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       # taz.de -- Leerstelle im Wahlkampf: Obdachlosigkeit bekommt keine Aufmerksamkeit
       
       > Während im Winterwahlkampf hitzig debattiert wird, bekommen Obdachlose
       > nicht nur die Kälte auf den Straßen zu spüren.
       
   IMG Bild: Obdachlose Menschen in Berlin am Bahnhof Zoo nach dem Wintereinbruch im Februar 2025
       
       Ein kahler Raum mit sechs Betten. Wegen des Kälteeinbruchs wurden zwei
       zusätzliche Liegen aufgestellt. Ich stehe in einem Klassenzimmer der
       ehemaligen Gerhart-Hauptmann-Schule in Berlin-Kreuzberg, die wir im Rahmen
       des taz-Panterworkshops für Nachwuchsjournalist*innen besichtigen.
       
       Heute beherbergt das Gebäude eine Notunterkunft für obdachlose Menschen.
       Während des Besuchs wird mir bewusst: Ich nehme die Menschen, die auf der
       Straße leben oder dort ihr Auskommen verdienen müssen, kaum wahr.
       
       Tagtäglich haste ich an ihnen vorbei, in Gedanken bei meinen eigenen
       Sorgen. Wie sich der Obdachlose, an dem wir unterwegs vorbeikamen, vor der
       Kälte schützt? Welche Farbe die Mütze des Flaschensammlers hatte? Was der
       Mann vor dem Supermarkt, der uns nach Geld fragte, in seiner Tasche hatte?
       Auf keine dieser Fragen habe ich eine Antwort.
       
       Dabei ist [1][Obdachlosigkeit] das sichtbarste Symptom der aktuellen
       Wohnungsnot in Deutschland. Dem aktuellen Wohnungslosenbericht der
       Bundesregierung zufolge sind in Deutschland rund 531.600 Menschen
       wohnungslos, fast 50.000 von ihnen leben auf der Straße. Tendenz seit
       Beginn des Krieges in der Ukraine steigend.
       
       Doch im Wahlkampf findet das Thema keine Aufmerksamkeit. Nur Grüne und
       Linke wollen Obdachlosigkeit beenden und setzen dabei auf den Ansatz
       [2][„Housing First“], bei dem den Menschen eine Wohnung vermittelt wird,
       ohne dass diese an weitere Bedingungen geknüpft ist.
       
       Außerdem wollen beide Parteien Zwangsräumungen verhindern, die in die
       Obdachlosigkeit führen. Bei allen anderen Parteien wird Obdachlosigkeit in
       den Wahlprogrammen nicht einmal erwähnt.
       
       Doch wie alle Probleme verschwindet auch Obdachlosigkeit nicht, wenn man
       die Augen davor verschließt oder den Blick abwendet. Auf dem Nachhauseweg
       schaue ich mir die Menschen zum ersten Mal genauer an.
       
       Der Obdachlose am U-Bahnhof hat Zeitung unter seine Isomatte gelegt, um
       sich vor der Kälte zu schützen. Der Flaschensammler trägt eine blaue Mütze.
       Und der Mann vor dem Supermarkt hat ein Xylofon in seiner Tasche.
       
       Lenja Vogt ist eine von 23 Nachwuchsjournalist*innen, die in der taz
       derzeit eine Sonderbeilage zur Bundestagswahl gestalten. Sie erscheint am
       21. Februar.
       
       20 Feb 2025
       
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