „Strategie hält so lange, bis der erste Schuss fällt.“ Auch das ist eine
       Erfahrung aus Afghanistan, wo die besiegt geglaubten Taliban die sich
       auftürmenden Fehler des Westens nutzten, um zurück an die Macht zu
       marschieren.
       
       Die Fehler waren in Deutschland nicht zuletzt eine Folge der „ignoranten
       Absenz von selbst basalstem Sachverstand der gesellschaftlichen,
       politischen und historischen Kontexte Afghanistans“ im Zusammenspiel mit
       „Realitätsverleugnung“ und der „Unfähigkeit zum institutionellen Lernen“.
       Das schreiben die beiden von den Grünen nominierten sachverständigen
       Kommissionsmitglieder Katja Mielke und Winfried Nachtwei auf der Webseite
       des Bonner Konfliktforschungsinstituts BICC.
       
       ## Braucht es einen Nationalen Sicherheitsrat?
       
       Gambir bemängelt, afghanische Stimmen seien „20 Jahre lang von der
       Bundesregierung nicht gehört“ worden. Deshalb verlangt die Kommission eine
       bessere Einbeziehung der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft. Mielke
       sprach sich für eine „Sonderinitiative“ des Bundesforschungsministeriums
       aus.
       
       Allerdings habe es weniger an Wissen gefehlt, sondern an „Ehrlichkeit“, so
       das zweite Grünen-Kommissionsmitglied Philip Krämer. In solch einem Klima
       gedeiht Schönfärberei. Sie habe über Jahre Politikberatung gemacht, so
       Mielke am Montag, aber „man ist einfach nicht durchgestoßen“. Deshalb gab
       es zu Afghanistan „auch nie eine umfassende, unabhängige Evaluierung“. Mit
       einer „klaren Kommunikation“ der Bundesregierung gegenüber Parlament und
       Öffentlichkeit soll sich das künftig ändern, verlangt die Kommission.
       
       Anderes hört sich wenig innovativ bis bürokratisch und mitunter sogar
       blauäugig an. So streiten sich die Parteien, ob der Bundestag mit einem
       neuen Ausschuss oder nur einem Unterausschuss „seiner Kontrollfunktion
       besser gerecht werden“ könne, wo künftig Krisenlagebilder zusammengeführt
       werden sollen und ob dazu ein Nationaler Sicherheitsrat wie in den USA
       nötig sei.
       
       Letzteres befürworten Union und AfD, während die Grünen das „eher
       distanziert“ und die SPD vehement ablehnt, weil damit die parlamentarische
       Kontrolle geschwächt werde. Darauf, dass Deutschland in Krisenstaaten „auf
       ein gemeinsames Vorgehen der EU setzen“ soll, hätte man eher kommen können
       und ist angesichts ständiger Europa-Rhetorik ein Armutszeugnis. In
       Afghanistan bremste Berlin gerade in Menschenrechtsfragen seine EU-Partner
       eher.
       
       ## Bundestag selbst überfordert
       
       Und dass Deutschland in Kriseneinsätzen die „Grundnormen der VN-Charta“ wie
       das „Gebot der friedlichen Streitbeilegung, Verbot von Aggressionen“ sowie
       „Kollektivmaßnahmen gegen Friedensstörungen“ hochhalten soll, ist löblich.
       Angesichts der geostrategischen Verschiebungen und rauerer
       zwischenstaatlicher Sitten könnte man dabei gerade ohne europäische
       Koordination aber bald auf einsamem Posten stehen.
       
       Selbstkritik wäre im Bericht beinahe nicht aufgetaucht, so Nachtwei, 1994
       bis 2009 selbst im Bundestag. Immerhin steht nun dort: Der Bundestag sei
       mit der Kontrolle des von ihm mandatierten Afghanistan-Einsatzes „insgesamt
       strukturell überfordert“ gewesen. Laut Nachtwei heiße das „im Klartext,
       dass das deutsche Parlament mitverantwortlich ist für das Scheitern in
       Afghanistan.“ Auch er persönlich fühle sich „schuldig“. Der größte
       Schatten, der für ihn über dem Bericht liege, sei, dass die Aufarbeitung
       erst umgesetzt wurde, „als das Kind schon in den Brunnen gefallen war“.
       
       Zum Mandat der Kommission gehörte nicht, Lehren [2][für eine künftige
       deutsche Afghanistanpolitik zu formulieren]. Das müsse die künftige
       Regierung machen, so Michael Müller, der Vorsitzende der Kommission. Er
       hoffe, dass sie dazu auch zu diesem Bericht greife. Afghanistan bleibe
       „geostrategisch eine höchstrelevante Region“, so auch der Grüne Krämer.
       
       Seine Partei sieht weiter deutsche „Verantwortung für die afghanische
       Bevölkerung, besonders für Frauen und Mädchen“ und will dafür humanitäre
       Hilfe weiter finanzieren. Die SPD will das sogar wieder auf langfristige
       Entwicklungszusammenarbeit ausdehnen. Beide Parteien sprechen sich für die
       Einrichtung eines deutschen Verbindungsbüros in Kabul aus, ausdrücklich
       unterhalb einer diplomatischen Anerkennung des Taliban-Regimes. Angesichts
       der gegenwärtigen Flüchtlingsdebatte könnte daraus schnell ein
       Abwicklungsbüro für Abschiebungen werden.
       
       Die Grünen wollen sich zudem dafür einsetzen, dass es „auch über diese
       Legislatur hinaus [3][humanitäre Aufnahmen aus Afghanistan] geben“ müsse.
       Für die CDU hingegen ist laut einem Sondervotum „im Rückblick nicht
       erkennbar, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der ehemaligen
       afghanischen Regierung oder ehemalige Ortskräfte signifikanten Repressionen
       oder einer strukturellen Gefährdung aufgrund ihrer vergangenen Tätigkeit
       ausgesetzt“ gewesen wären. Im Klartext: Unter einer CDU-Regierung arbeiten
       Ortskräfte künftiger Auslandseinsätze bei Deutschen auf eigenes Risiko.
       Dabei, so Schröder, sind das „immer Hochrisikoeinsätze, die scheitern
       können“.
       
       28 Jan 2025
       
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