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       # taz.de -- Bürgerschaftswahl in Hamburg: Bloß kein Schulkampf im Hamburger Wahlkampf
       
       > Eltern fordern, dass schwächere Schüler nicht mehr von Gymnasien
       > „abgeschult“ werden. Die Grünen sehen das auch so, die SPD setzt auf
       > Campusschulen.
       
   IMG Bild: Im Hamburger Wahlkampf nur unter ferner liefen: Bildungspolitische Themen
       
       Hamburg taz | Bildung? Kommt im Hamburg-Wahlkampf nur am Rande vor. Das
       könnte am nun seit 15 Jahren währenden „Schulfrieden“ liegen. Der erlegt es
       den Parteien auf, sich große bildungspolitische Debatten zu verkneifen, um
       die in früheren Jahren in Hamburg so üblichen wie heftigen Schulkämpfe
       nicht wieder aufflammen zu lassen.
       
       Das erklärt, wieso sich die Grünen ihre einstige Forderung von der „Schule
       für alle“ abgeschminkt haben. Man stehe dazu, die Struktur wie im
       Schulfrieden vereinbart fortzuführen, „einschließlich der Stadtteilschulen
       und Gymnasien“, heißt es in ihrem Wahlprogramm. Nur Linke und Volt-Partei
       fordern noch die „Schule für alle“.
       
       Ob der Schulfrieden, der zuletzt 2019 verlängert wurde und in diesem Jahr
       ausläuft, fortgesetzt wird, ist derzeit nicht klar. Die Grünen wollen das,
       die SPD hat sich noch nicht positioniert. Einige schulpolitische Akteure
       hielten kürzlich extra einen „Schulfriedensgipfel“ ab und fordern, dass ein
       künftiger Schulfrieden „weniger restriktiv“ sein solle, sagte
       [1][Stadtteilschul-Elternvertreter Torsten Schütt im taz-Interview].
       Elternverbände wollen zum Beispiel, dass Hamburgs Gymnasien damit aufhören,
       Jahr für Jahr rund 800 Schüler nach der sechsten Klasse abzuschulen, also
       vom Gymnasium auf die Stadtteilschule zu schicken. Diese Praxis sei mit
       Druck und Leid für die Kinder verknüpft.
       
       Die Grünen trauen sich bildungspolitisch im Wahlkampf immerhin ein bisschen
       was. „Ich bin überzeugt, Entwicklung passiert in Wellen, insbesondere
       Kinder entwickeln sich nicht im Gleichschritt“, erklärt die
       Landesvorsitzende Maryam Blumenthal, selbst Lehrerin und Mutter von drei
       Schulkindern. Deshalb sollten Schulen mehr Raum für individuelle
       Entwicklung einräumen, zum Beispiel, indem Klassenarbeiten zu
       unterschiedlichen Zeitpunkten ermöglicht werden.
       
       Blumenthal spricht vom „Lernen im eigenen Takt“. Es sei nicht
       ausschlaggebend, zu welchem Zeitpunkt eine Kompetenz erreicht wird,
       sondern, ob dies überhaupt geschieht. „Es sollte kein zwangsweises
       Abschulen gegen den Willen der Familie vom Gymnasium geben“, sagt
       Blumenthal. Im Wahlprogramm findet sich allerdings nichts zum Thema
       „Abschulen“, beim Koalitionspartner SPD auch nicht.
       
       Die Sozialdemokraten haben andere Ideen. Sie wollen die Gymnasialempfehlung
       nach Klasse 4 abschaffen und durch eine allgemeinere
       „Schullaufbahnempfehlung“ ersetzen.
       
       Außerdem setzt die SPD auf den Ausbau der Campus-Schulen. Das sind Schulen,
       wo Stadtteilschule, hier ist das Abitur nach neun Jahren erreichbar (G9),
       und ein verkürztes achtjähriges Gymnasium (G8) unter einem Dach sind. In
       Klasse 5 und 6 lernen alle gemeinsam. Ab Klasse 7 getrennt, wobei in der
       Oberstufe die Schüler der Klasse 10 des Gymnasialzweigs und Klasse 11 des
       Stadtteilschulzweigs wieder gemeinsam lernen.
       
       „Das Abschulen in dieser Schulform kommt so gut wie nicht vor“, sagt Dora
       Heyenn, die Vorsitzende der Hamburger Arbeitsgemeinschaft für Bildung (AfB)
       der SPD. Und wenn doch, müsste ein Schüler nicht gleich die Schule
       wechseln, sondern nur die Klasse.
       
       Zurzeit sind acht der 60 Stadtteilschulen Campus-Schulen. Meist sind es neu
       gegründete Schulen. Heyenn sagt, dass sich auch bestehende Schulen dafür
       eignen. An 17 Standorten existierten je ein Gymnasium und eine
       Stadtteilschule „heute schon Tür an Tür“. Im SPD-Wahlprogramm heißt es:
       „Speziell die Entwicklung der Campus-Stadtteilschulen sehen wir positiv.
       Schulen, die sich zu einer Campus-Stadtteilschule entwickeln wollen, werden
       wir deshalb bei diesem Prozess unterstützen“.
       
       ## Führen-Können als Lernziel für Gymnasiasten
       
       Eine kritische Anmerkung zur Campus-Schule findet sich in einem Papier der
       Vereinigung der Leitungen Hamburger Gymnasien und Studienseminare (VLHGS),
       das den Titel [2][„Das Hamburger Gymnasium der Zukunft]“ trägt und
       seinerseits auch Irritationen auslöst. Nicht überraschend heißt es zum
       Thema Inklusion, diese wäre an Gymnasien selbstverständlich „bei
       zielgleichem Lernen“.
       
       Dem verkürzten Abitur (G8) messen die Rektoren einen „spezifischen Wert“
       bei. Und „Leistungs- und Anstrengungsbereitschaft“ wären für alle
       Schulbeteiligen „ein hohes Gut“. Obendrein werden, so heißt es, die Schüler
       am achtjährigen Gymnasium „bei der Entwicklung eines Selbstkonzepts
       unterstützt, dass 'Leadership’ in unserer Gesellschaft ermöglicht“.
       Übersetzt heißt das: „Führung“. Sie entwickelten Fähigkeiten, sich selbst
       und andere zu inspirieren und Verantwortung zu übernehmen.
       
       Man könnte dies arrogant nennen. Dazu befragt, sagt der VLHGS-Vorsitzende
       Christian Gefert: „Wir haben lange um die Formulierung gerungen. Wir finden
       es wichtig, zur Verantwortungsbereitschaft zu erziehen.“ Der Begriff
       „Leadership“ entstammt der Soziologie. Die Kritik an der Verwendung
       verstehe er nicht. „Zur Verantwortungsbereitschaft kann die Stadtteilschule
       genauso erziehen“, sagt Gefert.
       
       ## Streit um Inklusions-Begriff
       
       Bei der Campus-Schule stelle sich für ihn die Frage, wie der Übergang der
       Schüler in die 7. Klasse des Gymnasiums gelingen könne, wenn sie in Klasse
       5 und 6 nach Bildungsplan der Stadtteilschule lernen.
       
       Dora Heyenn, die für den Einzug in die Bürgerschaft kandidiert, verweist
       auf die Praxis der beiden ältesten Campus-Schulen Heinrich-Hertz und Gyula
       Trebitsch, die seit Jahren zu den beliebtesten Schulen gehören. Sie lese
       aus dem Papier der Gymnasialschulleitungen schon eine Abgrenzung zur
       Stadtteilschule heraus. „Warum in diesem Zusammenhang Anglizismen wie
       'Leadership’ verwendet werden, ist merkwürdig“, so Heyenn. Der Fokus auf
       Anstrengung und Leistungsdifferenzierung in der Beobachtungsstufe sowie das
       starre Festhalten am achtstufigen Bildungsweg verursachten zudem „bei
       Jugendlichen enormen Druck“.
       
       Die Linke-Schulpolitikerin Sabine Boeddinghaus irritiert die Formulierung
       der „inklusiven Bildung bei zielgleichem Lernen“. „Mehr Missverständnis
       über das, was Auftrag von Inklusion ist, geht nach meinem Verständnis
       nicht“, sagt sie. Und gute Führungskräfte, da sei sie sicher, werden
       Schüler, wenn sie über soziale Kompetenzen und Erfahrungen von Vielfalt
       verfügten, „also auf einer inklusiven Schule sozialisiert wurden“.
       
       Einig sind sich SPD und Grüne, die wohl nach der Wahl weiter regieren
       werden, darin, per Modellversuch die „flexible Oberstufe“ zu probieren. Die
       erlaubt es Schülern, das Abitur schneller oder langsamer abzulegen, eine
       Reaktion auf die Kritik am Turbo-Abitur nach acht Jahren.
       
       Klar ist: Die Hamburger Bildungsbehörde liegt seit 2011 fest in SPD-Hand.
       Gefragt, ob die Grünen sich vorstellen können, sie zu übernehmen, sagt
       Blumenthal: „Natürlich können wir uns vorstellen, Verantwortung für jede
       Behörde zu übernehmen. Auch die Bildungsbehörde.“ Aber, so heißt es aus der
       SPD, man gebe sie ungern her.
       
       18 Feb 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Rat-ueber-Schulpolitik-in-Hamburg/!6058882
   DIR [2] https://vlhgs.de/wp-content/uploads/2022/11/2022_11_7_Informatik.pdf
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kaija Kutter
       
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       ist.