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       # taz.de -- Der Pazifismus der Linkspartei: Mehr Rationalität wagen
       
       > Die Linkspartei wird angegriffen, weil sie ihr Wahlprogramm nicht über
       > Bord werfen will. Doch die Kritik folgt einer unterkomplexen
       > militärischen Logik.
       
   IMG Bild: Plakate auf dem Bundesparteitag der Linken am 18. Januar in Berlin
       
       Es hat schon fast etwas unfreiwillig Komisches. Sowohl den anderen
       demokratischen Parteien als auch der medialen Öffentlichkeit waren die
       außen- und sicherheitspolitischen Positionen der Linken in den vergangenen
       Jahren schlichtweg egal. Die Partei wurde nur noch mitleidig belächelt,
       ernst genommen wurde sie nicht.
       
       Das hat sich mit der Bundestagswahl radikal geändert. Denn künftig gibt es
       nur mit ihr eine Zweidrittelmehrheit jenseits der faschistischen AfD. Nun
       ist die Aufregung groß, weil die Linke doch tatsächlich nicht bereit ist,
       noch vor Konstituierung des neuen Parlaments einfach mal ihr Wahlprogramm
       über Bord zu werfen. Was für eine Unverschämtheit von diesen
       Vaterlandsverräter:innen!
       
       Es scheint für viele schwer erträglich zu sein, dass die Partei keine Kopie
       der Grünen sein will, also früher mal friedensbewegt und heute
       „realpolitisch“ nur noch in einer militärischen Logik denkend, egal was es
       kostet. Dabei ist genau das der Wert der Linken: dass es im Bundestag
       wenigstens eine Stimme gibt, die nicht einfach mitmarschiert, sondern die
       Renaissance des Militärischen in Frage stellt. Ohne dabei entweder naiv
       oder mutwillig – wie die Kremlparteien AfD und BSW – die reale Bedrohung
       der europäischen Ordnung durch Putins Russland zu ignorieren.
       
       Etwas mehr Rationalität würde der Debatte um die angeblich unumgängliche
       drastische Erhöhung der Verteidigungsausgaben guttun. So hat der
       Linken-Vorsitzende Jan van Aken recht, wenn er feststellt, dass bei den
       Militärausgaben kaufkraftbereinigt jährlich [1][430 Milliarden US-Dollar
       der europäischen Nato-Staaten 300 Milliarden US-Dollar Russlands]
       gegenüberstehen. Ebenso eigentümlich ist es, wenn ignoriert wird, dass die
       Nato konventionell Russland weit überlegen ist. Da braucht es kein neues
       „Sondervermögen“, auch wenn das gerade die herrschende Meinung ist.
       
       ## Linke war von Anfang an gegen Schuldenbremse
       
       Eine Abschaffung oder Reform der Schuldenbremse wäre hingegen mit der
       Linken kein Problem: gegen die war sie von Anfang an. Damit ließen sich
       dann auch höhere Verteidigungsausgaben finanzieren. Eine andere Möglichkeit
       wäre, die Einnahmeseite des Bundeshaushalts zu verbessern, beispielsweise
       durch eine Reichensteuer. Dafür würde eine ganz normale Regierungsmehrheit
       reichen, wobei die Linke sicherlich zustimmen würde. Aber die Prioritäten
       derjenigen, die so laut tönen, es müsste drastisch aufgerüstet werden, sind
       dann offenkundig doch andere.
       
       Wie absurd die gegenwärtige Diskussion ist, zeigt sich schon daran, dass
       dieselben, die behaupten, die EU-Staaten müssten jetzt Fantastilliarden
       ausgeben, um sich vor Russland zu schützen, ebenso behaupten, die
       EU-Staaten könnten der Ukraine auch ohne die USA zu einem Sieg über
       Russland verhelfen. Das eine wie das andere ist falsch. Was allerdings
       richtig ist: Auch wenn die USA ihre militärische Unterstützung für die
       Ukraine einstellen, könnten die europäischen Staaten dafür sorgen, dass
       Russland seinen Krieg nicht gewinnt.
       
       Aber das würde voraussetzen, dass auch andere Länder, beispielsweise
       Frankreich, Italien oder Norwegen, einen angemessenen ökonomischen Beitrag
       leisten. Als Erstes wäre es an der Zeit, dass Deutschland das blockierte
       3-Milliarden-Euro-Paket für die Ukraine zur Luftabwehr freigibt. Auf die
       Linkspartei kommt es dabei nicht an.
       
       Ja, dass die Linkspartei Waffenlieferungen an die Ukraine weiterhin
       ablehnt, kann und sollte kritisiert werden. Ohne die militärische
       Unterstützung des Westens hätte das angegriffene Land der Aggression
       Russlands nicht bis heute standhalten können.
       
       Deswegen ist es inkonsequent, wenn die Partei einerseits – wie in einem
       Vorstandsbeschluss vom Wochenende – verkündet, „immer an der Seite der
       Unterdrückten und Angegriffenen“ zu stehen, und ihre „volle Solidarität den
       Menschen in der Ukraine“ bekundet, aber andererseits nicht dazu beitragen
       will, dass das Land so lange standhalten kann, bis der Aggressor zu mehr
       bereit ist, als mit dem überfallenen Land über dessen Kapitulation zu
       verhandeln. Albert Einsteins Unterscheidung zwischen einem „vernünftigen“
       und einem „unvernünftigen“ Pazifismus könnte hier hilfreich sein.
       
       ## Auf alle Parteien kommen schmerzhafte Diskussionen zu
       
       Aber das Dilemma, in dem sich die Ukraine-Solidarität befindet, ist nicht
       der Linken geschuldet. Das Problem ist doch eher, dass die EU-Staaten mit
       der BRD vorneweg in den vergangenen Jahren nicht – wie von der Partei
       gefordert – bereit waren, eigenständige diplomatische Initiativen zum
       Beispiel mit China und anderen Brics-Staaten zur Lösung des Konflikts zu
       starten. Keine Ahnung, ob sie Erfolg gehabt hätten. Aber stattdessen nur
       auf die USA und sonst bloß auf Waffenlieferungen zu setzen, [2][war ein
       Fehler].
       
       Jetzt sitzt mit Donald Trump ein autoritärer Kleptokrat im Weißen Haus, der
       in alter imperialistischer Manier einen „Deal“ mit einer anderen Großmacht
       machen will: Russland bekommt den Boden, den es will, die USA die
       Bodenschätze – und die Ukraine hat sich zu fügen und ausplündern zu
       lassen. So stellt Trump sich das vor.
       
       Angesichts der [3][dramatischen Veränderung der Weltlage] werden der
       Linkspartei schmerzhafte Grundsatzdiskussionen nicht erspart bleiben. Aber
       für die anderen demokratischen Parteien dürften sie noch wesentlich
       schmerzhafter sein. Denn was lässt Trump von der viel gepriesenen
       westlichen Wertegemeinschaft übrig? Was ist eine Nato noch wert, wenn deren
       Kern, also die Beistandsverpflichtung, für deren stärksten Mitgliedstaat
       nicht mehr gilt? Ist es wirklich verantwortbar, dass in Deutschland
       Mittelstreckenwaffen stationiert werden sollen, über deren Einsatz
       ausschließlich ein unberechenbarer antidemokratischer Geschäftemacher in
       den USA entscheidet? Und was ist mit den in der BRD stationierten
       Atomwaffen, über die Trump die alleinige Verfügungsgewalt besitzt?
       
       Die Linkspartei hat darauf Antworten, die man nicht unbedingt in jedem
       Punkt teilen muss, die aber nachvollziehbar sind. CDU, CSU, SPD und Grüne
       haben das bisher nicht.
       
       4 Mar 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.greenpeace.de/publikationen/Kraeftevergleich_NATO-Russland.pdf
   DIR [2] /Nach-dem-Eklat-im-Weissen-Haus/!6072974
   DIR [3] /Nach-dem-Eklat-im-Oval-Office/!6070090
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Pascal Beucker
       
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