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       # taz.de -- Ergebnis der zwölf Berliner Wahlkreise: Blamage für die SPD, Schock für linke Grüne
       
       > Die Partei Willy Brandts gewinnt in Berlin nur einen Bundestagswahlkreis.
       > Den Grünen hingegen geht ihre Hochburg Friedrichshain-Kreuzberg verloren.
       
   IMG Bild: Das war am Wahlsonntag das Ziel (fast) aller Wünsche: ein solcher Bundestagssitzung unter der Reichstagskuppel
       
       Berlin taz | Es war eine Wahl voll Überraschungen und großer Spannung: Die
       Entscheidung in Berlins zwölf Wahlkreisen war so vorher auf keinem
       bekanntgewordenen Prognosezettel zu sehen. Statt allein mit Gregor Gysi den
       Sieg eines Direktkandidaten einzufahren, wurden es bei der Linkspartei
       vier. Die SPD hingegen sackte von vier Erfolgen 2021 auf nun bloß einen ab.
       Die CDU verlor quasi auf den letzten Metern zwei fast schon gewonnen
       geglaubte Wahlkreise und stellte drei Sieger. Die Grünen blieben als
       einzige Partei konstant und konnten wie 2021 drei Wahlkreise gewinnen.
       Einer geht erstmals in Berlin an die AfD.
       
       Auch wenn der Sieg des Linkspartei-Kandidaten Ferat Koçak in Neukölln das
       erste Direktmandat seiner Partei in einem reinen West-Wahlkreis bedeutet:
       Die größte Überraschung der Wahl ist, dass die Grünen den Wahlkreis
       Friedrichshain-Kreuzberg, zu dem auch der Osten von Prenzlauer Berg gehört,
       an die Linkspartei und ihren Kandidaten Pascal Meiser verlieren. Mit fast
       20 Prozentpunkten oder rund 30.000 (!) Stimmen Vorsprung hatte die Grüne
       Canan Bayram 2021 hier gewonnen, in der langjährigen Wirkungsstätte
       Hans-Christian Ströbeles. An ihrer Stelle trat dieses Mal die langjährige
       Landesparlamentarierin Katrin Schmidberger an, alles andere als eine
       Unbekannte im Wahlkreis – und lag am Ende mehr als 7.000 Stimmen hinter
       Meiser.
       
       Zwei andere Grüne hingegen gewannen vor Linkspartei-Bewerberinnen, obwohl
       ihre Partei bei den Zweitstimmen Verluste hinnehmen musste und nicht vorne
       lag. Julia Schneider in Pankow, bei der manche befürchtet hatten,
       Grünen-Anhänger könnten sie wegen des desaströsen Umgangs ihrer Partei mit
       ihrem Vorgänger Stefan Gelbhaar nicht unterstützen, gewann genauso wie
       Hanna Steinmüller in Mitte. Schneider erreichte fast Gelbhaars Ergebnis.
       
       Das heißt komprimiert: Die Grünen haben dort Wahlkreise behaupten können,
       wo parteiintern das Realo-Lager dominiert und ihre mitgliederstärksten
       Kreisverbände zu Hause sind, nämlich in Mitte und Pankow – und dort
       verloren, wo die Parteilinken das Sagen haben. Das gilt außer für den
       Schmidberger-Wahlkreis auch für Neukölln. Dort kam der Grüne Andreas
       Audretsch mit nur 11,1 Prozent lediglich auf Platz 5.
       
       ## Äußerst knappe Entscheidung
       
       Erstmals durchsetzen konnten sich die Grünen in Tempelhof-Schöneberg.
       Partei-Ikone Renate Künast, die nach fast 23 Jahren Bundestag nicht mehr
       antrat, lag zwar schon 2021 wie jetzt auch Moritz Heuberger vor dem CDUler
       Jan-Marco Luczak. Doch damals sammelte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert
       knapp noch mehr Stimmen.
       
       Der aber kandidierte ebenfalls nicht mehr, seine Nachfolgerin reichte
       stimmenmäßig nicht an ihn heran – und Heuberger, Kreisvorsitzender der
       örtlichen Grünen, konnte in der spannendsten Entscheidung des Berliner
       Wahlabends gegen Luczak gewinnen. Lange lag Heuberger in der Auszählung
       zurück, hatte noch zehn Minuten vor Auszählungsende über 300 Stimmen
       Rückstand und konnte dann dank größeren Rückhalts in den zuletzt
       ausgezählten Gebieten vorbeiziehen – um 61 Stimmen bei insgesamt über
       185.000 gültigen Erststimmen im Wahlkreis.
       
       Betrachtet man deren Verteilung hier genauer, sieht es zumindest so aus,
       als könnte Heuberger deutliche Unterstützung von Anhängern der Linkspartei
       bekommen haben: Deren Erststimmenergebnis liegt um gut 5 Prozentpunkte
       unter ihrem Zweitstimmenergebnis – und genau um diese rund 5 Punkte liegt
       Heuberger bei seinen Erststimmen über dem Grünen-Parteiergebnis. Beide
       Parteien einte im Vorfeld der Wunsch, einen Erfolg von Luczak zu
       verhindern, dessen regulierungskritische Haltung in der Mietenpolitik ihn
       sogar von seinem Landeschef Kai Wegner trennt.
       
       ## SPD-Kandidat nur in Spandau vorne
       
       Den vielleicht größten persönlichen Erfolg der Wahl konnte im Wahlkreis
       Spandau, zu dem auch der Charlottenburger Norden gehört, Helmut Kleebank
       verbuchen, der frühere Bezirksbürgermeister. Während seine SPD überall
       sonst in der Stadt Sitze verlor, konnte er gegen den Trend seinen
       Wahlkreissieg von 2021 wiederholen.
       
       Seine SPD hingegen, die Partei Willy Brandts, der Regierender Bürgermeister
       war, der neben John F. Kennedy stand, als der am Rathaus Schöneberg sagte:
       „Ich bin ein Berliner“ – diese Partei ist stadtweit nur noch Nr. 5, auch
       noch hinter der AfD. Die Parteien liegen zwar vergleichsweise eng zusammen,
       mit 15,1 bzw. 15,2 Prozent. Aber für die SPD ist es ein historischer
       Tiefpunkt.
       
       Gegen den Trend in seinem Wahlkreis hätte sich fast auch Mario Czaja
       behauptet, der kurzzeitige CDU-Generalsekretär. Bei ihm in
       Marzahn-Hellersdorf wurde die AfD am Sonntag bei den Zweitstimmen fast
       doppelt so stark wie die CDU – doch bei der Wahlkreisstimme lag Czaja am
       Ende nur um 0,3 Prozentpunkte hinter Gottfried Curio, dem Kandidaten der
       AfD. Für die ist es der erste Wahlkreiserfolg in Berlin bei einer
       Bundestagswahl.
       
       ## CDU-Neuling gewinnt gegen Promis von Grünen und SPD
       
       Deutliche Wahlerfolge der CDU gab es lediglich in ihren traditionellen
       Hochburgen Reinickendorf und Steglitz-Zehlendorf, wo sich Marvin Schulz und
       Adrian Grasse durchsetzten. Spannender wurde es für die CDU noch in
       Charlottenburg-Wilmersdorf. Dort gewann der erstmals angetretene Lukas
       Krieger in einem zwischenzeitlich engen Rennen gegen die Berliner
       Spitzenkandidatin der Grünen, Bundesfamilienministerin Lisa Paus – und
       gegen Ex-Regierungschef Michael Müller.
       
       Weil ihm die SPD keinen aussichtsreichen Platz auf ihrer Landesliste geben
       wollte, muss Müller nun den Bundestag verlassen – und mutmaßlich seine
       politische Karriere beenden. Ins Parlament rücken über die Liste
       stattdessen SPDler, die viel deutlicher verloren haben.
       
       24 Feb 2025
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Alberti
       
       ## TAGS
       
   DIR Mario Czaja
   DIR Michael Müller
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