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       # taz.de -- Drei Jahre Krieg in der Ukraine: Angst vor Waschmaschinenlärm
       
       > Die Sirenen in der ostukrainischen Stadt Charkiw holen die Einwohner fast
       > täglich aus dem Schlaf. Viele sind geflohen, Zigtausende werden vermisst.
       
   IMG Bild: Schwer beschädigtes Wohnhaus im Charkiwer Ortsteil Saltivka
       
       Charkiw taz | „Ich habe zweimal mein Haus verloren“ sagt Azad seinem
       Fahrgast irgendwo am Stadtrand der zu dieser Zeit immer noch verschneiten
       ostukrainischen Millionenstadt Charkiw. Aus seinem Autoradio ertönt
       aserbaidschanische Musik, am Spiegel neben dem Fahrersitz hängen zwei
       Fähnchen, eines in den Nationalfarben der Ukraine und eines mit Mond und
       Stern, den Symbolen der aserbaidschanischen Flagge.
       
       Azad ist eigentlich Vorarbeiter auf dem Bau. Aber im Krieg werde nicht
       gebaut, jedenfalls nicht in Charkiw, klagt er. Deswegen verdient er sich
       seinen Lebensunterhalt mit Taxifahren. Azad ist aserbaidschanischer
       Staatsbürger. Aber seit 30 Jahren lebt er in der Ukraine, vor 20 Jahren hat
       er seine ukrainische Frau geheiratet. In den 1990er-Jahren hatte seine
       Familie im armenisch-aserbaidschanischen Krieg ihr Haus in der Nähe von
       Bergkarabach verloren, sie mussten fliehen, berichtet er, und beschlossen,
       einen ruhigeren Ort zum Leben zu suchen – in der Ukraine.
       
       Vor gut zwei Jahren wurde dort das Haus seiner Eltern zerschossen, wieder
       flohen seine Eltern. „Sie sind nach Aserbaidschan zurück, dort ist kein
       Krieg.“ Er selber werde bleiben. Dabei schreckt er selbst dann zusammen,
       wenn er nachts die Waschmaschine in der Nachbarwohnung hört, weil er denkt,
       es könnte ein Flugobjekt sein. Wer in Charkiw die Nacht durchschlafen kann,
       ist ein glücklicher Mensch.
       
       Am vergangenen Wochenende hat Ihor Terechow, der Oberbürgermeister von
       Charkiw, stolz verkündet, dass man nun ein Sirenenwarnsystem eingerichtet
       habe. Es unterscheide zwischen Bedrohungen des Gebietes Charkiw und der
       Stadt Charkiw. Deswegen müsse die traumatisierte Bevölkerung seltener die
       Alarmsignale hören.
       
       ## Akute Gefahr
       
       Azad ist davon nicht wirklich begeistert. Bisher hatte er sich bei einem
       Alarm immer eingeredet, dass die Sirenen das Gebiet beträfen und nicht die
       Stadt Charkiw. Nun ist er sich leider sicher, dass bei jedem Alarm eine
       akute Gefahr für seine Stadt Charkiw bestehe.[1][Die Hoffnungen, es werde
       am dritten Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine ruhiger
       werden, haben sich nicht erfüllt]
       
       Die Hoffnungen, es werde am dritten Jahrestag des russischen Überfalls auf
       die Ukraine ruhiger werden, haben sich nicht erfüllt. Alleine in der Nacht
       auf Montag wurde die Ukraine laut ukrainischen Behörden von 185 Drohnen
       angegriffen. Und auch tagsüber sind in Charkiw am Jahrestag die Sirenen
       mehrfach zu hören.
       
       Während einige Sender mit Sondersendungen, Gesprächsrunden über Szenarien
       eines Kriegsendes, Dokumentationen und Reportagen aufwarten, behalten
       andere ihr reguläres Programm weitgehend bei. Schließlich sei jeder Tag im
       Krieg mehr oder weniger gleich, argumentieren sie.
       
       Der Sender „1+1“ widmet sich dem Schicksal von Ukrainern im In- und
       Ausland, mit Live-Schalten aus Irpin und Butscha. „Inter“ zeigt, wie sich
       die Ukraine durch den Krieg verändert hat – vom Militär bis hin zum
       Sprachgebrauch in der Gesellschaft. Der Kanal des ukrainischen Parlaments
       „Rada“ macht eine Extra-Sendung zu Freiwilligen.
       
       ## Zehntausende werden vermisst
       
       Der öffentlich-rechtliche Sender „Suspilne“ beschreibt das Schicksal eines
       Mädchens, das ihre Mutter beim Angriff auf den Bahnhof in Kramatorsk
       verloren hat. Daneben analysiert „Rada“ die Bevölkerungsentwicklung der
       Ukraine seit der Invasion und die gesellschaftlichen Veränderungen durch
       eine steigende Zahl von Menschen mit Behinderungen.
       
       Nach Angaben von Jewhen Sacharow, dem Vorsitzenden der
       „Menschenrechtsgruppe Charkiw“, hat die Ukraine mittlerweile 63.000
       Menschen als vermisst registriert, Männer, Frauen und Kinder, die im Zuge
       des Krieges verschwunden sind. Niemand wisse, wo sie sich befänden, so
       Sacharow.
       
       Er fordert zudem, [2][dass alle ukrainischen Kriegsgefangenen sowie alle
       inhaftierten Personen vor Beginn von Verhandlungen freigelassen und
       ausgetauscht würden]. Gleiches solle für russische Inhaftierte gelten, die
       für ihre Proteste gegen den Krieg verurteilt worden seien.
       
       24 Feb 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Bernhard Clasen
       
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