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       # taz.de -- UN-Berichterstatterin Francesca Albanese: Vortrag an der Freien Universität Berlin abgesagt
       
       > Die UN-Sonderberichterstatterin sollte an der FU Berlin sprechen. Dann
       > mischte sich Berlins Bürgermeister ein. Es ist die zweite Uni, die
       > absagt.
       
   IMG Bild: Die UN-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese
       
       Berlin taz | Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) sprach von
       einer „Schande“. Ron Prosor, der israelische Botschafter in Deutschland,
       fragte, ob die Freie Universität in Berlin ein „Trainingscamp für
       Hamas-Anhänger“ sei. Auch Volker Beck, Präsident der deutsch-israelischen
       Gesellschaft (DIG), und die konservative jüdische „Werte-Initiative“ um den
       Zahnarzt Elio Adler protestierten. Sie alle sprachen sich letztlich mit
       Erfolg aus gegen einen an der Freien Universität geplanten Vortrag von
       Francesca Albanese, der UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten
       Gebiete Palästinas.
       
       Albanese sei „in der Vergangenheit durch Israel-Hass und Verharmlosung der
       Hamas-Terrororganisation aufgefallen“, erklärte Wegner. Berlins
       Wissenschaftsenatorin [1][Ina Czyborra sekundierte], aus ihrer Sicht
       erfüllten Albaneses Äußerungen „alle Kriterien des Antisemitismus“. Welche
       Kriterien zum Beleg gewählt wurden, beantwortete sie auf Anfrage der taz
       bis Redaktionsschluss nicht.
       
       Wegner forderte, dass die Universität die Veranstaltung unter dem Titel
       „Bedingungen eines Lebens, das zerstört werden soll. Rechtliche und
       forensische Perspektiven auf den laufenden Gaza-Genozid“ absagt.
       
       Am Mittwochnachmittag knickte FU-Präsident Günter M. Ziegler ein und
       cancelte die Veranstaltung aus „Sicherheitsgründen“: „Angesichts der
       aktuellen Polarisierung und der nicht kalkulierbaren Sicherheitslage“ habe
       das Präsidium der Freien Universität Berlin entschieden, dass die für den
       19. Februar 2025 geplante wissenschaftliche Veranstaltung „nicht als
       öffentliche Präsenzveranstaltung“ stattfinden könne, erklärte Ziegler am
       Mittwochnachmittag. Albanese und den Veranstaltern bot er an, die
       Veranstaltung ersatzweise online durchzuführen. Die Eingeladenen lehnten
       das ab.
       
       ## Angriff auf die Autonomie der Hochschulen
       
       An der Veranstaltung mit Albanese sollte auch Eyal Weizman teilnehmen, der
       Gründer der Rechercheagentur Forensic Architecture, der am Goldsmith
       College der Universität London lehrt. Auch er ist von der Absage betroffen.
       „Die Universität mag unsere Veranstaltung abgesagt haben. Aber wir fühlen
       uns verpflichtet, vor der Fakultät mit den Studenten und den Mitarbeitern
       zu sprechen, die uns eingeladen haben“, sagte Eyal Weizman der taz. Weizman
       und Albanese kündigten an, sich vor Ort mit allen, die kommen wollten,
       auseinandersetzen zu wollen.
       
       Der Philosoph und Sozialwissenschaftler Robin Celikates, der an der FU
       lehrt, gehört zu dem Professoren, die Albanese eingeladen hatten. Er sieht
       die Vorwürfe gegen Albanese in einer Reihe mit anderen Angriffen auf
       Hochschulautonomie und Wissenschaftsfreiheit sowie auf völkerrechtliche
       Prinzipien und Institutionen weltweit.
       
       Die Entscheidung der Freien Universität sei „sehr beunruhigend“ und eine
       Gefahr für die Demokratie, erklärte Celikates gegenüber der taz. Albanese
       sei eine international anerkannte Expertin für Völkerrecht und zudem
       UN-Sonderberichterstatterin, die an renommierten Universitäten von
       Princeton bis Wien regelmäßig Vorträge halte.
       
       „Wo, wenn nicht an der Universität, soll denn eine offene und kritische
       Diskussion und ein wissenschaftlicher Austausch über grundlegende Fragen
       des rechtlichen, politischen und gesellschaftlichen Umgangs mit
       kriegerischer Gewalt möglich sein?“, fragt Celikates. Dass sich manche
       Leute nicht über die beinahe komplette Zerstörung Gazas, sondern über jene,
       die darauf hinweisen, empörten, sage „viel über das Moral- und
       Rechtsverständnis derjenigen, die solche Diskussionen unterbinden wollen“.
       
       ## Nicht die erste deutsche Uni
       
       Die FU Berlin ist nicht die erste deutsche Uni, die einen Vortrag von
       Albanese absagt. Die Ludwig-Maximilians-Universität hatte für einen am 16.
       Februar geplanten Vortrag eine Raumzusage storniert und ihre Entscheidung
       ebenfalls mit Sicherheitsbedenken gerechtfertigt. Das hatte unter
       Akademikern und Studierenden für Unmut gesorgt.
       
       Drei Professoren – der Musiker Michael Barenboim, die
       Wirtschaftswissenschaftlerin Christine Binzel und die Gesundheitsexpertin
       Hanna Kienzler – hatten das Vorgehen der LMU in einem offenen Brief als
       „zutiefst beunruhigend“ bezeichnet: Die Universität schaffe einen
       „gefährlichen Präzedenzfall“, um akademische Freiheiten einzuschränken,
       kritisierten sie.
       
       ## Wer ist Francesca Albanese?
       
       Francesca Albanese ist eine scharfe Kritikerin Israels. Die 48-jährige ist
       in Kampanien geboren, im Südwesten Italiens, im Mezzogiorno. Sie hat in
       Pisa und London Jura studiert und in Amsterdam promoviert. Seit vielen
       Jahren lehrt sie an Universitäten weltweit und referiert bei Kongressen
       über internationales Recht und Vertreibung, insbesondere im Nahen Osten:
       ein Thema, das durch [2][Trumps Vertreibungspläne für Gaza] neue Brisanz
       erhalten hat.
       
       Albanese arbeitet bereits seit über einem Jahrzehnt für die Vereinten
       Nationen, sie hat unter anderem für den Hohen Kommissar für Menschenrechte
       und das Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge (UNWRA) gewirkt. 2022 wurde sie
       zur UN-Sonderberichterstatterin ernannt, ihre dreijährige Amtszeit endet im
       Mai. Der UN-Menschenrechtsrat ernennt unabhängige Experten für dieses
       Ehrenamt, damit sie Berichte zu bestimmten Themen oder Ländern vorlegen.
       
       ## Harte Vorwürfe gegen Israel
       
       Bereits im März 2024 legte Albanese dem UN-Menschenrechtsrat einen Bericht
       vor, in dem sie Israel vorwarf, in Gaza einen Völkermord zu verüben. Israel
       wolle dort nicht nur die Hamas besiegen, sondern die Lebensgrundlagen der
       Menschen zerstören – eine Einschätzung, die von vielen
       Menschenrechtsorganisationen geteilt wird.
       
       Albanese spricht außerdem von „Apartheid“ und einem „kolonialem
       Siedlerprojekt“ und fordert ein Waffenembargo sowie weitere Sanktionen
       gegen Israel. Auch stellte sie das Massaker vom 7. Oktober in direkten
       Zusammenhang mit der „israelischen Unterdrückung“. Seit Februar 2024 darf
       sie deshalb nicht mehr nach Israel einreisen.
       
       ## Münchner Friedenskonferenz
       
       Am Samstag, den 15. Februar wird Albanese in München bei der „Münchner
       Friedenskonferenz“ auftreten, der erklärten Gegenveranstaltung zur
       Sicherheitskonferenz. Die „Friedenskonferenz“ musste sich deswegen
       kurzfristig neue Räume suchen: die Katholische Akademie in Bayern hatte im
       Dezember kurzfristig den Mietvertrag gekündigt, nachdem sie das Programm
       der Konferenz gesehen hatte.
       
       In Berlin wird sie am kommenden Dienstag bei einer [3][Konferenz der Partei
       DiEM] von Yanis Varoufakis und der „Jüdischen Stimme für einen gerechten
       Frieden“ sprechen. Diese beiden nichtuniversitären Termine stehen bisher
       nicht infrage.
       
       Update am 13.2., 9.30 Uhr: In einer ursprünglichen Version stand, Albanese
       und die Veranstalter hätten es abgelehnt, die Veranstaltung ins Netz zu
       verlegen. Es waren Albanese und Weizman, die das abgelehnt haben. Wir haben
       das korrigiert.
       
       12 Feb 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.berlin.de/sen/wgp/presse/2025/pressemitteilung.1530648.php
   DIR [2] /Trumps-Plaene-fuer-Gaza/!6067670
   DIR [3] https://i.diem25.org/zh/events/16867-reclaiming-the-discourse-palestine-justice-and-the-power-of-truth
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Bax
       
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