URI: 
       # taz.de -- Mangelnde Transparenz: Meine Vermieterin, die Journalistin
       
       > Ein dubioser Wohnungsunternehmer machte Geschäfte mit einer
       > „Spiegel“-Chefredakteurin. Im Magazin erschienen gefällige Artikel über
       > seine Person.
       
   IMG Bild: Die Journalistin und Vermieterin Melanie Amann zu Gast bei „Markus Lanz“, am 16. Januar 2025
       
       Berlin taz | Als Hunderttausende Ukrainer:innen vor dem russischen
       Angriffskrieg fliehen, ist die Hilfsbereitschaft in Deutschland vielerorts
       groß. Der Spiegel schreibt im März 2022 eine Reportage über „Unternehmer
       und Privatpersonen“, die Geflüchtete mit dem Nötigsten versorgen. In der
       Hauptrolle: Florian Wichelmann. Der Unternehmer brachte damals kostenlos
       Menschen in freien Wohnungen seiner Kette „Nena Apartments“ unter.
       
       „Als Familienvater finde ich die Vorstellung, von heute auf morgen mit
       Kindern auf der Flucht zu sein, einfach schlimm“, sagt er dem Spiegel. Was
       dort nicht steht: Die stellvertretende Chefredakteurin des Magazins ist
       Wichelmanns Geschäftspartnerin. Gemeinsam mit ihrer Mutter kaufte sie 2019
       eine Wohnung in Prenzlauer Berg, die Nena weit über dem damals gültigen
       Mietspiegel weitervermietete.
       
       Die Journalistin und der Unternehmer sind seit Jahrzehnten enge Freunde.
       Noch entscheidender: Das im Artikel erzeugte Bild des
       gemeinwohlorientierten Geschäftsmannes ist unvollständig und irreführend.
       Was hat Amann mit Wichelmanns Nena Hospitality GmbH zu tun? Und wie kam es
       zu der Berichterstattung im Spiegel?
       
       Zu Hochzeiten, um das Jahr 2019, vermietete Nena nach eigenen Angaben 900
       Wohnungen, 60 davon als Wohngemeinschaften. Das WG-Modell erinnert an eine
       Dreiecksbeziehung: Melanie Amann als Eigentümerin vermietet ihre Wohnung an
       die Zwischenhändlerin Nena. Nena stückelt die Wohnung in einzelne Zimmer
       auf und vermietet sie diese gegen Aufpreis weiter, vor allem an junge
       Menschen.
       
       ## Dubioses Geschäftsmodell
       
       Geschäftsführer Wichelmann schreibt der taz, die WG-Vermietung sei „ein
       gutes Angebot“ und die Preise „fair“. Doch das Amtsgericht Mitte entschied
       2022, dass die Zimmermiete in Amanns Wohnung im Prenzlauerberg deutlich
       überhöht war. Sie lag mehr als 40 Prozent über dem Mietspiegel.
       
       Dabei handelt es sich nicht um einen Einzelfall. [1][Die taz hat über
       Monate zu den Auseinandersetzungen zu den Beschwerden über um die Wohnungen
       der Nena recherchiert und allein mit dreizehn aktuellen und ehemaligen
       Mieter:innen gesprochen].
       
       Heute fokussiert sich Nena auf sogenannte „serviced apartments“, [2][also
       möblierte und moderne Kurzzeitunterkünfte für Geschäftsreisende oder
       Tourist:innen.] Die weniger profitträchtigen Altbau-WGs wäre Nena dagegen
       gerne los. Doch viele Mieter:innen – auch in Amanns Wohnung – wollen
       nicht ausziehen, haben unbefristete Verträge. So etwa der Student Marc
       Schild (Name geändert), der nicht mit seinem echten Namen im Text
       auftauchen möchte.
       
       „Ich ärgere mich darüber, dass mein Vermieter einseitig als Wohltäter
       dargestellt wird“, sagt Schild der taz. Der Eigentümerin Amann sei er nur
       einmal, bei der Wohnungsbesichtigung 2019, begegnet. Auch Wichelmann sei
       dabei gewesen und habe sich gewundert, wie ordentlich es in der Männer-WG
       sei. Amann habe erwidert, dass es beim „Florian“ früher ja auch immer total
       ordentlich gewesen sei.
       
       ## Jahrelange Freundschaft
       
       Tatsächlich fußt die Geschäftspartnerschaft auf einer jahrzehntelangen
       Bekanntschaft. Im Spiegel-Archiv findet sich ein Artikel über die deutschen
       Debattiermeisterschaften 2004, an der beide teilnahmen. Wichelmann wird
       dort als „Rampensau“ mit „völlig überdrehtem Selbstbewusstsein“
       beschrieben, Amann wird zitiert, sie sei „nie ein schüchternes Häschen“
       gewesen. Im Juni 2022, gut drei Monate nachdem der Wohltäter-Artikel im
       Spiegel erscheint, feiern Wichelmann und Amann auf der „Hauptstadtparty“
       des Magazins. Hat die Journalistin Wichelmann gute Presse im Magazin
       besorgt?
       
       Amann möchte nicht über ihre Wohnung oder den Text im Spiegel sprechen. Sie
       verweist auf die Pressestelle. Die gibt immerhin zu, dass Wichelmann durch
       den Hinweis seiner Geschäftspartnerin in den Spiegel kam. Amann habe ihn
       als „möglicherweise geeigneten Ansprechpartner“ vorgeschlagen und den
       Kontakt hergestellt. Die Berichterstattung habe Amann aber weder initiiert
       noch beeinflusst. Der Artikel sei nicht in Amanns damaligem Ressort, dem
       Hauptstadtbüro, erschienen. Allerdings waren gleich zwei der drei damaligen
       Autor:innen des Textes Praktikant:innen im Hauptstadtbüro, das Amann
       leitete.
       
       Der Spiegel betont in seiner Antwort, dass Amann mit ihrer Beziehung zu
       Wichelmann intern transparent umgegangen sei. Sollte das stimmen, bleibt
       die Frage: Kann man von Praktikant:innen erwarten, dass sie gegen einen
       Freund und Geschäftspartner der Chefin kritisch recherchieren?
       
       Sicher ist: Der Spiegel veröffentlicht keinen Transparenzhinweis über
       Amanns Beziehungen zum Protagonisten. Transparency International schreibt
       in einem Leitfaden für Journalist:innen: „Verflechtungen zwischen
       beruflichen und privat-kommerziellen Interessen werden vermieden bzw.
       deutlich und transparent öffentlich gemacht.“
       
       ## Keinerlei Transparenzhinweise
       
       Auf die Frage, warum das Magazin ausschließlich positiv über Wichelmann
       berichtet, obwohl namhafte Medien wie der WDR oder der Tagesspiegel schon
       vorher über fragwürdige Geschäfte seines Unternehmens berichteten,
       antwortet der Spiegel nicht. Die Berichterstattung erfülle alle
       presserechtlichen und medienethischen Erfordernisse.
       
       Der WDR fand 2018 Hinweise, dass Nena, damals noch unter dem Namen Orbis
       Apartments, gut 30 Wohnungen über [3][Airbnb] vermietete. Dabei versteckte
       sich das Unternehmen hinter dem Profil einer privaten Anbieterin mit dem
       Namen Marie. Der Tagesspiegel schrieb zwei Jahre später über Wucherpreise
       bei Vermietungen an ausländische Studierende. Ein indischer
       Master-Absolvent erzählte, dass er mit drei Landsleuten auf 46
       Quadratmetern lebte, das Ganze für 1400 Euro. Die Leser:innen des
       Spiegel erfahren davon nichts.
       
       Marc Schild, der Mieter in Amanns Wohnung, interessiert sich mehr für seine
       WG als für Medienethik. Seit über einem halben Jahr steht auch hier ein
       Zimmer leer. Im Juli 2024 schreibt ihm Wichelmann bei Whatsapp, dass Nena
       alle Verträge beenden wolle. Per Einschreiben wendet er sich daraufhin an
       Amann. Schild schlägt vor, einen neuen Vertrag zu schließen, ohne Nena als
       Zwischenhändlerin. Er bittet um eine kurzfristige Rückmeldung. Bis heute,
       sagt er, habe er nichts von Amann gehört.
       
       Transparenzhinweis: Der Mieter ist ein Freund des Autors. Beide haben vor
       zehn Jahren gemeinsam ein Freiwilliges Soziales Jahr in der Linksfraktion
       im Bundestag absolviert. Keiner der beiden ist in der Partei politisch
       aktiv oder Mitglied.
       
       3 Mar 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Geldverdienen-mit-der-Wohnungskrise/!6070036
   DIR [2] /Befristeter-und-moeblierter-Wohnraum/!6018646
   DIR [3] /Digitale-Plattformen-und-Gentrifizierung/!6045482
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Paul Schwenn
       
       ## TAGS
       
   DIR Mieten
   DIR Transparenz
   DIR Medienkritik
   DIR Der Spiegel
   DIR Der Spiegel
   DIR Mieten
   DIR IW
   DIR Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR „Chefredakteurin Digital“: Melanie Amann wechselt zur Funke-Mediengruppe
       
       Auf einen Machtkampf an der „Spiegel“-Spitze folgte der Abschied von
       Vize-Chefredakteurin Amann. Ab Januar beginnt sie in der
       Funke-Zentralredaktion.
       
   DIR Melanie Amann: Vize-Chefredakteurin verlässt „Spiegel“
       
       Die stellvertretende Chefredakteurin Melanie Amann arbeitet künftig nicht
       mehr beim „Spiegel“. Zuvor gab es Berichte über einen Machtkampf bei dem
       Magazin.
       
   DIR Geldverdienen mit der Wohnungskrise: Nena und die Geister-WGs
       
       Ein Unternehmen vermietet als Zwischenhändlerin einzelne Zimmer an
       Studierende. Nun will es die Mieter:innen mit fragwürdigen Methoden
       loswerden.
       
   DIR Neue Studie zum Wohnen: Mieten steigen erneut deutlich
       
       Berlin steht mal wieder an der Spitze der Mietsteigerungen. Auch werden
       bundesweit immer noch nicht genug Neubauten fertiggestellt.
       
   DIR Befristeter und möblierter Wohnraum: Kriminellen das Handwerk legen
       
       Wohnungsangebote sind immer öfter befristet und möbliert. Das ist in den
       meisten Fällen illegal. Der Staat versagt, aber ein Bezirk wagt den
       Aufstand.