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       # taz.de -- Die Union nach der Bundestagswahl: Kann Merz mehr als Linken-Bashing?
       
       > Die Strategie der Union, der AfD Stimmen abzujagen, ist gescheitert.
       > Trotzdem dominieren bei ihr die Verfechter eines harten Migrationskurses.
       
   IMG Bild: Drischt verbal gerne auf Linke ein: Friedrich Merz (CDU)
       
       Kaum ein Tag vergeht, an dem Friedrich Merz, CDU-Vorsitzender und Kanzler
       in spe, nicht sagt, dies sei die letzte Chance für die demokratische Mitte,
       das Ruder herumzureißen. CSU-Chef Markus Söder spricht gar [1][von der
       „letzten Patrone“]. Soll wohl heißen: Wenn die Union jetzt nicht
       durchgreifen kann und der künftige Koalitionspartner, also die SPD, das
       mitmacht, droht bei der nächsten Bundestagswahl die Machtübernahme der AfD.
       
       Das ist gefährlicher Unfug. Fast 80 Prozent der Wähler*innen haben die
       AfD nicht gewählt. Eine absolute Mehrheit ist auch in den ostdeutschen
       Ländern bei Weitem nicht in Sicht. Merz’ und Söders Alarmismus ist
       gefährlich, weil er die AfD größer macht, als sie ist. Er lähmt zudem den
       Rest der Gesellschaft. Und geht damit der Strategie der Rechtsextremen auf
       den Leim.
       
       Entscheidend wird sein, dass die CDU stabil demokratisch bleibt. Und dazu
       wäre, auch mit Blick auf die Ergebnisse der Bundestagswahl, eine
       selbstkritische Überprüfung der eigenen Strategie durchaus hilfreich.
       Angesichts des desolaten Zustands der drei Ampelparteien ist das
       Wahlergebnis der Union schlecht. Der Plan der Union, mit möglichst
       hartem rechten Kurs und populistischer Rhetorik rechts der Mitte die
       Wahlen zu gewinnen und die AfD zu schwächen, ist nicht aufgegangen.
       
       Die Anzahl der Wähler*innen, die die Union von der AfD zurückgewonnen hat,
       ist so klein, dass sie zu den Wählerwanderungen bei den Meinungsforschern
       von infratest dimap gar nicht erst aufgeführt wird. Verloren aber hat die
       Union an die extrem rechte Partei über eine Million Wähler*innen.
       
       Das bestätigt erneut, was man seit Langem aus Erfahrungen im In- und
       Ausland und zahlreichen sozialwissenschaftlichen Studien weiß: Es zahlt
       sich für konservative und Mitte-rechts-Parteien nicht aus, sich Parteien
       wie der AfD anzugleichen. Es stärkt diese vielmehr. Die Union aber hat sich
       ausgerechnet in der Migrationspolitik, dem Kernthema der AfD, dieser
       angenähert. Und der Tabubruch, gemeinsam mit der AfD im Bundestag
       abzustimmen, hat den Rechtsextremen genützt, nicht der Union. Merz hat die
       AfD damit, allen Bekundungen zum Trotz, weiter normalisiert und zum
       politischen Mitspieler geadelt.
       
       In der CDU tobt hinter den Kulissen ein Deutungskampf: Die eher Liberalen
       sind der Ansicht, dass der harte Migrationskurs und die Abstimmung mit der
       AfD im Bundestag Fehler waren. Die Gegenseite glaubt, dass man all das
       früher und noch konsequenter hätte betreiben müssen. Denn die
       Wähler*innen würden der CDU nach den Merkel-Jahren den harten
       Migrationskurs noch nicht abnehmen.
       
       Wo geht es lang? Merz und sein Generalsekretär, so ist zu befürchten,
       tendieren zur zweiten Position. Seit Merz’ Durchmarsch in der Partei ist
       der liberale Flügel geschwächt. Wichtige Personen sind mit der Wahl aus der
       Bundespolitik ausgeschieden, andere sind eingeschüchtert – oder wollen
       unter Merz noch etwas werden. Sie verhalten sich still. Die Scharfmacher
       haben weiterhin Oberwasser.
       
       ## Kompromissfähigkeit gefragt
       
       Erschreckend auch, dass große Teile der Union nicht verstehen wollen, dass
       sie zur Bekämpfung der AfD die Zivilgesellschaft als Partner brauchen, auch
       wenn diese vor der CDU-Parteizentrale protestiert. Die
       Demonstrant*innen aber, die aus Sorge um die Demokratie auf die Straße
       gehen, verunglimpfte Merz als „Spinner“, die nicht „alle Tassen im Schrank“
       hätten.
       
       Merz’ Frage, wo die Demonstrant*innen beim Tod Walter Lübckes gewesen
       wären, war Demagogie, schlicht unverschämt. Peinlich für Merz, [2][dass ihm
       Irmgard Braun-Lübcke, Witwe des ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten,
       öffentlich widersprach]. Auch die [3][Kleine Anfrage mit ihren 551 Fragen,
       die Organisationen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren], wohl
       einschüchtern soll und an Methoden der AfD und anderer autoritärer Parteien
       erinnert, lässt nicht Gutes erwarten.
       
       Sie hat auch die Skepsis, die in der SPD gegen Merz ohnehin herrscht, noch
       einmal verschärft. Zum Regieren aber braucht Merz die Sozialdemokrat*innen.
       Er muss jetzt zeigen, dass er mehr kann, als Linke zu verunglimpfen und
       politische Absichtserklärungen von sich zu geben. Er muss die SPD ins Boot
       holen, die CSU bei der Stange halten und seine mitunter haltlosen
       Wahlversprechen so umstricken, dass sie in einer schwarz-roten Regierung
       realitätstauglich sind. Er muss zeigen, dass er kompromissfähig ist.
       
       Ob Merz das kann? Besser wäre es. Vergeigt er es, ist die Republik noch
       nicht an dem Abgrund, den er selbst gern heraufbeschwört. Aber einen
       weiteren Schritt in diese Richtung wäre sie schon.
       
       28 Feb 2025
       
       ## LINKS
       
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