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       # taz.de -- Juristin über Macht am Familiengericht: „Frauen trauen sich nicht, über Gewalt zu berichten“
       
       > Müttern wird gedroht: Kooperieren sie nicht, sieht es für die elterliche
       > Sorge schlecht aus. Sabine Heinke über Macht und Kontrolle am
       > Familiengericht.
       
   IMG Bild: Das Gewalt-Problem ist allgegenwärtig: Demo am Tag für die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen im November 2024 in Berlin
       
       taz: Frau Heinke, worum geht es am Freitag auf der Tagung „[1][Macht und
       Kontrolle] im familiengerichtlichen Verfahren“? 
       
       Sabine Heinke: Es geht darum, wer seine Realitätswahrnehmung vor dem
       Familiengericht durchsetzen kann.
       
       taz: Sie haben mit Ihrer Kollegin Katrin Bülthoff in einem Artikel vom
       Verschwinden häuslicher Gewalt in familiengerichtlichen Verfahren
       geschrieben. Wer kann vor Gericht seine Wahrnehmung durchsetzen? 
       
       Heinke: Gewalt wird häufig als etwas Mechanisches begriffen. Die
       systemische Wirkung von Gewalt, wie sie in der [2][Istanbul-Konvention] zum
       Schutz vor Gewalt aufgeführt wird, also auch die psychische und die
       wirtschaftliche Gewalt, wird nicht gesehen. Da heißt es dann: „Na, Sie
       leben ja jetzt getrennt, jetzt brauchen Sie nichts mehr zu befürchten.“
       Dann muss man die Aufmerksamkeit des Gerichts darauf lenken, dass die
       Gewalt fortdauert.
       
       taz: Und das gelingt nicht? 
       
       Heinke: Die Frage ist, wie versteht man was? Da wehrt sich eine Mutter
       gegen das Umgangsrecht und sagt: „Der Mann will das Kind nur sehen, weil er
       mich kontrollieren will.“ Was sagt eine Kollegin? Sie könne so was nicht
       mehr lesen. So attraktiv seien diese Frauen ja alle nicht. Dass ein Mann
       den Kontakt zum Kind nutzt, um die Mutter unter Kontrolle zu behalten,
       wollen viele nicht glauben.
       
       taz: Was meinen Sie mit mechanisch? 
       
       Heinke: Hauen ist mechanisch. Und das Verständnis ist: Bin ich nicht mehr
       da, kann mich keiner hauen. Aber dieses Kleinmachen und Abwerten ist etwas,
       was sich fortsetzt, auch über Umgang. Wenn Kinder den Vater besuchen und
       der sagt: „Eure Mutter, die alte Schlampe, was macht die eigentlich?“
       
       taz: Ist [3][Zwang zum Umgang] ein Problem? 
       
       Heinke: Eines der Hauptprobleme. Im Gesetz steht: „Umgang dient in der
       Regel dem Kindeswohl“. Viele Gerichte machen daraus ein „immer“. Da muss
       die Frau die Ausnahme beweisen. Und das ist schwierig. Es ist ja nun mal
       der Vater der Kinder. Und dann kommt noch: „Sie haben sich den ja
       ausgesucht“.
       
       taz: Schadet fehlender Vater-Kontakt? 
       
       Heinke: Es gibt [4][keine Forschung, die das belegt]. Ob der Umgang positiv
       oder negativ ist, hat sehr viel damit zu tun, wie die Familienverhältnisse
       vor der Trennung waren. Es ist gut, wenn Kinder mit beiden Eltern
       aufwachsen. Aber sind die Eltern getrennt, ist die Frage, was die Kinder
       dann brauchen? Da ist zum Beispiel eine vernünftige materielle Basis
       wichtig.
       
       taz: Wir berichteten über Kinder, die [5][ins Heim kamen], weil Umgang
       nicht klappte. Gibt es noch solche Entscheidungen?
       
       Heinke: Der Punkt ist, wir haben fast keine Entscheidungen. Die Verfahren
       enden häufig mit Vereinbarungen. Den Müttern wird gedroht, kooperieren sie
       nicht, sieht es für die elterliche Sorge schlecht aus. Und so stimmen sie
       Umgang zu, um ihr Kind nicht zu verlieren.
       
       taz: Es heißt, [6][Mütter manipulieren] Kinder? 
       
       Heinke: Das schafft man nicht. Und als Alleinerziehende hat man anderes zu
       tun, als sein Kind [7][auf irgendwas zu trainieren]. Der Vater muss ja gar
       nicht so super gewesen sein. Aber das spielt bei Gericht keine Rolle. Es
       fragt keiner, was so ein Gewalttäter für eine Erziehungskompetenz hat.
       Leider gibt es diese Entfremdungstheorie heute noch in Handbüchern. Und
       auch eine Relativierung der häuslichen Gewalt. Motto: Frau provoziert, Mann
       kann nicht anders.
       
       taz: Was müsste passieren? 
       
       Heinke: Wenn ich das wüsste. Die Frauen trauen sich nicht mal mehr, über
       [8][Gewalt zu berichten], denn dann würden sie ja den Vater der Kinder vor
       Gericht schlecht machen. Auch ihre Anwälte sagen, das geht nach hinten los.
       Ich denke, ein Richter muss den Sachverhalt von Amts wegen aufklären. Das
       tun die Kollegen nicht. Oft leiten sie die Verfahren an einen
       psychologischen Sachverständigen weiter. Die sollen sagen, wie es für die
       Familie weitergeht. Sagt die Mutter, der Vater haut mich, und der Vater
       sagt, das tue ich nicht, dann weiß der Sachverständige nicht, was Sache
       ist. Und dann lässt er das weg. Der Richter könnte aber sagen: Du,
       Sachverständiger, geh bitte davon aus, dass der Mann die Frau geprügelt
       hat. Ich bin als Gericht nach der Anhörung und nach meinen Ermittlungen
       davon überzeugt. Aber das machen die Richter nicht.
       
       5 Mar 2025
       
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