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       # taz.de -- Kolumne Latin Affairs: In Mexiko ein großer Flop
       
       > Karla Sofía Gascón, Hauptdarstellerin aus „Emilia Pérez“, äußert sich
       > rassistisch. Auch der Vorwurf, Gewalt zu banalisieren, schadet dem Film.
       
   IMG Bild: Macht sich maximal unbeliebt: Karla Sofía Gascón bei der Verleihung der 82. Golden Globes im Beverly Hilton am 6. Februar
       
       Es sei ein Desaster, meinte die Netflix-Content-Chefin Bela Bajaria jetzt
       zu den Folgen des rassistischen Tweets von Karla Sofía Gascón, der
       Hauptdarstellerin [1][des Musicals „Emilia Pérez“.] Und Regisseur Jacques
       Audiard will schon gar nicht mehr mit seiner Protagonistin sprechen. In der
       Tat gibt es keinen Grund, mit einer Schauspielerin nachsichtig zu sein, die
       den von Polizisten getöteten Schwarzen George Floyd einen „drogenabhängigen
       Betrüger“ nennt. Trotzdem lässt sich daraus natürlich kein Urteil über den
       Film ableiten, in dem die trans Person Gascón die Hauptrolle spielt.
       
       Anders sieht es mit Audiards Behauptung aus, Spanisch sei „die Sprache
       bescheidener Länder, der Entwicklungsländer, der Armen und Migranten“. Der
       Regisseur entschuldigte sich und bezeichnete den Satz – mittelmäßig
       überzeugend – als Missverständnis. Bei vielen Mexikaner*innen stieß
       die Aussage dennoch auf erheblichen Unmut. So wie vieles in dem weltweit
       gefeierten und prämierten Musical.
       
       Die Frage, wie es in Mexiko wahrgenommen wird, spielt jedoch in den
       Feuilletons keine Rolle. Das ist bemerkenswert, schließlich liefern die
       dortigen gewalttätigen Verhältnisse den Stoff: Ein Mafiachef lässt sich
       operieren, um als Frau unerkannt aus dem Kartell aussteigen zu können, und
       wird dann zur Helferin der Opfer.
       
       ## Kinos in Mexiko sind leer
       
       In Mexiko fällt es schwer, Kommentare zu finden, die den Film positiv
       bewerten. Und während das Spektakel weltweit Kinos füllt, bleiben die Säle
       dort recht leer. In der ersten Woche kam er nur auf Platz acht der
       bestbesuchten Filme, von einem finanziellen Flop ist die Rede. Das dürfte
       auch mit dem geringschätzigen Umgang mit dem Land zu tun haben: „Emilia
       Pérez“ ist in Mexiko erst seit drei Wochen auf der Leinwand zu sehen, zwei
       Monate nach der Deutschland-Premiere. Auf Netflix lief er erst Ende Januar
       an, während er in den USA dort seit November zu sehen ist.
       
       Auch andere Vorzeichen sorgten in Mexiko nicht für Sympathien: Drei von
       vier Protagonist*innen stammen nicht aus dem Land, und Audiard wollte
       nicht dort drehen, weil, wie er der taz sagte, „die konkrete Wirklichkeit
       nicht zu dem passte, was ich wollte“. Auch die Sprache passte ihm wohl
       nicht in den Kram.
       
       Die Schauspieler*innen scheitern daran, typische Dialekte zu kopieren
       und wurden für mexikanische Ohren zum Gespött. So meinte der Kommentator
       Antonio Ortuño in der mexikanischen Ausgabe der Zeitung El País, die
       US-Schauspielerin Selena Gomez müsse wegen ihres peinlichen Akzents für
       das beste Meme nominiert werden.
       
       ## Schon Luis Buñuel machte sich unbeliebt
       
       Die Kritik ist natürlich auch den nationalistischen Ressentiments vieler
       Mexikaner*innen geschuldet, die es gar nicht mögen, wenn „Fremde“ die
       Verhältnisse in ihrem Land kritisieren. Schon nachdem der gebürtige Spanier
       Luis Buñuel 1950 den Film „Los olvidados“ über das Elend in einem
       mexikanischen Armutsviertel veröffentlichte, wurden Forderungen laut, er
       solle das Land verlassen.
       
       Doch die Vorwürfe gegen Audiard gehen weiter. Er zeichne ein stereotypes
       Bild und inszeniere Glamour auf dem Rücken der Verschwundenen, so die
       Kritik. Von „kulturellem Extraktivismus“ und der Banalisierung der Gewalt
       ist die Rede.
       
       Die mexikanische Transaktivistin und Publizistin Camila Aurora hat „Emilia
       Pérez“ sogar eine viel beachtete Video-Parodie gewidmet: „Johanne
       Sacreblu“. Dort lässt sie ihre Schauspieler*innen in schlechtem
       Französisch französische Klischees reproduzieren. Und der Kommentator
       Aurélien Guilabert fragt den Regisseur in der Zeitung El Sol de México:
       „Warum drehen sie nicht als Nächstes ein Musical über die terroristischen
       Attacken auf Bataclan oder Charlie Hebdo?“
       
       ## Erfolg durch die Inszenierung des Elends
       
       Warum nicht? Audiard wollte keinen Dokumentarfilm drehen und hat alle
       Freiheit, sein Werk zu gestalten, wie er will. Klischees produziert auch
       etwa der Zeichentrickfilm „Coco“. Und dem Vorwurf, Erfolg durch die
       Inszenierung des Elends anderer erheischen zu wollen, müssen sich alle
       stellen, die publizistisch zu diesen Themen arbeiten. Dennoch hätte der
       Regisseur viel dafür tun können, um zu verhindern, dass sein Film in einer
       von Gewalt traumatisierten Gesellschaft so verletzend wirkt.
       
       19 Feb 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Wolf-Dieter Vogel
       
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