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       # taz.de -- Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl: „Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
       
       > Noch-Bundeskanzler Olaf Scholz hält es für möglich, dass die beiden
       > Parteien miteinander koalieren – und hofft, unentschlossene
       > Wähler:innen zu überzeugen.
       
   IMG Bild: Olaf Scholz, Bundeskanzler seit 2021: „Wir müssen mehr Wohnungen bauen – vor allem neue bezahlbare Wohnungen“
       
       taz: Herr Scholz, wird Friedrich Merz ein guter Kanzler? 
       
       Olaf Scholz: Ich verwende meine Kraft darauf, wieder Kanzler zu werden.
       
       taz: Wäre Friedrich Merz denn ein guter Kanzler? 
       
       Scholz: Es wird Sie nicht überraschen, wenn ich sage: Es gibt bessere
       Alternativen.
       
       taz: Glauben Sie noch immer, dass ihre Chancen, Kanzler zu bleiben, bei 60
       Prozent stehen? 
       
       Scholz: Ich trete am 23. Februar als Kanzler an und werbe für die SPD. Ich
       habe schon 2021 damit leben müssen, in vielen Interviews von
       Journalistinnen und Journalisten etwas ironisch belächelt zu werden. Worauf
       ich setze? Die Zahl der Unentschlossenen ist sehr hoch. Die jüngsten
       Eskapaden von Herrn Merz haben viele irritiert, die sonst oft CDU oder FDP
       gewählt haben. Sie wollen keine Zusammenarbeit mit der AfD. Meine
       Prinzipien sind klar: niemals gemeinsame Sache zu machen mit Parteien der
       extremen Rechten.
       
       taz: Denken Sie wirklich, dass Merz als Kanzler eine Koalition mit der AfD
       eingeht? 
       
       Scholz: Halten Sie das denn für ausgeschlossen? Im November hat Herr Merz
       lang und breit im Bundestag ausgeführt, dass er nie und nimmer mit der AfD
       gemeinsame Sache machen und auch nichts auf die Tagesordnung des
       Bundestages setzen werde, das auf deren Stimmen angewiesen ist. Es dürfe
       keine zufälligen Mehrheiten geben. Ein paar Wochen später hat er genau das
       gemacht – mit Ansage. Damit hat er sein Wort und ein wichtiges Tabu
       gebrochen, für nichts und wieder nichts. Wieso sollte man ihm in dieser
       Frage vertrauen?
       
       taz: Halten Sie eine schwarz-blaue Koalition für möglich oder für
       wahrscheinlich? 
       
       Scholz: Für möglich. Bündnisse von konservativen und rechtspopulistischen
       Parteien sind in Europa inzwischen verbreitet. In Finnland, in Schweden, in
       den Niederlanden. In Österreich war die ÖVP drauf und dran, einen
       FPÖ-Kanzler mit zu wählen. Daraus folgt: Am 23. Februar darf es keine
       Mehrheit für CDU/CSU und AfD geben.
       
       taz: Ein Sozialdemokrat, der Ihnen nahesteht, hat uns vor zwei Monaten
       gesagt: Die SPD gewinnt, wenn es im Wahlkampf um Arbeit und Soziales geht.
       Wenn es um Migration geht, verliert sie. Hatte er recht? 
       
       Scholz: Die Bürgerinnen und Bürger wissen, dass fast ein Drittel der
       Deutschen eine Zuwanderungsgeschichte hat. Und dass wir auf Zuwanderung
       angewiesen sind. Wir verteidigen die Offenheit unseres Landes, wenn wir die
       irreguläre Migration in den Griff bekommen.
       
       taz: Die Zahl der Abschiebungen ist gestiegen. Die Ampel hat
       Grenzkontrollen eingeführt. Trotzdem gab es immer wieder Anschläge. 
       
       Scholz: Ich teile den Fatalismus nicht, der hinter der Haltung steckt, dass
       es eh nichts gebe, was man wirksam tun könne. Es bleibt nötig, die
       Migration ordentlich zu managen – das erwarten die Bürgerinnen und Bürger
       von der Politik, zu Recht. Gerade, weil wir ein Einwanderungsland sind.
       
       taz: Der Frust hat auch konkrete Gründe. Die Integration bei Arbeit,
       Wohnen, Bildung müsste viel schneller und effektiver laufen … 
       
       Scholz: Richtig. Wir sind eben Einwanderungsland und Integration ist eine
       große gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern. Der Bund unterstützt die
       Länder dabei. In unseren Schulen erhalten Menschen unterschiedlicher
       Herkunft oft gute Bildung, lernen gut Deutsch und verschaffen sich gute
       berufliche Perspektiven. Das gelingt meist besser als anderswo. Trotzdem
       bleibt viel zu tun.
       
       taz: Sie aber betonen die ganze Zeit, welche Verschärfungen Sie
       durchgesetzt haben. Müsste Ihre Botschaft nicht lauten: Wir müssen viel
       mehr in die Integration von Zuwander:innen investieren? 
       
       Scholz: Das ist auch meine Botschaft. Sie ist mir genauso wichtig wie die
       Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts oder die Erleichterung der
       künftigen Arbeitskräftezuwanderung.
       
       taz: Aber sonst ist wenig passiert. Deutschland hat hunderttausende
       Menschen binnen kurzer Zeit aufgenommen und viel zu wenig für die
       Infrastruktur getan. Sie haben angekündigt, dass 400.000 Wohnungen pro Jahr
       gebaut werden – und versagt. 
       
       Scholz: Dieses Ziel haben wir nicht erreicht. Vielleicht darf ich kurz
       Gründe dafür anführen: Putin hat die Ukraine überfallen, die Gaslieferungen
       nach Deutschland sind von einem Tag auf den anderen weggefallen und wir
       hatten eine extreme Inflation, insbesondere wegen der Energiepreise. Um die
       Inflation zu bekämpfen, hat die Zentralbank die Zinsen angehoben. Deshalb
       ist das Bauen sehr, sehr viel teurer geworden. Fakt ist aber auch, dass im
       Schnitt immerhin 300.000 Wohnungen entstanden sind. Damit mehr bezahlbare
       Wohnungen entstehen, haben wir die Mittel für geförderten Wohnungsbau stark
       erhöht. Die Zinsen gehen nun wieder zurück, die Energiepreise sind gesunken
       und wir haben das Baurecht vereinfacht, damit Bauen leichter und
       preiswerter gelingt. All das wird den Wohnungsbau jetzt beleben.
       
       taz: Wunderbar. Sie hatten drei Jahre Zeit und sagen nun: „Jetzt kann es
       losgehen“? 
       
       Scholz: Noch mal: Seit drei Jahren tobt ein Krieg in Europa mit massiven
       Auswirkungen, wie geschildert. Diesen Zusammenhang kann man doch nicht
       ernsthaft bestreiten.
       
       taz: Die geltende Mietpreisbremse hat den Anstieg der Mieten nicht
       verhindert. Was halten Sie von einem Mietendeckel? 
       
       Scholz: In angespannten Wohnlagen kann der Mietanstieg begrenzt werden. Das
       sieht unser Mietrecht vor. Und diese Regelungen wollen wir verbessern. Die
       Mieten steigen allerdings vor allem, weil vielerorts die Nachfrage nach
       Wohnungen das Angebot übersteigt. Wir müssen mehr Wohnungen bauen – vor
       allem neue bezahlbare Wohnungen, die wir mit öffentlichem Geld fördern.
       
       taz: Sie sagen selbst, der Krieg in der Ukraine treibt die Baupreise in die
       Höhe. Muss man die politischen Instrumente nicht anpassen? 
       
       Scholz: Worauf wollen Sie hinaus?
       
       taz: Staatliche Förderung für gemeinwohlorientierte Wohnungsunternehmen. 
       
       Scholz: Das ist eine gute Sache und eines der Vorhaben der Bundesregierung.
       Allerdings bezweifle ich, dass alleine das den Bau hunderttausender
       Wohnungen zur Folge hätte.
       
       taz: Große, profitorientierte Wohnungskonzerne enteignen. 
       
       Scholz: Dadurch würde nicht eine neue Wohnung entstehen. Wir müssten sehr
       viel Geld in die Entschädigung der Konzerne stecken, wie es das Grundgesetz
       für Enteignungen vorschreibt, statt das Geld in den Wohnungsbau zu
       investieren.
       
       taz: Guckt man in die Wahlprogramme, findet man große Überschneidungen
       zwischen SPD, Grünen und der Linkspartei in sozialen Fragen sowie bei
       Staatsfinanzierung und Umverteilung. Sollten die linken Parteien nicht
       stärker miteinander arbeiten als gegeneinander? 
       
       Scholz: Ich habe gerade drei Jahre mit meinem grünen Koalitionspartner
       zusammengearbeitet. In Hamburg hatte ich mehrere Jahre eine rot-grüne
       Koalition geführt. Und was die Partei Die Linke betrifft: Anders als die
       wollen wir die Ukraine nicht im Stich lassen.
       
       taz: [1][Trump hat mit Putin telefoniert] und einen Plan für Verhandlungen
       skizziert. Hat die amerikanische Regierung Sie vorab darüber informiert? 
       
       Scholz: Ich wusste, dass der US-Präsident ein solches Gespräch vorhat.
       
       taz: Sie haben es aus den Medien erfahren? 
       
       Scholz: Der US-Präsident hat sein Gespräch ja bekannt gemacht. Wichtig ist:
       Nichts darf über die Köpfe der Ukrainerinnen und Ukrainer hinweg
       entschieden werden. Sie müssen selbst über ihre Zukunft und ihr Schicksal
       verhandeln.
       
       taz: Trump erweckt aber gerade den Eindruck, dass sowohl über die Köpfe der
       Ukrainer:innen als auch die der Europäer:innen hinweg entschieden
       wird. Europa soll nicht mit verhandeln, danach aber ohne US-Beteiligung
       einen Waffenstillstand absichern. Haben Sie mit dieser schroffen Ansage
       gerechnet? 
       
       Scholz: Ohne Europa kann der Frieden nicht gelingen. Das muss jedem klar
       sein. Es gibt eine gemeinsame Verantwortung aller Freunde der Ukraine
       diesseits und jenseits des Atlantiks. Aktuell angesichts der akuten
       Bedrohung des Landes durch den russischen Angriffskrieg – und auch noch,
       wenn der Konflikt irgendwann beendet sein wird und Frieden herrscht.
       Deshalb machen wir deutlich, dass wir die Ukraine auch danach weiter
       unterstützen werden. Deutschland und die USA sind gegenwärtig die größten
       Unterstützer. Und die Ukraine braucht auch in Friedenszeiten eine starke
       Armee. Die ukrainische Volkswirtschaft allein wird das nicht finanzieren
       können. Europa, die USA und andere internationale Partner werden dann
       gefragt bleiben.
       
       taz: Zählen Sie die USA unter Trump noch zu den Freunden der Ukraine? 
       
       Scholz: Wir haben eine jahrzehntelange Freundschaft und Partnerschaft mit
       den USA.
       
       taz: Ihre Parteivorsitzende [2][Saskia Esken] hat die Trump-Administration
       gegenüber der taz als illiberal bezeichnet. Sehen Sie das auch so? 
       
       Scholz: Die Äußerungen des US-Vizepräsidenten in München waren
       unangemessen, das habe ich am Wochenende sehr deutlich gemacht. Wir
       entscheiden selbst, wen wir wählen.
       
       taz: Für wie gefährlich halten Sie die versuchten Eingriffe der
       Trump-Getreuen in den deutschen Wahlkampf? 
       
       Scholz: Die AfD ist eine Partei, aus deren Reihen der Nationalsozialismus
       und seine monströsen Verbrechen als „Vogelschiss“ in der deutschen
       Geschichte verharmlost werden. Und es gab lange den Konsens in Deutschland,
       mit Parteien der extremen Rechten nicht zusammenzuarbeiten. Das muss
       gelten!
       
       taz: Im Moment entfernen sich die USA von Europa. Was tut Europa dagegen? 
       
       Scholz: Die transatlantischen Beziehungen reichen weit zurück und sind
       belastbar. Auf diesem Fundament werden wir auch das Verhältnis zur
       aktuellen US-Regierung gestalten. Ich rate zu klaren Grundsätzen und zu
       einem geraden Rücken. Europa kann selbstbewusst sein.
       
       taz: Trump hat erklärt, der Nato-Beitritt der Ukraine wäre kein Thema mehr. 
       
       Scholz: Diese Position ist so neu nicht, auch die vorherige US-Regierung
       hat deutlich gemacht, dass ein Beitritt in absehbarer Zeit nicht ansteht.
       Die Beschlüsse der NATO von Vilnius und Washington eröffnen der Ukraine
       aber eine Perspektive.
       
       taz: Im vergangenen Jahr haben Sie gesagt: „Als deutscher Bundeskanzler
       werde ich keine Soldaten unserer Bundeswehr in die Ukraine entsenden.“ Gilt
       das noch? 
       
       Scholz: Ja. Deutschland wird sich nicht mit Soldaten an diesem Krieg
       beteiligen.
       
       taz: Auch nicht an einer [3][Friedenstruppe]? 
       
       Scholz: Das ist eine Debatte zur Unzeit.
       
       taz: Trump will ukrainische Rohstoffe wie seltene Erden. Welche Rolle wird
       das in Verhandlungen spielen? 
       
       Scholz: Der Friedensplan des ukrainischen Präsidenten enthält auch einen
       Hinweis auf den Rohstoff-Reichtum seines Landes.
       
       taz: Donald Trump will sich vergangene Waffenlieferungen mit Rohstoffen
       bezahlen lassen. 
       
       Scholz: Alle Staaten, die die Ukraine unterstützen, verlangen dafür keine
       Gegenleistung – so sollte es bleiben. Deutschland hat die Ukraine mit
       insgesamt fast 44 Milliarden Euro seit Kriegsbeginn unterstützt. Es war
       sicherlich falsch, dass wir diese immense Summe aus dem laufenden Haushalt
       aufgebracht haben, statt dafür eine eigene Kreditberechtigung zu schaffen.
       Die meisten Länder um uns herum haben darüber den Kopf geschüttelt.
       
       taz: Das war dann auch Ihr Fehler. 
       
       Scholz: In der Koalition ließ sich leider kein anderer Weg durchsetzen.
       Auch deshalb – und nicht nur wegen der Kabale der FDP – habe ich den
       Finanzminister Lindner entlassen. Nun wählen wir Ende Februar und nicht
       erst im September.
       
       taz: Was machen Sie am Abend des 23. Februar? 
       
       Scholz: Den Wahlabend verbringe ich natürlich im Willy-Brandt-Haus sowie in
       diversen Fernsehstudios, um dann hoffentlich über ein gutes Ergebnis der
       SPD zu sprechen. Und ich hoffe auf die Gelegenheit, mit meiner Frau auf
       ihren Geburtstag anzustoßen.
       
       18 Feb 2025
       
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