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       # taz.de -- Ukraine-Verhandlungen in Saudi-Arabien: Wege und Irrwege aus München
       
       > Die US-Regierung drängt auf der Münchner Sicherheitskonferenz auf
       > Verhandlungen mit Russland. Was sind realistische Optionen für die
       > Ukraine?
       
   IMG Bild: Zu Recht schlecht gelaunt: Vertreter der Ukraine im Gespräch mit der US-Delegation
       
       Realpolitik beginnt mit der nüchternen Betrachtung der strategischen
       Wirklichkeit. [1][Trumps Alleingang mit Putin] zwingt die europäischen
       Regierungen in Nato und EU, ihre realen Macht- und Handlungsoptionen zur
       Kenntnis zu nehmen.
       
       Realistische und zielführende Verhandlungspositionen müssen die
       Kerninteressen der Hauptakteure in Betracht ziehen. Für die Ukraine dürfte
       der Erhalt der staatlichen Souveränität mit Sicherheitsgarantien sowie eine
       langfristig verlässliche Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit gegen
       Russland unverzichtbar sein. Eine Anerkennung der Annexion der von Russland
       besetzten Gebiete wird Kyjiw ausschließen wollen.
       
       Moskau wird auf jeden Fall verhindern wollen, dass die Ukraine der Nato
       beitritt und dass Truppen aus Nato-Staaten in der Ukraine stationiert
       werden. Zudem wird der Kreml das eroberte ukrainische Territorium auf jeden
       Fall unter seiner Kontrolle behalten wollen und eine Begrenzung des Umfangs
       der ukrainischen Armee als zentral ansehen.
       
       Für die Europäer sollte zentral sein, dass jede Verhandlungslösung zu einer
       stabileren europäischen Sicherheitslage beiträgt, zu einer
       Sicherheitsarchitektur, in der sowohl Abschreckung als auch Diplomatie
       wirksam sind, um einen Krieg zwischen Russland und der Nato zu vermeiden.
       
       Die strategischen Ziele der USA sind angesichts der widersprüchlichen
       Äußerungen Trumps schwer einzuschätzen. Vermutlich werden die strategisch
       denkenden Vertreter der US-Administration Ruhe und Stabilität im Verhältnis
       zu Russland anstreben, um die Machtressourcen besser auf den
       Supermacht-Rivalen China konzentrieren zu können.
       
       Die Frontkräfte der ukrainischen Armee sind überdehnt und ausgelaugt. Die
       Zahl der gefallenen ukrainischen Soldaten dürfte 100.000 überschritten
       haben, eine noch weit größere Zahl Soldaten ist vermutlich
       schwerstbehindert und traumatisiert. Hunderttausende Männer haben sich dem
       Wehrdienst entzogen. Die strategische Lage der Ukraine ist kurz vor Beginn
       des vierten Kriegsjahres äußerst angespannt, ihre Durchhaltefähigkeit ist
       gefährdet.
       
       Kernelemente in möglichen Verhandlungen 
       
       Was sind also realistische Verhandlungsoptionen? Ohne den Verzicht Kyjiws
       und ebenso der Nato auf eine Aufnahme der Ukraine in das Bündnis, zumindest
       auf absehbare Zeit, dürfte es kein Abkommen zur Kriegsbeendigung geben.
       Bereits die Biden-Administration und die Bundesregierung hatten sich gegen
       eine zeitnahe Einladung der Ukraine in die Nato positioniert. Wie soll da
       der Nato-Beitritt der Ukraine noch als bargaining chip genutzt werden?
       
       Inhalt und Form der Sicherheitsgarantien für die Ukraine werden mit der
       kritischste Verhandlungspunkt sein. Russland wird akzeptieren müssen, dass
       die westlichen Unterstützerstaaten die Ukraine wie bisher hinreichend und
       nachhaltig mit Waffensystemen und Ausbildung unterstützen. Darüber
       hinausgehende, „stahlharte“ kollektive Sicherheitsgarantien können nicht
       der Qualität einer Beistandsverpflichtung im Nato-Vertrag gleichkommen.
       Zudem könnten nur die drei westlichen Nuklearmächte, in erster Linie die
       USA, weitergehende Sicherheitserklärungen abgeben, weil nur diese das
       Nuklearwaffenpotenzial Russlands abschrecken können.
       
       Eine europäische „Friedenstruppe“ ist ein Irrweg 
       
       [2][In den USA wird offenbar die Idee verfolgt], in einer Pufferzone eine
       durchsetzungsfähige „Friedenstruppe“ auch aus europäischen Nato-Staaten
       einzusetzen. Unterschiedliche Personalstärken, meist über 100.000 Soldaten,
       werden als Kräftebedarf genannt. Doch die europäischen Nato-Staaten
       verfügen nicht über ausreichend einsatzfähige Kräfte, um die lange
       Frontlinie zu überwachen und notfalls zu verteidigen.
       
       Zudem würde es im Falle neuer Angriffe durch Russland zu Kämpfen zwischen
       Truppen aus Nato-Staaten und Russland kommen. Die Ukraine ist zwar nicht
       Nato-Vertragsgebiet, gleichwohl ist es äußerst unwahrscheinlich, dass der
       Nato-Rat in diesem Szenario die im Kampf stehenden Truppen von
       Allianzpartnern allein lassen würde. Die Nato würde vollends in einen Krieg
       hineingezogen, in den dann vier Atommächte involviert wären und das
       deutsche Territorium als zentrale Drehscheibe der Nato stark betroffen
       wäre.
       
       Sinnvoller und verhandelbar wäre indessen ein größerer
       Friedenssicherungseinsatz der UN mit einem Beobachtungsmandat und
       Truppenstellern aus unparteiischen Staaten, etwa aus dem globalen Süden,
       insbesondere aus dem Kreis der BRICS-plus-Staaten, wie beispielsweise
       Indien. Diese Lösung mag wie das gescheiterte Minsk II–Abkommen von 2015
       klingen, der Unterschied ist jedoch, dass diesmal viele Staaten vor Ort
       eingebunden wären, auf deren Kooperation Russland angewiesen ist.
       
       ## Die EU muss die Verhandlungen unterstützen
       
       Wenn es zu ernsthaften Verhandlungen in Saudi-Arabien kommen sollte, sind
       zwei Grundszenarien vorstellbar. Im besten Fall: produktive Gespräche, die
       zwar nicht zu einem Frieden, aber zur längerfristigen Stilllegung des
       Krieges führen. Mit einer Ukraine, deren territoriale Integrität durch den
       Verlust der Kontrolle über circa 20 Prozent ihres Staatsgebiets für
       absehbare Zeit schwer verletzt ist, die aber ihre nationale Souveränität
       wahren kann und nachhaltig von den westlichen Staaten unterstützt wird,
       militärisch, finanziell und humanitär. Diesem Szenario steht das Risiko der
       weiteren Eskalation und Ausweitung des Krieges gegenüber, wenn die
       Verhandlungen scheitern und gleichzeitig die ukrainische Front ins Rutschen
       kommt. Vom Regen in die katastrophale Traufe, in eine Lage, auf die Nato-
       und EU-Europäer nicht vorbereitet sind.
       
       [3][Die Ukraine-Politik der Trump-Administration ist ein letzter Weckruf],
       die Zeitenwende endlich ernst zu nehmen und die militärische
       Handlungsfähigkeit Deutschlands und ebenso die der anderen Nato-Partner
       ernsthaft zu steigern. Die Europäer müssen jetzt ihr ökonomisches und
       finanzielles Potenzial in die Schale werfen, um die weitere
       Verteidigungsfähigkeit der Ukraine sicherzustellen.
       
       17 Feb 2025
       
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