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       # taz.de -- Künstliche Intelligenz: Was die chinesische KI DeepSeek für Europa bedeutet
       
       > Die vorher kaum bekannte chinesische KI-Firma DeepSeek hat einen
       > Überraschungserfolg geschafft. Darin steckt auch eine Hoffnung für
       > Europa.
       
   IMG Bild: Der Wal ist das Symbol der chinesischen KI-Firma. Die App mit dem entsprechenden Logo wird gerade millionenfach in App Stores heruntergeladen
       
       Gleich nach seiner Vereidigung als US-Präsident [1][hatte Donald Trump
       gigantische Investitionen in künstliche Intelligenz angekündigt]:
       Rechenzentren, Chip-Fabriken, whatever it takes. Regulationen wurden
       gekippt, mehrere US-Unternehmen, darunter auch die KI-Softwarefirma OpenAI,
       gelobten, Milliardensummen in das Projekt zu stecken. Das erklärte Ziel:
       die Ersten zu sein im Wettrennen um die klügste KI.
       
       Ziemlich zeitgleich mit der Ankündigung des Projektes veröffentlichte ein
       bislang [2][kaum bekanntes chinesisches Unternehmen eine KI mit dem Namen
       DeepSeek-R1]. Nur 5,6 Millionen Dollar soll das Modell nach eigenen Angaben
       des Start-ups aus Hangzhou gekostet haben. Trotzdem kann es in
       vergleichenden Tests mit den neuesten Modellen großer Tech-Firmen
       mithalten.
       
       Damit hat die kleine Firma eine Sensation gelandet. Voriges Jahr hatte
       Dario Amodei, Chef der KI-Firma Anthropic, die Kosten für das Training
       einer leistungsfähigen KI noch auf 100 Millionen bis 1 Milliarde Dollar
       geschätzt. ChatGPT hat nach Angaben des Herstellers OpenAI rund 100
       Millionen Dollar gekostet. Die leistungsstärkeren Modelle von OpenAI
       bekommen Normalsterbliche aktuell gar nicht zu sehen, so etwa das
       Milliardenprojekt und bislang beste OpenAI-Modell, o1. Mit genau diesem
       kann es R1 in vielen Tests wohl aufnehmen.
       
       Eine offenbar günstige KI schlägt eine teurere. Ist das mehr als ein Grund
       zur Schadenfreude? 
       
       In der Tech-Branche wird gern von Disruption gesprochen, jetzt gab es mal
       welche. Für die USA war das ein „Sputnik-Moment“, so formulierte es Marc
       Andreessen, ein Großinvestor und Berater Donald Trumps. [3][Also so wie
       damals, als die Sowjetunion im Kalten Krieg plötzlich vor den USA einen
       Satelliten ins All schickte].
       
       Alexandr Wang, Chef des KI-Konzerns Scale AI, nannte es einen
       „Wake-up-Call“ für die Vereinigten Staaten. Da kommt ein chinesischer
       Unternehmer daher, dessen Firma KI nicht einmal als Hauptgeschäft
       entwickelt, und zieht mit vergleichsweise geringem finanziellen Aufwand
       gleich. Ist die Überlegenheit der US-amerikanischen Tech-Konzerne also nur
       eingebildet?
       
       Für die Aktienmärkte war das neue Modell ein Schock, weil es nicht mit
       Hochleistungschips des kalifornischen Unternehmens Nvidia trainiert wurde.
       Diese galten für das Training einer konkurrenzfähigen KI bislang als
       unerlässlich. Aber das chinesische Unternehmen brauchte sie nicht.
       Kurseinbrüche von Chipherstellern und US-Tech-Firmen folgten, an den
       Märkten gingen rund 2 Billionen Dollar verloren – unvorstellbare Summen,
       die in den Marktbewertungen der wertvollsten Unternehmen der Welt in
       kürzester Zeit entstehen und verschwinden können.
       
       Ist der ganze Hype um KI nicht sowieso übertrieben? 
       
       Es ist kaum möglich, zwischen falschen Versprechen von Tech-Konzernen und
       [4][seriösen Potenzialen] zu unterscheiden. Aber KI verspricht, unser
       Verhalten morgen noch besser vorherzusagen als heute. Das tun große
       Sprachmodelle, die häufigsten KIs, indem sie Regeln und
       Wahrscheinlichkeiten in großen Datensätzen finden.
       
       Aus Milliarden Websites, Kommentaren und anderen Kommunikationen gewinnt
       ein Sprachmodell in seiner Trainingsphase unzählige statistische
       Zusammenhänge. Indem es diese Regeln miteinander vergleicht und
       gegeneinander abwägt, errechnet es Schritt für Schritt immer den
       nächstwahrscheinlichen Wortbaustein – oder, wenn man eine KI auf
       Bilddateien trainiert, eben den nächsten Pixel.
       
       Mit genug Prozessorenpower lässt sich einiges errechnen. Flugbahnen von
       Marschflugkörpern zum Beispiel. Viel Geld steckt darin, Raketen dort
       einschlagen zu lassen, wo es die Absender wünschen. Darum kamen die ersten
       wirklich lukrativen Aufträge für die Massenfertigung von Prozessoren vom
       Militär. Alles bei den Tech-Unternehmen baut auf der Rechenleistung
       moderner Prozessoren auf.
       
       Mit genug Daten lässt sich zum Beispiel Kaufverhalten errechnen. Die heute
       so wertvollen Social-Media-Plattformen versprechen Investoren, die dafür
       notwendigen Daten aus unserem Verhalten zu schürfen. Ganz nebenbei stellen
       sie auch noch die Infrastruktur für zielgenaue Werbung. Der
       „Amazon-Algorithmus“, oder in anderen Worten: „Nutzer, die diesen Artikel
       kauften, kauften auch …“, [5][hat Jeff Bezos zu einem der reichsten
       Menschen der Welt gemacht]. Er ist die Grundlage dafür, unser Verhalten
       nicht nur vorherzusagen, sondern uns auch immer mehr in Richtung Kasse zu
       schubsen.
       
       Schon in der Trainingsphase sind KI-Modelle direkt abhängig von der
       Rechenleistung. Die Gleichung lautete deswegen lange: Die größte
       Rechenleistung führt zur klügsten KI und die klügste KI gibt sicher auch
       die wertvollsten Antworten. Darum wollen alle die potentesten Rechenzentren
       haben ([6][die dann auch sehr viel Strom verbrauchen]). Der Automatismus,
       dass der dickste Rechner die dickste KI hervorbringt, wurde durch DeepSeek
       wenigstens für kurze Zeit infrage gestellt.
       
       Was ist jetzt anders bei diesem neuen chinesischen KI-Modell? 
       
       Gerade weil sie auf viele kleine Optimierungen zurückgreifen mussten,
       konnten die chinesischen Entwickler:innen mehr aus den schwächeren
       Prozessoren herausholen. Aber vor allem verzichteten sie darauf, der KI in
       der Trainingsphase Zwischenschritte vorzugeben. Die KI brachte sich so
       selbst bei, Aufgaben zu zerstückeln und Teilantworten zu evaluieren. Sie
       „erklärt“ sich in Zwischenschritten selbst, was sie tut und erweckt so den
       Anschein, als würde sie über ihre Antworten nachdenken. Die gezeigten
       Lösungswege wirken auf Nutzer:innen vertrauensbildend.
       
       Nur: DeepSeek erschlägt die Fragestellenden auch in Textbergen. Denn die
       KI, die sich selbst trainieren durfte, hat sich nicht nur beigebracht, ihre
       Antworten besser zu strukturieren. Sondern auch, immer längere Antworten zu
       geben.
       
       Nur bei kritischen Nachfragen zur chinesischen Staatsführung fasst sich die
       KI kurz. Sie weicht aus, gibt regimekonforme Antworten oder verweigert
       diese gleich. Mit großer Wahrscheinlichkeit unterliegen auch die
       Trainingsdaten der chinesischen Zensur. Wer etwas in die App eintippt, muss
       außerdem davon ausgehen, dass die Daten über Server in China geschickt
       werden.
       
       Der Datensatz, mit dem die KI trainiert wurde, ist bisher nicht öffentlich.
       Aber der DeepSeek-Quellcode liegt offen. Das heißt, dass jede:r das
       Open-Source-Modell ansehen kann, gegebenenfalls auch kopieren oder
       verändern. Auch der Chefentwickler von Metas KI „Llama“, Yann LeCun, las
       den Überraschungserfolg von DeepSeek deswegen als Beleg für die Kraft
       offener Forschung. Theoretisch könnte jedes Unternehmen, jede Universität
       und jede:r geschickte Entwickler:in auf DeepSeek aufbauen und so ein
       eigenes Sprachmodell anlernen.
       
       Bedeutet das, dass der Wettlauf mit den großen Tech-Unternehmen auch für
       Europa noch nicht verloren ist? 
       
       In Europa erweckt der Überraschungserfolg mindestens viele Hoffnungen
       wieder. Selbst wenn große Rechenzentren voraussichtlich weiterhin wichtig
       sind: [7][Vieles spricht dafür, dass auch ohne monströse Investitionen so
       einiges möglich ist].
       
       Vieles passiert auch schon. In der EU entstehen Geräte und Bauteile, die
       bei der Herstellung von Prozessoren verwendet werden. Das niederländische
       Unternehmen ASML baut auch in Deutschland Fertigungstechnik für integrierte
       Schaltkreise. In Frankreich haben zuletzt das Unternehmen Mistral und in
       Deutschland Aleph Alpha leistungsfähige KIs entwickelt.
       
       Allein die Bundesregierung versprach [8][in ihrer KI-Strategie]
       Investitionen von rund fünf Milliarden Euro und verpflichtete sich auf das
       Ziel einer gemeinwohlorientierten KI-Entwicklung. Gerade an deutschen
       Universitäten kommt einiges an Entwicklung zusammen. Schon 2020 kam der
       Digitalverband Bitkom bei einer Erhebung auf fast 2.000
       Mitarbeiter:innen an Lehrstühlen deutscher Universitäten, die sich in
       verschiedensten Anwendungsbereichen mit KI beschäftigen.
       
       Voriges Jahr im August beschloss das EU-Parlament [9][unter dem Namen AI
       Act außerdem das erste KI-Gesetz weltweit]. Es teilt verschiedene
       Anwendungen in Klassen ein und richtet die Strenge der Regeln nach dem
       Risiko. Social Scoring, also die Bewertung von Bürger:innen durch
       KI-Systeme, wie es auch in China schon erprobt wurde, ist grundsätzlich
       verboten.
       
       Überwachungsgegner:innen bemängeln, dass die KI-gestützte Auswertung
       von Überwachungsvideos weiterhin erlaubt ist. Hochriskante künstliche
       Intelligenzen genießen weitere Ausnahmen, wenn sie die nationale
       Sicherheit, den Grenzschutz oder die Strafverfolgung betreffen. Auch
       bleiben kritische Fragen bei Datenschutz und Urheberrecht ungeklärt.
       
       Bei der Umsetzung in nationales Recht bleibt einer neuen Bundesregierung
       deswegen noch Gestaltungsspielraum. Deutschland muss eine nationale Behörde
       einrichten oder die Einhaltung des Rechts durch andere Behörden überprüfen,
       indem es die Aufgaben etwa an die Bundesnetzagentur oder an die
       Finanzaufsicht verteilt. Davon hängt einiges ab, auch weil viele Fragen
       sich erst mit dem Aufkommen immer neuer KI-Modelle offenbaren werden –
       scheibchenweise. Hype für Hype.
       
       1 Feb 2025
       
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