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       # taz.de -- Täter von Aschaffenburg: Wohl nicht der erste Angriff mit einem Messer
       
       > Enamullah O. hatte offenbar bereits im August 2024 in seiner Unterkunft
       > eine Frau mit einem Messer angegriffen. Die Polizei ermittelte zunächst
       > nicht.
       
   IMG Bild: „Weniger Wahlkampf, mehr Mitgefühl“: Tatort nach dem tödlichen Messerangriff eines psychisch kranken Flüchtlings in Aschaffenburg
       
       Berlin taz | Nach dem Messerangriff auf eine Kita-Gruppe mit zwei Toten in
       Aschaffenburg sind neue Details über vorherige mutmaßliche Straftaten des
       beschuldigten Enamullah O. bekannt geworden: So hatte die Polizei den
       mutmaßlich psychisch kranken 28-Jährigen neben drei bereits bekannten
       Unterbringungen in einem Krankenhaus auch Ende August 2024 eine Nacht in
       „Unterbindungsgewahrsam“ genommen – allerdings nach dem Einsatz keine
       Ermittlungen eingeleitet.
       
       Das geht aus einer Antwort aus dem bayerischen Innenministerium von Joachim
       Herrmann (CSU) auf eine Anfrage der SPD-Fraktion im Landtag hervor. Diese
       liegt der taz vor. Darin heißt es, die Polizei sei am 29. August in die
       Asylbewerberunterkunft in Alzenau wegen einer Streitigkeit unter Bewohnern
       gerufen worden. Beim Eintreffen der Polizei sei O. von Mitbewohnern in
       seinem Zimmer fixiert gewesen.
       
       O. habe sich verbal aggressiv verhalten und sei sichtlich alkoholisiert
       gewesen. Ebenso eine Geschädigte, die Verletzungen aufwies. Diese seien
       jedoch nicht zuzuordnen gewesen, weil weder die Verletzte noch die
       Mitbewohner zum Verlauf der Streitigkeiten Angaben gemacht hätten. Der
       Beschuldigte sei dennoch „zur Unterbindung von Sicherheitsstörungen“ über
       Nacht in „Unterbindungsgewahrsam“ genommen worden, wie es in der Antwort
       heißt. Bei Erhebungen im Nachgang hätten sich keine weiteren Hinweise auf
       strafbares Verhalten ergeben. Weitere Ermittlungen gab es zunächst nicht.
       
       Mittlerweile ermittelt die Polizei in dem Fall allerdings wegen
       gefährlicher Körperverletzung, weil O. eine Frau in der
       Asylbewerberunterkunft Alzenau mit einem Messer attackiert haben soll. Eine
       Anzeige habe die Frau erst nach der Tat von Aschaffenburg erstattet, heißt
       es in der Antwort.
       
       Es kursiert inzwischen auch ein Video von dem Vorfall, über das zuerst die
       [1][Bild berichtete]. In dem Mitschnitt ist zu sehen, wie mehrere Bewohner
       einen Mann, offenbar O., am Boden festhalten. Ebenfalls soll die verletzte
       Frau kurz zu sehen sein. Zu sehen ist eine kleinere blutende Verletzung am
       Ellenbogen. Laut Bild soll sie mehrere Schnittwunden gehabt haben, die ihr
       mit einem Hackmesser zugefügt worden seien. Unklar ist, warum die Polizei
       ob der Verletzungen nicht von sich aus, also von Amts wegen, ermittelte.
       
       ## Schlagstock entwendet, Polizisten leicht verletzt
       
       Ebenso enthält die Antwort des Innenministeriums neue Details zu einem
       mutmaßlichen tätlichen Angriff Os. auf Vollstreckungsbeamte im Mai 2024. O.
       soll dabei eigenständig die Bundespolizeiinspektion Aschaffenburg
       aufgesucht und über Schmerzen geklagt haben. Der Grund: Er habe Diamanten
       geschluckt und glaube nun zu sterben.
       
       Nach der Durchsuchung von O. sei es zu massiven Widerstandshandlungen
       gekommen, er habe dabei mehrfach versucht, den Beamten die Dienstwaffe zu
       entreißen, zudem habe er einen Schlagstock entwendet. Bei dem Einsatz
       wurden drei Bundespolizisten leicht verletzt. Noch am selben Tag wurde O.
       wegen Eigen- und Fremdgefährdung polizeilich untergebracht.
       
       Insgesamt liefen gegen O. 18 Strafverfahren in 12 Tatkomplexen in Bayern,
       hinzu kommen 4 Strafverfahren in Hessen. Dreimal wurde er psychiatrisch
       untergebracht, zweimal davon auch wegen Fremdgefährdung. Von den 12
       bayerischen Tatkomplexen wurden 5 eingestellt, in 2 Verfahren Geldstrafen
       verhängt. Die restlichen fünf Verfahren sind noch anhängig.
       
       Die bayerische Landtagsabgeordnete und innenpolitische Sprecherin der SPD,
       Christiane Feichtmeier, sagte der taz: „Es drängt sich immer mehr die Frage
       auf, warum der Tatverdächtige nicht längst untergebracht war.“ Zudem
       forderte Feichtmeier, selbst Polizistin, weitere Aufklärung im Zusammenhang
       mit dem Unterbindungsgewahrsam im August 2024 und des Angriffs auf eine
       Frau mit einem Küchenbeil. „Die Frau hatte Schnittwunden. Wieso hatte diese
       Tat keine Konsequenzen? Wieso wurde hier kein Ermittlungsverfahren
       eingeleitet?“ Sie erwarte von Innenminister Herrmann, „dass sämtliche
       Fakten auf den Tisch kommen“, so Feichtmeier.
       
       Der SPD-Abgeordnete Florian von Brunn kritisierte zudem mangelnde
       Behördenkommunikation: „Der Tatverdächtige war etliche Male auffällig. Die
       Behörden wirken völlig unkoordiniert. Allein wegen der
       Körperverletzungsverfahren hätte man das Bamf (Bundesamt für Migration und
       Flüchtlinge, d. Red.) durchaus informieren können.“ Spätestens nach dem
       Vorfall im Mai 2024 hätten sämtliche Alarmglocken schrillen müssen, so von
       Brunn. Bevor Ministerpräsident Markus Söder [2][von der Grenzpolizei als
       „Nachtwache“ aus der Fernsehserie „Game of Thrones“ schwadroniere], solle
       er sich lieber um die Sicherheit auf Bayerns Straßen kümmern, so von Brunn.
       
       ## Abschiebung scheiterte wohl wegen Bamf
       
       Bayerns Innenministerium machte in seiner Antwort geltend, dass die
       Deliktschwere für eine Meldung der Straftaten an das Bamf in keinem Fall
       erreicht worden sei. Tatsächlich informieren Strafbehörden oder Justiz das
       Bamf erst ab einer Deliktschwere mit zu erwartenden Mindeststrafen von
       einem Jahr Freiheitsstrafe. Bei gefährlicher Körperverletzung liegt das
       Strafmaß zwischen 6 Monaten und 10 Jahren.
       
       O. war im November 2022 über Bulgarien nach Deutschland gekommen und
       ausreisepflichtig. Er hatte sein Asylverfahren abgebrochen und angegeben,
       ausreisen zu wollen. Eine Abschiebung nach Bulgarien über das
       Dublin-Verfahren scheiterte 2023 allerdings wegen verpasster Fristen,
       [3][dafür war maßgeblich die Überlastung im Bamf verantwortlich].
       
       Über die Verantwortung für die gescheiterte Abschiebung gibt es seit der
       Tat gegenseitige Schuldzuweisungen zwischen Bayern und dem Bund.
       Mittlerweile soll das Bamf personell gestärkt worden sein, lange
       Verfahrensdauern sollen der Vergangenheit angehören – 2024 habe das
       Innenministerium von Nancy Faeser (SPD) Personalmittel für 1.140
       zusätzliche Stellen bereitgestellt.
       
       O. hatte im Innenstadtpark Schöntal in Aschaffenburg, nahe seiner
       Unterkung, auf mehrere Menschen mit einem Küchenmesser eingestochen. Er
       hatte laut CSU-Innenminister „unvermittelt und gezielt“ eine Kita-Gruppe
       angegriffen, dabei einen zweijährigen marokkanischen Jungen und einen
       41-jährigen Mann getötet, zwei weitere Menschen schwer verletzt. Ein
       zweijähriges syrisches Mädchen ist außer Lebensgefahr, ebenso ein
       72-jähriger Mann, der zur Hilfe kam. Der getötete 41-Jährige soll ein
       Passant gewesen sein, der O. von weiteren Taten abgehalten habe. Die
       Polizei nahm O. kurz nach der Tat fest, brachte ihn in einer geschlossenen
       Einrichtung unter. Gegen ihn läuft ein Strafverfahren wegen Mordes und
       versuchten Mordes.
       
       ## Ersatzfreiheitsstrafe nicht vollstreckt
       
       Der mutmaßliche Angreifer und Asylbewerber wohnte in einer Unterkunft in
       der Nähe des Parks, in dem der Angriff geschah. und war laut bayerischem
       Innenministerium in psychiatrischer Behandlung. Herrmann hatte zunächst
       gesagt, der Mann sei bereits mindestens dreimal wegen Gewalttaten
       aufgefallen, in psychiatrische Behandlungen gekommen und wieder entlassen
       worden.
       
       O. war in der Vergangenheit zeitweise in einer allgemeinpsychiatrischen
       Tagesklinik untergebracht sowie in einer psychiatrischen Klinik in Werneck.
       Der Innenminister sprach von einer „zeitweiligen“ Schizophrenie, es seien
       Medikamente verschrieben worden, mit denen er in die Asylunterkunft
       zurückkehren durfte. In einer geschlossenen Einrichtung war er nicht
       untergebracht. Allerdings war Betreuung abgeordnet worden – zu einem
       vereinbarten Termin sei er aber nicht gekommen, so Herrmann.
       
       In zwei seiner Strafverfahren wurde O. bereits zu Geldstrafen verurteilt,
       eines davon wegen Körperverletzung, das andere wegen Betrugs beim Fahren
       ohne Fahrschein. Weil er die erste Strafe nicht zahlte, sollte er kurz vor
       Weihnachten eine einmonatige Ersatzfreiheitsstrafe antreten. O. erschien
       allerdings nicht. Weil wegen der weiteren Geldstrafe eine
       Gesamtfreiheitsstrafe hätte gebildet werden müssen und sich das Verfahren
       und die Vollstreckung des Haftbefehls somit verzögerte, blieb O. auf freiem
       Fuß.
       
       Die mutmaßlichen Morde haben Aschaffenburg und die Bundesrepublik
       erschüttert. Zahlreiche Politiker gedachten kurz nach der Tat vor Ort.
       3.000 Menschen gedachten schweigend vor Ort am Tag danach im Park. Seit der
       Tat streiten die Parteien im Wahlkampf vor allem um die Begrenzung von
       Migration und Abschiebungen. Die mangelnde Versorgung psychisch kranker
       Geflüchteter ist dabei kaum Thema. [4][Bayern lehnt es auch nach der Tat
       ab], präventiv die unzureichende psychosoziale Betreuung für Geflüchtete
       weiter auszubauen.
       
       Laut Experten erhalten nur drei Prozent der versorgungsbedürftigen
       Geflüchteten in Deutschland auch eine Versorgung. Einer Metastudie zufolge
       haben rund 30 Prozent der Geflüchteten eine Traumastörung. Ein Bruchteil
       psychisch erkrankter Menschen [5][werde dabei auch straffällig]. Während
       der Anteil von Gewalttätern in der Bevölkerung bei 2 Prozent liegt, liegt
       er bei psychisch Kranken bei 4 Prozent.
       
       7 Feb 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.bild.de/regional/bayern/polizei-tat-nichts-aschaffenburg-killer-griff-frau-mit-kuechenbeil-an-67a1ae63d72ca12c3499e151
   DIR [2] https://www.rnd.de/politik/soeder-vergleicht-grenzpolizei-mit-game-of-thrones-nachtwache-B66UC6TCS5PBVKMWAWEOA4SHOM.html
   DIR [3] https://www.spiegel.de/panorama/justiz/angriff-in-aschaffenburg-ueberlastung-im-bamf-verzoegerte-wohl-abschiebebescheid-a-a318f126-eb73-4bd0-ba6f-c4ea56bb0831
   DIR [4] https://www.br.de/nachrichten/bayern/bayern-kein-ausbau-von-psychosozialer-betreuung-fuer-gefluechtete,Uc2L4Lr
   DIR [5] https://www.swr.de/swrkultur/wissen/psychisch-gestoerte-attentaeter-seelische-krankheiten-und-gewalt-106.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gareth Joswig
       
       ## TAGS
       
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