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       # taz.de -- Die Disruption von Demokratien: Donald Bonaparte
       
       > Schon Karl Marx analysierte den Aufstieg eines Populisten. Dem Neffen
       > Napoleons, Louis Bonaparte, gelang es, die Enttäuschten für sich zu
       > gewinnen.
       
   IMG Bild: Musk und Trump im Oval Office 11.2.25
       
       Nun sind wir also in der unschönen Situation, dass die freie,
       pluralistische Demokratie von zwei Seiten angegriffen wird, vom
       autokratischen Imperialismus Russlands und von den USA, in denen eine
       Plutokratenoligarchie die Macht übernahm sowie einen Staatsstreich von
       oben vollführte. In einer Strategie von Shock and Awe vollzieht sie ihr
       Zerstörungswerk nicht etwa auf leisen Sohlen, sondern versucht mit Rasanz,
       Einschüchtern und Getöse jede Gegenwehr zu unterbinden. Die Opposition soll
       geschockt und gelähmt sein.
       
       Mit ihrer Propaganda und ihren Desinformationskanälen versuchen die neuen
       Autoritären die letzten liberalen Demokratien des Westens zu zersetzen.
       Donald Trump, [1][Elon Musk], [2][J. D. Vance] und Co. greifen unverhohlen
       und unverfroren in Wahlkämpfe ein, gerade eben in den deutschen, versuchen
       auf allen Kanälen der AfD zu helfen und [3][pushen ihre Marionette, Alice
       Weidel]. Die ist jetzt faktisch eine Agentin einer ausländischen,
       antidemokratischen Macht (korrekter: von zwei ausländischen,
       antidemokratischen Mächten), labert aber zugleich andauernd herum, dass sie
       eine „Patriotin“ sei. Was, nebenbei gesagt, ja nicht nur ob dieser Rolle
       als Lakai ausländischer Faschisten ein recht skurriles Selbstbild ist.
       
       Hinzu kommt: Die Wortführer von Hass und Ressentiment nennen sich zwar
       gerne „Patrioten“, aber wer sein Land liebt, der spaltet es nicht. Der
       echte Patriotismus, das hat die Geschichte gezeigt, ist nicht bei denen,
       die immer ganz laut den Patriotismus vor sich her brüllen, sondern bei
       denen, die ihr Land verbessern. Wie es so schön heißt: Weil wir dieses Land
       verbessern, beschützen und beschirmen wir’s. Das ist stiller als der
       falsche Patriotismus der Schreihälse, die nichts so sehr aufgeilt wie die
       Hoffnungslosigkeit, die ihr Treibstoff ist.
       
       Die Dreistigkeit des US-Vizepräsidenten Vance muss man freilich auch erst
       einmal haben, den Demokratien des Westens eine Zensur und Einschränkung der
       Meinungsfreiheit vorzuwerfen, während man daheim gerade in einer
       [4][beispiellosen Säuberungskampagne] Andersdenkende aus ihren Jobs
       rauswirft, die Wissenschaft gängelt und skurrile Sprechzwänge einführt, die
       so weit gehen, dass man nicht mehr „Golf von Mexiko“ sagen darf, ohne mit
       Repressalien rechnen zu müssen.
       
       ## Trump ist keine Anomalie der Demokratie
       
       Dahinter steht die „kalifornische Ideologie“, der „Disruptionshype der
       Technologiebranche“ (Philipp Staab), für die die Allmählichkeit von
       Evolution ein Grauen ist, die das hohe Lied von Brüchen und Rupturen singt,
       und die ganz offen antidemokratisch geworden ist. Freiheit ist für sie das
       Recht des Stärkeren, weshalb [5][Peter Thiel] ja schon vor Jahren meinte,
       er glaube nicht mehr daran, dass „Freiheit und Demokratie miteinander
       vereinbar“ sind, wo blöderweise ja auch die Armen eine Stimme haben.
       
       Die simplen Gemüter der Tech-Ökonomie übertragen ihre
       Unternehmensphilosophie einfach auf Staaten: Ein erfolgreiches, disruptives
       Start-up braucht eben auch einen Chef, der wie ein Diktator agiert und darf
       sich von Wünschen einer verzärtelten Belegschaft genauso wenig bremsen
       lassen wie von Einwänden ungehorsamer Abteilungsleiter. Der tragische
       Aufstieg von Trump und den neuen Autokraten ist freilich, das müssen wir
       erst einmal in der ganzen Bedeutung verstehen, keine Anomalie der
       Demokratie, sondern ihre fatale Möglichkeit.
       
       Einer der ersten, der das nicht nur gesehen, sondern auch auf nie mehr
       übertroffene Weise beschrieben hat, war Karl Marx in seinem „[6][Der
       Achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte]“. Louis Bonaparte, der Neffe
       Napoleons, wollte mit einem Militärputsch an die Macht kommen, scheiterte,
       lebte sein Loser-Leben als heruntergekommener Bohemien und gewann nach der
       gescheiterten 1848er Revolution die Volkswahlen, um 1851 in einem
       Staatsstreich von oben eine autoritäre Herrschaft zu errichten, sich zum
       „Prinz-Präsidenten“ zu ernennen und später zu Napoleon III. zu krönen.
       
       Bei all dem aber mobilisierte er die Unterstützung enttäuschter
       Volksschichten, des konservativen Frankreichs, des Kleinbürgertums und
       einer bunten Lumpenschar aus Kriminellen, Säufern, Gestrandeten und
       abgehalfterten Soldaten. Der Begriff des „Lumpenproletariats“ nahm von
       daher seinen Ausgang. Kurzum, der erstaunte Marx war mit dem ersten
       Populisten der Geschichte konfrontiert und analysierte prompt messerscharf,
       wie die Demokratie selbst die Monster erschafft, die der Freiheit den
       Garaus machen.
       
       Die Partei der Ordnung, die Privilegierten sichern ihre Pfründen nicht nur
       mit Gewehren, sondern auch mit Hilfe des allgemeinen Wahlrechts und der
       Aufganselung des Elektorats oder, wie man heute sagen würde, der „besorgten
       Bürger“. In der Massengesellschaft wird die Freiheit meist mit
       Volkszustimmung durch irgendwelche Cäsaren begraben, und nur seltener von
       putschenden Generälen.
       
       Für die verschiedenen Spielarten der Linken ist das alles höchst
       verwirrend, wenngleich für alle auf andere Weise. Die ganze Bubble an
       Superrevolutionären, Radikalinski-Influencern und Freundinnen scharfer
       Thesen, für die jeder Anflug von Vernünftigkeit übles Teufelszeug ist und
       die stets von der Zuspitzung aller Widersprüche träumen, wacht jetzt genau
       dort auf, wo sie eigentlich hinwollte, also in einer Welt, in der der
       verachtete „Genozid-Joe“ abgetreten ist und die linksliberalen Büttel des
       Kapitals erledigt sind.
       
       ## Zeit für die Verteidigung von Liberalität und Freiheit
       
       Zweifel sind angebracht, ob sie das jetzt glücklich machen wird, aber
       vermutlich sind sie ja so zuversichtlich wie die KPD zu Zeiten der
       Sozialfaschismustheorie, die sich im tröstlichen Traum wog, „jetzt kommt
       Hitler, und danach kommen wir“. Die Besonnenen, Gemäßigten und anderen
       Freunde des Fortschritts im Rahmen des Erlaubten wiederum sind auch nur
       eine Spur weniger verwirrt, da sich alles Handeln darauf reduziert, nur
       mehr andauernd das Schlimmste zu verhindern.
       
       Eines aber ist klar: Es ist Zeit für Besonnenheit und Entschlossenheit und
       für breiteste Allianzen zur Verteidigung von Liberalität und Freiheit.
       
       20 Feb 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Elon-Musks-politischer-Feldzug/!6058331
   DIR [2] /Start-der-Muenchner-Sicherheitskonferenz/!6069676
   DIR [3] https://www.youtube.com/watch?v=aUMRdiaZQuw
   DIR [4] /Trumps-erste-Amtshandlungen/!6059989
   DIR [5] /Tech-Investor-Peter-Thiel/!6041339
   DIR [6] https://www.marxists.org/deutsch/archiv/marx-engels/1852/brumaire/index.htm
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Robert Misik
       
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