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       # taz.de -- 50 Jahre AKW-Besetzung in Wyhl: So geht erfolgreiche Umweltpolitik
       
       > Vor 50 Jahren besetzten Atomkraftgegner im badischen Wyhl einen Bauplatz
       > – und verhinderten so ein Atomkraftwerk. Wie sie das geschafft haben.
       
   IMG Bild: So sehen erfolgreiche Aktivist*innen aus: Die Anti-AKW-Bewegung besetzt einen Bauplatz im badischen Wyhl am 18.02.1975
       
       Ein Mythos war geboren. „Wir machen es wie in Wyhl“, hieß es plötzlich
       überall in Deutschland, wo Atomkraftwerke geplant waren. Denn in der
       kleinen südbadischen Gemeinde hatten Bürger das Unvorstellbare geschafft:
       Sie hatten durch eine Platzbesetzung einen Baustopp erwirkt und dafür
       gesorgt, dass die Kraftwerkspläne für alle Zeiten in der Schublade
       verschwanden.
       
       50 Jahre ist das nun her. Dabei hatte es am Anfang gar nicht so ausgesehen,
       als könnte das Winzerdorf am Kaiserstuhl deutsche Widerstandsgeschichte
       schreiben. Zwar war der Standort Wyhl seit Juli 1973 bekannt und seit
       August 1974 gab es die „Badisch-Elsässischen Bürgerinitaitiaven“. Und doch
       begann der Bau des AKW unspektakulär, was daran lag, dass die Aktion für
       die Bürger unerwartet kam. „Die Arbeiten wurden nicht behindert“ vermeldete
       am nächsten Tag die Badische Zeitung.
       
       Doch an diesem Dienstag änderte sich alles. Unter dem Motto „Besser heute
       aktiv als morgen radioaktiv“ besetzte eine Gruppe den Bauplatz am Rhein.
       Ein paar Hundert Menschen reichten aus, um die Bauarbeiten zu stoppen. Die
       Bürger hatten Polizei und Baufirma schlicht übertölpelt. Letztere hieß
       Kernkraftwerk-Süd GmbH und war eine Tochter des Badenwerks, das später zur
       EnBW fusionierte. Der Slogan des Stromkonzerns – „Mehr Energie. Damit der
       Fleiß im Land sich lohnt“ – hatte offenkundig nicht bei allen verfangen.
       
       Als die Atomkraftgegner das Gelände auch am Mittwoch noch besetzt hielten,
       entschied sich Baden-Württembergs Ministerpräsident Hans Filbinger,
       ehemaliges NSDAP-Mitglied, für gewaltsames Durchgreifen. Am frühen
       Donnerstag ließ er 600 Bereitschaftspolizisten anrücken, mit Hundestaffel
       und Wasserwerfern.
       
       ## Hier hat die Repression den Protest gestärkt
       
       Das heizte die Stimmung weiter an, am Sonntag darauf kamen 28.000 Menschen
       aus der gesamten Region auf den Bauplatz. Die Polizei musste sich
       zurückziehen und das Badenwerk stellte – perplex angesichts der Massen und
       deren friedlicher Entschlossenheit – die Bauarbeiten endgültig ein.
       
       So haben die Atomkraftgegner Zeit gewonnen, sich auszubreiten. Sie
       organisierten eine ständige Platzwache und bauten das „Freundschaftshaus“,
       eine Holzhütte für 500 Leute, die zum Standort der „Volkshochschule Wyhler
       Wald“ wurde, in der zum Beispiel Vorträge zu Umweltthemen stattfanden, auch
       in den Abendstunden.
       
       Nachmittags kamen Schüler auf das Gelände, die Freiburger Studenten halfen
       ihnen bei den Hausaufgaben. Erst nach einer Vereinbarung mit der
       Landesregierung im Januar 1976 räumten die Besetzer den Bauplatz. Die
       Arbeiten ruhten weiterhin, offiziell aufgegeben wurde das Projekt im Jahr
       1987.
       
       Bis heute lautet die Frage: Warum gelang der Umweltbewegung in Wyhl [1][so
       ein großer Erfolg]? Zum einen lag das an der prägnanten Forderung: „Kein
       AKW in Wyhl“. Auf Alemannisch: „Nai hämmer gsait“ („Nein haben wir
       gesagt“). Nicht immer lassen sich politische Forderungen auf ein schlichtes
       Ja oder Nein konzentrieren.
       
       Noch wichtiger als das klare Ziel war wohl die Offenheit der Akteure, mit
       verschiedenen Weltanschauungen umzugehen. In Wyhl kämpften linke Studenten
       und konservative Winzer zusammen. „Man hat nicht gefragt: Woher kommst du
       politisch?“ – das ist einer der Sätze, den man von den damaligen Kämpfern
       hört, fragt man sie nach ihrem Erfolgsrezept.
       
       ## Das Rezept hat auch andernorts funktioniert
       
       Dass erst der Schulterschluss über ideologische Grenzen hinweg Erfolge
       beschert, haben im Nachgang von Wyhl auch weitere Beispiele gezeigt. Ein
       ähnlicher Sieg gelang kurz darauf im schweizerischen Kaiseraugst nahe
       Basel, wo eine bürgerliche Bewegung per Bauplatzbesetzung das Ende der
       Reaktorpläne erwirkte.
       
       Gleichermaßen führte in Österreich ein über politische Präferenzen
       erhabener Widerstand gegen das Atomkraftwerk Zwentendorf nach einer
       erzwungenen Volksabstimmung zum Ende aller AKW-Pläne im Land. Und auch der
       Protest in Gorleben, wo das Landvolk zusammen mit den Städtern auf die
       Straße ging, war ein Erfolg.
       
       Der Pragmatismus, der über ideologische Abgrenzung siegte, lag in der
       Tradition der frühen Umwelt- und Anti-Atom-Bewegung. Deren Vordenker waren
       Herbert Gruhl, der das Buch „Ein Planet wird geplündert“ geschrieben hat,
       ebenso wie Holger Strohm, dessen Werk „Friedlich in die Katastrophe“ die
       Presse gar zur „Bibel der Anti-Atomkraft-Bewegung“ geadelt hat. Auch die
       beiden passten parteipolitische in keine Schublade.
       
       ## Die heutige Klimabewegung ist anders
       
       Die heutigen Bewegungen sind anders. Statt ein präzises Thema anzusprechen,
       wirken etwa die Proteste der Klimabewegung oft wie eine Show vielfältiger
       gesellschaftlicher Ideen. Zugleich versammeln sich heute oft Menschen aus
       der gleichen ideologischen Richtung.
       
       Ändern könnte sich das bei griffigeren Themen. Zum Beispiel, wenn die
       Standortauswahl für ein Endlager für hochradioaktive Abfälle in Deutschland
       konkret wird. Dann könnte es passieren, dass die Menschen sich wieder aus
       der Komfortzone ihres Milieus oder Meinungsspektrums herauswagen. Denn 50
       Jahre Widerstand in Wyhl haben gezeigt: Wo [2][Menschen mit Treckern] und
       Kopfarbeiter zum Protest zusammenfinden, [3][sind die Erfolgschancen] in
       der Regel größer.
       
       18 Feb 2025
       
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   DIR Bernward Janzing
       
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