URI: 
       # taz.de -- Trumps neue Weltordnung: All hands on deck!
       
       > Eine neue Oligarchie teilt die Welt unter sich auf und bedroht die
       > Demokratie, während Deutschland über Migration diskutiert. Zeit für eine
       > Neuordnung der Prioritäten.
       
   IMG Bild: Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist
       
       Das Beste am Wahlergebnis vom vergangenen Wochenende ist wohl, dass die
       Bildung einer neuen, handlungsfähigen Regierung flott gehen kann. Aber auch
       flott gehen muss, weil Europa jetzt vor der großen Herausforderung steht,
       sich in kürzester Zeit von den USA unabhängig zu machen. Ansonsten werden
       der Kontinent und seine Staaten ihre außenpolitische Souveränität einbüßen
       und sich den Absichten des Triumvirats Trump, Putin, Xi fügen müssen.
       
       Einen guten Monat nach der offiziellen Amtseinführung von Donald Trump muss
       man feststellen, dass man es beim Handeln seiner Regierung gar nicht mehr
       mit dem zu tun hat, was man seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs als
       Politik verstanden hat. Denn unabhängig davon, welchem Gesellschaftsmodell
       und welcher Form von Staatlichkeit die internationalen Akteure sich
       verpflichtet fühlten, konnte man doch weitgehend davon ausgehen, dass
       Aushandlungen, Abkommen und Verträge die Basis für außenpolitisches Handeln
       waren.
       
       Dagegen steht jetzt die postpolitische Formulierung von [1][Ansprüchen, die
       aus einer Position der Machtüberlegenheit an andere gestellt werden]. Das
       ist neu, weil hier die hergebrachten Kategorien von politischer
       Freundschaft oder Gegnerschaft überhaupt nicht mehr greifen. Was zählt,
       sind Macht und Opportunität.
       
       ## It's the money, stupid!
       
       Der scheidende US-Präsident Joe Biden [2][warnte das Land vor seinen
       Nachfolgern]: Die Macht läge nun in den Händen „einiger weniger
       ultrareicher“ Leute, dieser Tage wandelten sich die USA in eine
       „Oligarchie“, eine „echte Gefahr für die Vereinigten Staaten.“
       
       It’s the money, stupid! Oligarch Elon Musk allein überwies bekanntlich rund
       250 Millionen Dollar für Trumps Wahlkampf. Für die Feierlichkeiten zur
       Amtseinführung konnte sich der designierte US-Präsident auf mehr als 170
       Millionen Dollar Spenden verlassen, die höchste Summe, die ein Komitee für
       die Amtseinführung eines US-Präsidenten je erhalten hat. Mit
       Millionenbeträgen beteiligt: Mark Zuckerberg, Jeff Bezos und Sam Altman,
       der CEO des KI-Unternehmens OpenAI.
       
       Und gleich wird gehandelt: Der Staat verzichtet auf 1,8 Billionen Dollar
       Steuern und nimmt Steuerbehörden und Finanzaufsicht an die kurze Leine. Die
       Regulierung künstlicher Intelligenz wird gleich gänzlich sein gelassen.
       Zuckerberg verzichtet fortan in den USA auf Facebook, Instagram und Threads
       auf die bisherigen Moderationsregeln – ähnlich wie schon Musk auf X. Die
       Plattformen, inzwischen eine kommunikative Infrastruktur unserer
       Demokratie, sind nun hochoffiziell rechtsfreie Räume, die Extremismus,
       Diskriminierung, Hatespeech und Fake News als unproblematisch ansehen.
       
       Elon Musk zieht als Beauftragter für Regierungseffizienz direkt ins Weiße
       Haus, lässt irgendwelche Mitarbeiter aus seinen Unternehmen im großen Stil
       Organisationen schließen und Beschäftigte entlassen. Wie man hört, soll das
       vorgeblich eingesparte Geld gleich in Form von Schecks an die
       amerikanischen Bürgerinnen und Bürger verteilt werden, sofern sie nicht
       „illegale Einwanderer“ sind. Die kategorische Unterscheidung von
       Zugehörigen und Ausgeschlossenen gehört zu den unabdingbaren
       Voraussetzungen totalitärer Herrschaft, und man kann sicher sein, dass sie
       auch hier funktioniert.
       
       Was hier vor unseren Augen geschieht, erinnert an die „Racket-Theorie“ Max
       Horkheimers aus den 1940er Jahren, nach der „die Herrschaft der Personen
       die Form des Gesetzes“ annimmt. Diese Theorie kam zu früh und wurde nicht
       weiterentwickelt, aber nun ist die postpolitische Durchsetzung von
       [3][Macht- und Wirtschaftsinteressen] durch eine Clique von Milliardären
       und zwielichtigen Gestalten aus einem Familienclan eröffnet, die in den
       Besitz der größten Volkswirtschaft der Erde gekommen sind. Und der größten
       Militärmacht der Welt. Einige von ihnen besitzen mehr Geld als
       Privatmenschen jemals zuvor, und ihnen gehören die größten Medienkonzerne
       auf dem Globus. Sie kontrollieren sensibelste Infrastruktur im Weltall und
       bestimmen sämtliche soziale Mechanismen im World Wide Web.
       
       ## Deutschland beschäftigt sich mit Spaltungsdebatten
       
       Währenddessen machen sich in den verbliebenen demokratischen Staaten
       autokratische Akteure auf, Regierungen zu stellen – in Italien, in der
       Slowakei, in Ungarn ebenso; Österreich, Frankreich, die Niederlande,
       Belgien sind weitere Kandidaten. Trumps „Bros“ machen sich an die
       Beeinflussung fremdländischer Wahlen. Großbritanniens Rechtspopulisten
       sprechen von einer Großspende in Höhe von bis zu 100 Millionen Euro. Der
       AfD-Chefin Alice Weidel spülte Musk unlängst ein Publikum von über 200.000
       Menschen im gemeinsamen verstörenden Propaganda-Livestream zu, in dem Adolf
       Hitler zum Kommunisten erklärt wurde. Zwei Wochen später ließ sich Musk
       dann beim Parteitag der AfD bejubeln.
       
       Dem deutschen Wahlvolk ist Anerkennung zu zollen, dass sich nur ein Fünftel
       von diesem ganzen Zauber hat beeindrucken lassen. Und das, obwohl die
       Machtakkumulation der Feinde der offenen Gesellschaft im Wahlkampf
       praktisch gar nicht zur Kenntnis genommen wurde. Schon der Bruch der
       Ampelkoalition in dieser Situation war eine unglaubliche Fahrlässigkeit,
       genauso wie das Hochjazzen des Migrationsthemas, eines Spaltungstopos par
       excellence.
       
       Den Parteien, nicht zuletzt aber auch den Medien, ist dringend zu raten,
       sich jetzt mal die Vernünftigkeit der Bürgerinnen und Bürger zum Vorbild zu
       nehmen und ihre vordringlichen Probleme tatsächlich mal zu adressieren –
       als da wären: ein skandalös verengter Wohnungsmarkt, Pflegenotstand und ein
       Gesundheitssystem vor dem Kollaps, eine komatöse Schlüsselindustrie, ein
       mehr als marodes Bildungssystem, kaputt gesparte Infrastrukturen, ein immer
       gefährlicher und teurer werdender Klimawandel und nicht zuletzt ein stetig
       steigender Vertrauensverlust in System, Politik und Eliten. Und eben die
       neue Großmachtkonstellation, in deren Wettbewerb seit dem 20. Januar 2025
       keine vollständige Demokratie mehr mitspielt.
       
       Sind das keine Sachverhalte, deren Lösung die demokratischen Parteien als
       ihre Aufgaben betrachten? Ist das alles im Vergleich zu den Themen
       Migration, Bürokratie und Bürgergeld wirklich unwichtiger? Warum ist die
       spektakuläre Abkehr von den Menschenrechten, von sozialer und womöglich
       ökologischer Marktwirtschaft, von der Bewahrung der Schöpfung und dem
       Streben nach Emanzipation, Gerechtigkeit und Frieden kein Phänomen, das den
       Leitmedien Titelgeschichten abringt, die sozialwissenschaftlichen
       Fakultäten an den Unis in Aufruhr versetzt und die Leute auf die Straßen
       treibt? Der Multilateralismus scheint leise gestorben. Wird die Demokratie
       ihm sang- und klanglos folgen?
       
       ## Wo sind die alle?
       
       Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch? Dieser Satz des umnachteten
       Hölderlin war schon immer Kokolores, aber nun sehen wir, staunend, seine
       Umkehrung: Im neuen Elite-Panel der FAZ, einer Umfrage unter den 500
       wichtigsten „Entscheidern“ im Land, verbinden 64 Prozent der Befragten
       „Chancen“ mit der neuen Präsidentschaft von Trump. Das ist entweder schiere
       Dummheit oder vorauseilender Opportunismus, was sich allerdings nicht
       ausschließen muss. Eine arme Demokratie, die solche „Entscheider“ hat.
       
       Je evidenter die Gefahr der Zerstörung der offenen Gesellschaft wird, desto
       weniger sichtbar wird eine entschlossene Gegenwehr, die von den
       Gewerkschaften, den Kirchen, den gemeinwohlverpflichteten Verbänden und
       Organisationen und nicht zuletzt von den Stiftungen ausgehen könnte und
       müsste. Wo sind die alle?
       
       Die Geschichte hat schon mehrere Zivilisationsbrüche gesehen, in denen
       immer dieselben Ordnungen von Freundschaft/Feindschaft,
       zugehörig/nichtzugehörig etabliert wurden, die am Ende immer zu denselben
       Ergebnissen von Krieg und Massenmord führten. Die Geschichte des 20.
       Jahrhunderts liefert doch hinreichend Blueprints für totalitäre Herrschaft;
       man kann wissen, wie das alles geschieht.
       
       Die Vorgeschichte der Machtübernahme durch den Trumpismus und die ersten
       Wochen seiner Herrschaft liefern uns wertvolle Hinweise darauf, welche
       Fehler Politik und Zivilgesellschaft nicht machen dürfen, wenn sie
       erfolgreich die freiheitliche Ordnung verteidigen wollen – etwa
       Polarisierung befördern, politische Wettbewerber als Gegner stilisieren,
       lügen, Prioritäten nach Umfragen setzen, Schwächen der anderen suchen
       anstatt eigene Stärken entwickeln etc. Man bekäme so ein Roadbook zur
       Verteidigung der Demokratie und am besten zu einem neuen Bündnis zwischen
       Politik und Zivilgesellschaft, und nichts schiene uns für den Moment
       wichtiger als das.
       
       Und noch etwas legt uns dieser Moment nahe: Alle diejenigen, die auf ganz
       unterschiedliche Art und Weise für diese Gesellschaft engagiert sind, im
       Ehrenamt, in NGOs, in der Nachbarschaftshilfe, wo auch immer, müssen jetzt
       ihr zentrales Interesse in den Mittelpunkt stellen, die Gesellschaftsform
       zu bewahren, die ihnen ihre Engagements überhaupt erst ermöglicht. Es ist
       in diesem Augenblick egal, ob man sich für Klima- oder Gender- oder
       Menschenrechtsfragen engagiert, bei Fridays for Future oder Brot für die
       Welt, bei den Pfadfindern oder den Landfrauen ist – es geht jetzt darum,
       ein machtvolles, gesamthaftes Bündnis zu schmieden, das die freiheitliche
       Demokratie verteidigt.
       
       Und was [4][den nächsten Bundeskanzler] angeht: Nachdem Friedrich Merz am
       23. Februar 2025 den schönsten Tag seines Lebens haben durfte, kann er sich
       ja jetzt vornehmen, ein großer Europäer zu werden. Mancher wächst doch mit
       seinen Aufgaben, und diese wäre eine höchst dringliche.
       
       Erich Kästner wusste, wovon er sprach, als er die Einsicht formulierte:
       „Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden
       müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der
       Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus
       dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball
       zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf.“
       
       Die unglaubliche Dynamik, mit der gerade ein ganzes Zivilisationsmodell
       umformatiert werden soll, könnte einem eine Idee davon geben, womit man es
       jetzt zu tun hat. Die Demokratie gerät dabei zusehends in Not. All hands on
       deck!
       
       1 Mar 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Rohstoffdeal-zwischen-USA-und-Ukraine/!6068649
   DIR [2] /Bidens-letzte-Rede-als-US-Praesident/!6058859
   DIR [3] /Pietaetlose-Propaganda-aus-den-USA/!6068873
   DIR [4] /Union-und-SPD-beginnen-Sondierungen/!6072868
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Harald Welzer
   DIR Diana Kinnert
       
       ## TAGS
       
   DIR Donald Trump
   DIR Schwerpunkt USA unter Trump
   DIR Europa
   DIR Oligarchen
   DIR Schwerpunkt Korruption
   DIR Friedrich Merz
   DIR Lesestück Recherche und Reportage
   DIR GNS
   DIR Gaza
   DIR Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
   DIR Schwerpunkt USA unter Trump
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Pietätlose Propaganda aus den USA: From the Riviera to the Sea
       
       Trump veröffentlicht ein KI-generiertes Video über seine Pläne für den
       Gazastreifen. Ein Fiebertraum, so bizarr wie gefährlich.
       
   DIR Rohstoffdeal zwischen USA und Ukraine: Reparationen von dem Falschen an den Falschen
       
       Das USA-Ukraine-Abkommen ist einseitig, nur die USA profitieren. Dafür ist
       kein Grund ersichtlich. Richtig wäre, wenn Russland an die Ukraine zahlte.
       
   DIR Washington Post cancelt Bezos-Karikatur: Demokratie ersäuft in Geld
       
       Die Washington Post verhindert eine Karikatur, die Jeff Bezos’ Nähe zu
       Trump kritisiert. Ein Symbol dafür, wie die USA in Richtung Oligarchie
       abdriften.