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       # taz.de -- Tarifverträge: Ein bisschen ungleich darf es sein
       
       > Unterschiedliche Bezahlung für die gleiche Nachtarbeit trotz
       > Tarifvertrag? Das geht in Ordnung, sagt das Bundesverfassungsgericht.
       
   IMG Bild: Nachtarbeit: Arbeiter im Instandhaltungswerk der S-Bahn in München
       
       Freiburg taz | Die Tarifparteien sind zwar an das Gleichheitsgrundrecht
       gebunden, doch die Arbeitsgerichte haben nur begrenzte Kontrollbefugnisse.
       Dies entschied das Bundesverfassungsgericht und hob zwei Urteile des
       Bundesarbeitsgerichts auf.
       
       Es ging um Nachtarbeitszuschläge in der Ernährungsindustrie. Der
       Tarifvertrag gewährte für regelmäßige Nachtschichten 25 Prozent Zuschlag,
       während Gelegenheitsnachtarbeiter 50 Prozent erhielten. Ein
       Brauereischichtarbeiter fand das ungerecht und forderte ebenfalls 50
       Prozent.
       
       Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied 2020, dass es keinen sachlichen
       Grund für unterschiedlich hohe Nachtarbeitszuschläge gebe. Es ordnete daher
       eine „Anpassung nach oben“ an: auch Schichtarbeitende sollen einen
       50-prozentigen Zuschlag für ihre Nachtarbeit erhalten. 2023 bestätigte das
       BAG seinen Ansatz in einem weiteren Urteil.
       
       Die betroffenen Unternehmen erhoben gegen die BAG-Urteile jeweils
       Verfassungsbeschwerde. Mit Erfolg. Das Bundesverfassungsgericht hob die
       BAG-Urteile auf und klärte die Rolle der Arbeitsgerichte bei
       Tarifverträgen.
       
       Laut Bundesverfassungsgericht sind die Tarifparteien (also Gewerkschaften
       und Arbeitgeberverbände) mittelbar an den Gleichheitsgrundsatz gebunden.
       Ungleichbehandlungen der betroffenen Beschäftigten oder der Betriebe sind
       in Tarifverträgen daher nur mit sachlichem Grund möglich.
       
       ## Bei anderen Diskriminierungen hört der Spaß auf
       
       Zum Schutz der Tariffreiheit dürfen die Arbeitsgerichte bei Tarifverträgen
       in der Regel aber keine strenge Kontrolle vornehmen, sondern nur
       willkürliche Ungleichbehandlungen beanstanden, so die Karlsruher Vorgabe.
       Eine volle Kontrolle ist nur bei möglichen Diskriminierungen wegen
       Geschlecht, Religion oder Behinderung erlaubt. Die Ungleichbehandlung von
       Schichtarbeitenden einerseits und der gelegentlich Nachtarbeitenden
       andererseits hätte das BAG nicht rügen dürfen. Diese Ungleichbehandlung sei
       nicht willkürlich, so Karlsruhe, da Schichtarbeiter:innen besser
       planen können und laut Tarifvertrag auch zusätzlichen Freizeitausgleich
       erhalten [glauben die doch selber nicht, oder; [1][d. säzz.]].
       
       Für verfassungswidrig erklärte Karlsruhe auch die „Anpassung nach oben“ für
       Schichtarbeitszuschläge. Hier hätte es auch genügen können, die
       Ungleichbehandlung im Tarifvertrag besser zu begründen. Die Anpassung nach
       oben sei schon deshalb nicht naheliegend gewesen, weil Nachtschichtarbeit
       viel häufiger ist als sonstige gelegentliche Nachtarbeit.
       
       Die Karlsruher Entscheidung fiel im Ersten Senat [2][unter Präsident Stefan
       Harbarth] mit 7 zu 1 Richterstimmen. Richter Heinrich Amadeus Wolff, der
       einst von der FDP nominiert wurde [lesen Sie weiter, jetzt wird es noch mal
       lustig; [3][d. säzzer]], wollte die Prüfungskompetenz der Arbeitsgerichte
       auch bei diskriminierenden Tarifregelungen einschränken, weil die
       Grundrechte grundsätzlich nur den Staat binden.
       
       19 Feb 2025
       
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