URI: 
       # taz.de -- „Ankerzentrum“ Bamberg: Können sich Geflüchtete in Deutschland überhaupt noch sicher fühlen?
       
       > Die Meldungen über den möglichen Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft
       > und über Abschiebungen sind längst in den Geflüchtetenunterkünften
       > angekommen.
       
   IMG Bild: In einer Zeit voller Ungewissheit bei „Freund statt Fremd e.V. „
       
       Bamberg taz | Bundestagsdebatten über den möglichen [1][Entzug der
       deutschen Staatsbürgerschaft] und [2][TV-Duelle] in denen gewetteifert
       wird, wer letztlich der Sieger im Abschieben ist – diese Entwicklungen
       zeugen nicht nur von einer aufgeheizten gesellschaftlichen Stimmung. Es
       sind auch Meldungen, die längst in den Geflüchtetenunterkünften angekommen
       sind.
       
       Die Situation im Ankerzentrum Bamberg ist besonders prekär. Allgemein soll
       das bayerische Anker-Konzept eine schnellere Abwicklung des Asylverfahrens
       ermöglichen, indem es Geflüchtete und Institutionen wie das Bundesamt für
       Migration und Flüchtlinge (BAMF), die Bundesagentur für Arbeit, das
       Jugendamt und weitere Zuständigkeiten an einem Ort zusammenbringt.
       
       Doch trotz dieser zentralisierten Struktur kann das Verfahren von wenigen
       Wochen bis zu einem Jahr in Anspruch nehmen. Für die Betroffenen bedeutet
       das nach ihrer Ankunft eine unmittelbare, erneute Unsicherheit – und durch
       die Umstände vor Ort kann von einem „trauten Heim“ kaum die Rede sein.
       
       ## Dem Staat aushelfen, weil nichts anderes bleibt
       
       Das Ankerzentrum Bamberg ist überfüllt – mehr als 1.200 Menschen leben
       zusammen, wo zahlreiche Sprachen und Kulturen aufeinandertreffen. Während
       der ungewissen Wartezeit haben Geflüchtete kaum Möglichkeiten für eine
       sinnvolle Beschäftigung. Sprachkurse und Bildungsangebote gibt es nur
       vereinzelt und das nur auf Eigeninitiative und durch ehrenamtliche
       Organisationen. Eine davon ist der Verein „[3][Freund statt Fremd e. V.]“.
       
       Seit zehn Jahren setzt sich diese für die Integration Geflüchteter ein. Eva
       Bollerhoff und Simone Oswald, beide im Verein engagiert, erklären: „Wir
       versuchen, in allen Bereichen zu helfen, in denen wir einen Bedarf sehen –
       von der Sprachförderung über die Wohnungssuche bis hin zu Beratungen für
       Frauen. Ohne uns gäbe es für die meisten Menschen mit ungeklärtem
       Aufenthaltsstatus schlichtweg keine Sprachkurse.“
       
       Was der Staat nicht leisten kann oder will, versucht der Verein durch
       freiwilliges Engagement zu ermöglichen. Das Ankerzentrum hat dafür eigene
       Räume zur Verfügung gestellt, in denen „Freund statt fremd e. V.“ für die
       Geflüchteten ein „Café Willkommen“ betreibt, niederschwellige Sprachkurse
       anbietet und ein Spielzimmer für Kinder eingerichtet hat – für ein kleines
       Stück Normalität im tristen Alltag. Die Verunsicherung aber bleibt. „Es
       sind zu viele Menschen auf engem Raum, alle mit unterschiedlicher Herkunft
       und Geschichte, aber mit derselben Angst, was mit ihnen passiert“,
       beschreibt Oswald die Situation im Ankerzentrum.
       
       Denn die politischen Debatten über die Migrationsfrage sind inzwischen im
       Geflüchtetenheim ein etabliertes Gesprächsthema. „Mittlerweile sprechen uns
       die Menschen ständig über die kommende Bundestagswahl an und fragen uns:
       Was wird nach Februar passieren?“, schildert Oswald. Das präge die Menschen
       und schüre nochmals mehr Angst. Aber auch der Rest der Gesellschaft werde
       durch die polarisierenden Debatten skeptischer: Der Verein merke, dass die
       Vermittlung von Jobs oder Möglichkeiten für eine Unterkunft auf dem sowieso
       angespannten Wohnungsmarkt nochmals erschwert wurde.
       
       Ein Symbol für dieses angestaute Misstrauen ist die im vergangenen Jahr
       eingeführte Bezahlkarte für Geflüchtete. Sie soll verhindern, dass ein Teil
       der monatlich zur Verfügung stehenden 460 Euro in die Heimat geschickt
       wird. Belege, dass diese Bankbewegungen bei den Geflüchteten tatsächlich
       stattgefunden haben, gab es jedoch nie. Dennoch sind die Betroffenen nun
       auf eine Bezahlkarte angewiesen, mit der sie nur noch 50 Euro im Monat bar
       abheben können.
       
       Neben dieser haltlosen Behauptung und der dennoch erfolgten Umsetzung sind
       vor allem die eingeschränkten Einkaufsmöglichkeiten problematisch. Viele
       Tante-Emma-Läden oder Online-Shops akzeptieren die Karte nicht. So wird aus
       einem günstigeren Kleinanzeigen-Handel oder dem Secondhandladen ein
       teurerer H&M- oder REWE-Einkauf, für das ohnehin schon knapp bemessene
       Budget für die Lebensgrundlage eines Geflüchteten.
       
       ## Der Tauschhandel als Ausweg
       
       Um dem entgegenzuwirken, hat sich im Dezember letzten Jahres in Bamberg
       eine Initiative gegen die Bezahlkarte gegründet. „Eine geflüchtete Person
       kann mit ihrer Bezahlkarte einen 50 Euro Gutschein bei Lebensmittelketten
       wie Lidl oder Rewe kaufen. Diese können Betroffene dann bei uns gegen
       Bargeld eintauschen“, erklärt Lou M. von der Initiative. Lou kritisiert
       dabei vor allem, dass neben dem begrenzten Geld auch die Teilhabe an der
       Gesellschaft weiter eingeschränkt wird. „Kultur gibt es so nicht, kein
       Kaffee trinken, keine Pizza essen oder sich allgemein mal etwas gönnen“,
       schildert die ausgebildete Pflegekraft.
       
       Doch die Verbreitung für den Tauschhandel gestaltet sich aufgrund der
       vielen verschiedenen gesprochenen Sprachen und der allgemeinen
       Unübersichtlichkeit im Ankerzentrum als schwierig, meint Siwar A., der sich
       ebenfalls in der Initiative engagiert. Er ist vor fünf Monaten aus Syrien
       geflohen und versucht seitdem, sich so schnell wie möglich zu integrieren.
       Dabei fühlt er sich von der Politik alleingelassen: „Die Gesetze ändern
       sich ständig und man muss immer Angst haben, dass ein Verbrechen geschieht,
       das uns alle wieder bestraft.“ Auf „Freund statt fremd e. V.“ ist er durch
       Zufall gestoßen: „Es gibt Sprachkurse in Bamberg, aber die muss man selbst
       suchen. Im Ankerzentrum wird einem so etwas nicht gesagt“, berichtet Siwar.
       Vereinzelte ehrenamtliche Organisationen böten zwar Kurse an, die
       Kapazitäten seien aber begrenzt und man müsse Glück haben, einen Platz zu
       bekommen.
       
       ## Zusammengepfercht allein gelassen
       
       Alternativ bietet „Freund statt fremd e. V.“ mehrmals die Woche für drei
       Stunden ein Sprachcafé in der Innenstadt an. Hier können Geflüchtete
       einfach vorbeikommen und mit Freiwilligen Deutsch sprechen. Die Frustration
       über die fehlenden Integrationsmöglichkeiten offenbart sich bei den
       Betroffenen auch dort als stetiger Begleiter: „Ich dachte, wenn ich
       wirklich zeige, wie sehr ich mich integrieren und arbeiten möchte, dann
       wird das geschätzt und ich kann arbeiten gehen“, schildert eine der
       Geflüchteten. Nun sei man zwar in Deutschland angekommen, aber völlig
       isoliert und man erfahre nichts über seine neue Heimat. „Man muss ganz viel
       wollen, um sich zu integrieren, die Hürden sind hoch. Denn wenn man sich
       von der Stimmung in der überfüllten Unterkunft oder der früheren Heimat
       anstecken lässt, sieht man nichts von Deutschland, dann bleibt man zu Hause
       und sieht nur das Ankerzentrum.“
       
       Noch verspricht Deutschland Geflüchteten Schutz und Perspektiven, doch
       diese sehen seit nunmehr fast zehn Jahren wenig vielversprechend aus.
       Während in der politischen Debatte momentan nahezu ausschließlich über
       Abschiebungen gestritten wird, verharren Geflüchtete weiterhin in
       überfüllten Unterkünften ohne einen Zugang zu Sprachkursen oder dem
       Arbeitsmarkt – und damit ohne echte Perspektive. Gleichzeitig wächst das
       Misstrauen in der Gesellschaft in der Migrationsfrage – befeuert durch eine
       Politik, die durch ein ewiges Hin und Her die Unsicherheit eher verwaltet
       als löst. Integration beginnt bei den Behörden und sollte eigentlich eine
       gesamtgesellschaftliche Aufgabe sein. Doch diese hat nach einem prominenten
       „Wir schaffen das“ noch nicht einmal ihren Anfang gefunden. Die Entwicklung
       wirft die Frage auf: Will Deutschland überhaupt, dass sich Geflüchtete hier
       sicher fühlen?
       
       22 Feb 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Merz-will-Straftaetern-Pass-entziehen/!6058544
   DIR [2] /Scholz-und-Merz-im-Kanzlerduell/!6068134
   DIR [3] https://freundstattfremd.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Fabian Englmann
       
       ## TAGS
       
   DIR Junge Menschen zur Bundestagswahl
   DIR taz Panter Stiftung
   DIR Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)
   DIR Migration
   DIR Geflüchtete
   DIR Geflüchtete
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Schwerpunkt Flucht
   DIR taz Panter Stiftung
   DIR Junge Menschen zur Bundestagswahl
   DIR taz Panter Stiftung
   DIR Junge Menschen zur Bundestagswahl
   DIR Podcast „Mauerecho“
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Probleme mit Geflüchteten-Card: Lübeck und Flensburg wollen keine Bezahlkarte
       
       Kommunen verzichten auf Schikane: Während Schleswig-Holstein an Bezahlkarte
       für Geflüchtete festhält, winken Städte wegen diverser Probleme ab.
       
   DIR Geflüchtet aus der Ukraine: Ohne Sicherheit
       
       Drittstaatsangehörige kämpfen in Deutschland um Bleiberecht, Job und
       Perspektive. Unterstützer*innen kritisieren die unterschiedliche
       Behandlung von Geflüchteten.
       
   DIR Bearbeitung von Asylanträgen: Asylverfahren dauern so lange wie seit 2017 nicht mehr
       
       Eigentlich wollen die Länder die Asylverfahren beschleunigen. Doch neue
       Zahlen zeigen, dass die Dauer eher steigt und im Schnitt bei neun Monaten
       liegt.
       
   DIR Migration und Flucht – nicht das Gleiche: Die Lösung, nicht das Problem
       
       Im Wahlkampf geht es ständig um Abschiebungen und Einreisestopps. Es wird
       übersehen, wie sehr wir Zuwanderung brauchen. Und Migration ist nicht nur
       Flucht.
       
   DIR Gesundheitskollektive über Versorgung: „Die sozialen Faktoren von Gesundheit sind entscheidend“
       
       Zwei Kollektive aus Berlin und München wollen das Gesundheitssystem ändern.
       Ärztin Kirsten Schubert hat Erfahrung, Sami M. und Katia S. fangen erst an.
       
   DIR Die Qual der Wahl: Nach der Ampel rechts?
       
       Beim Thema Migration rücken die Parteien immer weiter nach rechts. Da fällt
       die Wahl immer schwerer.
       
   DIR Unterwegs mit einer Sozialarbeiterin: Zwischen Idealismus und Realität
       
       Überlastung und Kürzungen belasten den sozialen Bereich. Auch die junge
       Sozialarbeiterin Noelle Nachlik aus Münster hat damit zu kämpfen.
       
   DIR Juckt Gen–Z die Einheit noch?: „Es ist extrem wichtig, dass auch junge Leute darüber reden“
       
       35 Jahre nach dem Mauerfall ist die deutsche Teilung für viele junge
       Menschen noch immer ein relevantes Thema. Warum beschäftigt uns so sehr
       weiterhin?