URI: 
       # taz.de -- Buch über Strategien von AfD und Putin: Vergangenheit, die es nie gab
       
       > In „Das Deutsche Demokratische Reich“ zeigt der Historiker Volker Weiß,
       > wie die AfD und Putin Geschichte umschreiben.
       
   IMG Bild: Schulterschluss: Der russische Außenminister Sergei Lawrow und AfD-Co-Parteichef Tino Chrupalla bei einem Treffen in Moskau 2020
       
       Am 3. Oktober des Jahres 2023 demonstrierte Jürgen Elsässer, Chef des
       Magazins Compact, wie sich die Rechte aus historischen und ideologischen
       Versatzstücken ihre Gegenwelt zusammenbastelt: „Die Hoffnung für mich liegt
       eindeutig im Osten, wo die Menschen noch Deutsche bleiben und Deutschland
       verteidigen wollen“, sagte der Propagandist bei einer Rede zum sogenannten
       Tag der deutschen Freiheit in Gera. Für Ultrarechte, Nationalkonservative
       und Neonazis ist das Territorium der DDR nach deren Untergang zum Land der
       Hoffnung geworden. Hier gibt es wenig „Ausländer“, hier herrscht noch
       Disziplin, hier isst man noch echte Würste.
       
       Diese Nostalgie spricht nicht nur Leute an, die autoritär gestrickt sind
       und angesichts der Zumutungen der Moderne gern in einer Märchenwelt leben
       wollen. Volker Weiß weist in seinem neuen Buch darauf hin, dass der
       [1][AfD-Politiker] Björn Höcke darüber berichtet hat, wie sein Vater ihm
       1989 erklärte, dass mit dem Untergang der DDR das letzte ethnische
       Reservoir Deutschlands von Überfremdung bedroht werde.
       
       Elsässer stellte in seiner Rede sodann die Frage, „ob wir nicht im Osten
       die DDR neu gründen sollten. Aber nicht auf sozialistischer Grundlage,
       sondern als Deutsches Demokratisches Reich“. Dessen Reichskanzler solle
       Björn Höcke werden. Für den Posten des „Reichskommissars für Inneres und
       Bandenbekämpfung“ schlug Elsässer einen Ex-AfDler vor, André Poggenburg,
       der Linke einst als „Wucherungen am Volkskörper“ bezeichnet hatte.
       
       Zerstörung historischen Wissens 
       
       Reichskommissare gab es im Deutschen Reich und unter der Herrschaft der
       Nationalsozialisten einige. Der bekannteste und berüchtigste unter ihnen
       war der Reichsführer der SS, Heinrich Himmler. „Bandenbekämpfung“ wiederum
       war ein Nazi-Codewort für Massenerschießungen von Juden in den eroberten
       Gebieten der Sowjetunion. Man ahnt also, was für ein „Deutsches
       Demokratisches Reich“ sich Elsässer da imaginierte. Dieses begriffliche
       Monster hat nun dem eben erschienenen Buch von Volker Weiß den Titel
       gegeben. Darin analysiert der Historiker, der sich als Experte für
       neurechte Theoriebildung einen Namen gemacht hat, kenntnis- und detailreich
       die Geschichtspolitik von Neonazis, Rechtsextremisten und AfD-Kadern.
       
       Eine der wesentlichen Operationen dieser Geschichtspolitik besteht in der
       Zerstörung historischen Wissens und der Neudefinition von bekannten
       Begriffen. Weiß widmet sich ausführlich der Frage, [2][wie „sozialistisch“
       die NSDAP] war, hatte sich doch zuletzt Alice Weidel den beliebten
       Taschenspielertrick der Ultrarechten zu eigen gemacht und behauptet, die
       originalen Nazis seien links gewesen, weil: „nationalsozialistisch“. Weiß
       erinnert daran, dass solche Umdeutungen schon erfolgreich die Autoren der
       „Konservativen Revolution“ in der Weimarer Republik vorgenommen hatten. Der
       „Sozialismus“, den sich diese „konservativen Revolutionäre“
       zusammenschusterten, hatte mit der ursprünglichen Idee des Sozialismus
       wenig zu tun.
       
       Der „Sozialismus“, den Naziführer propagierten, war noch weiter davon
       entfernt: Er war durch und durch rassistisch, ein „Sozialismus des guten
       Blutes“, wie ihn Heinrich Himmler nannte. Der Begriff diente dazu, die
       größte Wählergruppe der 1930er anzusprechen: Das Proletariat, das nun als
       „Arbeiterschaft“ tituliert wurde, hatte de facto jedoch wenig bis nichts
       von der NS-Politik zu erwarten. Seine Gewerkschaften wurden zerschlagen,
       seine Rechte beschnitten, Sozialisten in Konzentrationslager gesteckt und
       ermordet. Der Nationalsozialismus wurde ideologisch durch einen „doppelten
       Antisemitismus“ ermöglicht, der in den widersprüchlichen Figuren des
       „jüdischen Spekulantentums“ und des „jüdischen Bolschewismus“ seinen
       Ausdruck fand, wie Götz Aly in seiner Studie „Hitlers Volksstaat“ gezeigt
       hat.
       
       Die Verbindung von Rassismus mit einem Gleichheitsversprechen für die
       „Volksgenossen“ beschränkte sich aber nicht nur auf die Ebene der
       Ideologie: Hitlers „Volksstaat“ basierte auf der Enteignung der jüdischen
       Bevölkerung in ganz Europa und in den Konzeptionen der
       NS-Wirtschaftsexperten auch auf der geplanten Vertreibung von 50 Millionen
       Slawen aus den besetzten Ostgebieten.
       
       Angesichts des Schindluders, das die neuen Rechten mit Begriffen, den
       Erkenntnissen einer kritischen Geschichtswissenschaft und mit der
       Geschichte selbst treiben, ist es nachvollziehbar, dass Weiß der Frage des
       vermeintlichen „Sozialismus“ der NSDAP viel Platz einräumt. Diese Umdeutung
       von Geschichte steht für Weiß darüber hinaus beispielhaft für das Vorgehen
       der Theoretiker der extremen Rechten, die das Projekt einer
       „historisch-fiktionalen Gegenerzählung“ verfolgten. „Zur Vorbereitung der
       verheißenen glorreichen Zukunft muss zunächst das historische Geschehen neu
       überschrieben werden, um die Vergangenheit wieder attraktiver erscheinen zu
       lassen.“ In der rechten „Geschichts-Scharade“ werde der Nationalsozialismus
       für Inhalte verurteilt, „die weniger zentral waren, während sogleich sein
       ideologischer Kern rehabilitiert wird“, schreibt Weiß.
       
       Ironischerweise kämen dabei Methoden zur Anwendung, die lange als
       progressiv verstanden worden sind. Mittels „Subversion durch
       Resignifikation“, also Unterwanderung durch Aneignung und Umdeutung
       bekannter Symbole und Begriffe, sollte „einst ‚Macht‘ revolutionär
       dekonstruiert werden“, schreibt Weiß. Inzwischen aber sei dieses Verfahren
       „längst zum gefügigen Mittel der Gegenrevolution geworden“.
       
       Zentral ist dieses Verfahren für die extreme Rechte auch auf einem weiteren
       Feld – wenn es zu begründen gilt, warum deren einstiger Erzfeind, die
       Sowjetunion, und ihr imperialistisches Nachfolgeregime, die Diktatur
       Putins, heute von ihr positiv betrachtet werden. Zwischen Wladimir Putin
       und den Hardlinern der AfD herrscht Einigkeit darüber, wer der Feind ist:
       „Der Westen“, dessen Kultur „unser Volk innerlich zerfressen“ solle, wie
       Putin es formulierte. Westliche Ideen führten „auf direktem Weg zu Zerfall
       und Entartung“, da sie angeblich der „Natur des Menschen“ widersprächen.
       
       Ehemalige KGBler reden wie Faschisten 
       
       Es ist kein Wunder, dass sich die Ultrarechten der AfD gern in Putins Reich
       einladen lassen. Weiß zitiert den Osteuropa-Historiker Andreas Kappeler,
       der in Putins Gedankenwelt eine Vermischung von „Sowjetpatriotismus“, eines
       imperialen und ethnischen Nationalismus und eines „Blut-und-Boden-Pathos“
       erkennt.
       
       Dass ein einstiger KGB-Offizier heute wie ein Faschist daher redet, scheint
       aber auch für rechte Denker erklärungsbedürftig zu sein. Dimitrios
       Kisoudis, der im Februar 2022 – „pünktlich zur russischen Invasion der
       Ukraine“, wie Weiß schreibt – zum Grundsatzreferenten des sich stets
       bürgerlich und bodenständig gebenden AfD-Chefs [3][Tino Chrupalla] ernannt
       wurde, hat eine Erklärung parat: Der sowjetische Geheimdienst sei laut
       Kisoudis eine „politisch neutrale Macht“ gewesen. Die Agenten des KGB
       hätten ihre „technisch anspruchsvolle Arbeit loyal und nervenstark“ aus
       Vaterlandsliebe ausgeübt. Volker Weiß wundert sich angesichts solcher
       Aussagen darüber, dass Kisoudis’ neuer Posten im engsten Stab der
       Parteispitze von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet geblieben sei.
       
       Putin wiederum hat die europäische Ultrarechte längst als willige Agentin
       der Destabilisierung des Westens entdeckt. Europäische Nationalisten,
       Rassisten und Verschwörungstheoretiker werden von Putin mit massiver
       Unterstützung bedacht, unter anderem durch seine Diversionsfabriken, die
       mit Fake-News-Kampagnen rechtsextreme Propaganda in Europa verstärken.
       
       Dennoch stürzte Putins Invasion in die Ukraine die extreme Rechte kurz in
       Verwirrung. Der selbsternannte Vordenker Götz Kubitschek etwa schien fast
       beleidigt darüber zu sein, dass in Deutschland große Einigkeit darüber
       herrschte, die Ukraine bei der Verteidigung gegen die russische Aggression
       unterstützen zu wollen. Diese Wehrhaftigkeit passte wohl nicht ins rechte
       Propagandabild einer verweichlichten und unsoldatischen Nation, spekuliert
       Weiß und merkt an, dass auch Björn Höcke schnell „wesentliche Elemente der
       russischen Agitation übernommen“ habe.
       
       Die völkischen Nationalisten der AfD bilden mit Putins Russland also eine
       antiwestliche Allianz, die sie laut Weiß als „Garantiemacht“ gegen den
       „dekadenten westlichen Liberalismus“ verstehen. Ihre Geschichtspolitik
       konstruiert eine Vergangenheit, die es nie gegeben hat. So arbeiten auch
       die Ideologen der Alt.Right in den USA, aus deren Echokammern sich das
       Weltbild Donald Trumps speist. Eine erfundene Geschichte soll als Modell
       der Zukunft dienen: „Make America Great Again“. Wie nah sich europäische
       Ultrarechte, Wladimir Putin und der US-amerikanische Präsident inzwischen
       auch politisch stehen, haben die vergangenen Tage gezeigt.
       
       22 Feb 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /!6058444&s=H%C3%B6cke&SuchRahmen=Print/
   DIR [2] /Weidel-Wagenknecht-und-Hitler/!6064499
   DIR [3] /Streit-um-Russland-in-der-AfD/!6057838
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrich Gutmair
       
       ## TAGS
       
   DIR Politisches Buch
   DIR Schwerpunkt Jürgen Elsässer
   DIR Schwerpunkt AfD
   DIR Wladimir Putin
   DIR Offene Gesellschaft
   DIR GNS
   DIR Politisches Buch
   DIR Kolumne Feed Interrupted
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
   DIR Alice Weidel
   DIR Alice Weidel
   DIR Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Buch über Erfolg der Nazi-Ideologie: Die Lust am Hass bleibt
       
       Der Philosoph Menno ter Braak hat in den 1930er Jahren die rechte Ideologie
       seziert. Dass seine Analyse stimmt, zeigt auch die AfD-Wählerschaft von
       heute.
       
   DIR Visuelle Gewalt der Rechten: Zynismus und lustvolle Unmoral
       
       Zynismus ist Teil der Provokation der Rechten in den sozialen Medien. Das
       Video zu Migration der US-Ministerin für Innere Sicherheit zeigt das
       unverhohlen.
       
   DIR Gastbeitrag zu Putins Kulturzerstörung: Dieser Krieg ist ein Angriff auf unsere Lebensweise
       
       Putin legt es darauf an, das kulturelle Erbe der Ukraine zu zerstören, um
       ihre demokratische Entwicklung zu unterbinden. Ein Gastbeitrag.
       
   DIR +++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++: Trump will seltene Erden und Öl
       
       Vor dem dritten Jahrestag des Kriegsbeginns wirbt Trump für sein
       Rohstoff-Abkommen mit der Ukraine. Doch die verlangt weiter
       Sicherheitsgarantien.
       
   DIR AfD-Wahlkampf in Sachsen: Treffen der antisemitischen Putin-Freunde
       
       Mit Liebesgrüßen nach Moskau: Die AfD Sachsen lädt für den
       Wahlkampfabschluss russlandtreue und ultraradikale Politiker aus Serbien
       und Bulgarien ein.
       
   DIR Weidel bei Ungarns Ministerpräsident: Alice im Orbánland
       
       Autoritäre Wahlkampfhilfe: AfD-Alice Weidel ließ sich in Ungarn wie ein
       Staatsgast hofieren. Den Autokraten Orbán nannte sie ein „großes Vorbild“.
       
   DIR Weidel, Wagenknecht und Hitler: Links-grüne Nazi-Kommunisten
       
       Für Alice Weidel sind Hitler, Stalin und Wagenknecht alles Sozialisten. Das
       ist absurd. Trotzdem sind die Kategorien „links“ und „rechts“ veraltet.
       
   DIR AfD und Erinnerungskultur: Zwischen Tabubruch und Selbstverharmlosung
       
       Die AfD ist offen geschichtsrevisionistisch: Das zeigt sich im Wahlprogramm
       und in vielen Provokationen, kritisiert Historiker Jens-Christian Wagner.