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       # taz.de -- Neue Leitung am Kunsthaus KW in Berlin: Ein Knabe singt von der großen Schöpfung
       
       > Emma Enderby ist die neue Direktorin des Berliner Kunsthauses KW. In
       > ihrer ersten Ausstellung stellt sie die großen Fragen, teils in drolliger
       > Form.
       
   IMG Bild: Laser-Anime als Operntrilogie: Matt Copson, „Coming of Age“, 2020–2025, Ansicht aus dem KW Institute for Contemporary Art, Berlin
       
       Der Mythos von der Künstler:innenstadt Berlin entstand womöglich in
       einer Margarinefabrik. In den neunziger Jahren, in jener schon historischen
       Nachwendezeit, als fünf Leute – unter anderem der heutige Direktor der
       Neuen Nationalgalerie, Klaus Biesenbach – in einem solchen baufälligen
       Ostberliner Fabrikbau eine [1][Institution namens KunstWerke (KW)]
       gründeten. Kein Museum mit Sammlung, sondern eine Kunsthalle sollte es
       sein, ausgestellt werden sollten eigens geschaffene Kunstwerke, produziert
       in den vielen leerstehenden, zu Ateliers umgewandelten Mietskasernen
       drumherum. KW, das bedeutete Kunst und Stadt.
       
       Viele Namen wurden in der Margarinefabrik groß: [2][Monica Bonvicini],
       Marina Abramović, Carsten Höller. Im Vorstand des Trägervereins für die KW
       sitzt auch heute noch mit Katharina Grosse eine Berliner Künstlerin,
       sozusagen als Relikt der Gründungsjahre, wenn auch sie zur Minderheit
       gehört unter den vielen Unternehmer:innen und Architekt:innen, die
       die Geschicke des mittlerweile internationalen Kunsthauses bestimmen.
       
       Jetzt hat die neue Direktorin der KW, Emma Enderby, ihre erste
       Ausstellungsreihe eröffnet. Ein Moment, an dem man sich noch mal fragen
       kann, was da eigentlich noch dran ist an dem Mythos der
       Künstler:innenstadt Berlin.
       
       ## Spardiktat sägt an fragilen Konstrukten
       
       Er bröckelt offenbar, gibt Enderby im taz-Gespräch zu. Die drastischen
       Kürzungen im Kulturbereich, auch an den weniger sichtbaren Stellen, etwa
       bei senatsgeförderten Ateliers, haben an dem fragilen und so erfolgreichen
       Berliner Konstrukt von High & Low, von Leben, Arbeiten und Kunst gesägt.
       Nur wenige Tage vor der Eröffnung ihrer Auftaktausstellungen erfuhr
       Enderby, dass der Senat die Budgetkürzung für die KW um noch ein paar
       Prozentpunkte mehr anheben wolle.
       
       Enderby, Anfang vierzig, hat als Kuratorin in den hoch kompetitiven
       Kunstmetropolen New York und London gearbeitet, zuletzt war sie in München.
       Nun, in Berlin, vermittelt sie etwas Post-Jetsetmäßiges, etwas von „Lass
       uns erst mal hier bleiben“. Vier jüngere Gegenwartskünstler:innen
       bringt sie jetzt zusammen, alle zwischen 1984 und 1992 geboren, alle leben
       in Berlin, oder haben zumindest einen Bezug zur Stadt.
       
       Inhaltlich steigt Enderby ein mit den ganz großen, fundamentalen Fragen
       über Sein und Zeit. Dafür wählte sie ein so opulentes Genre wie die Oper.
       Genauer ist es eine laseranimierte Oper, die der britische Künstler Matt
       Copson in der Haupthalle der KW inszeniert hat.
       
       Nur ein Baby taucht auf Copsons sonst schwarzer Bühne auf. Der Kopf
       überzeichnet groß, süße Knopfaugen, räsoniert das Kleinkind singend im
       gläsernen Ton eines tatsächlichen Knabensoprans über die menschliche
       Existenz, Schaffen und Geschaffensein; „Ich schaffe Großes / Ich bin eine
       große Schöpfung“ singt das Kind auf Englisch, schwankt auf Copsons
       zitternden Lichtumrissen in einfachen Farben zwischen der Weisheit und dem
       Größenwahn kindlicher Unwissenheit hin und her, spielt mit einem
       Streichholz, brennt alles nieder, weint, pinkelt. Man wird hineingezogen in
       diesen drolligen Existenzialismus, das Laser-Anime ist Immersion in totaler
       Reduktion.
       
       Reduziert ist auch die Klanginstallation der [3][Computermusikerin Jessica
       Ekomane]. Einen Sound wie der Knall bei der Entladung von Starkstrom lässt
       sie aus Lautsprechern tönen und verwebt ihn zu einem Klangmuster, das sich
       wiederholen, vervielfachen, verschieben kann, wie zum Ton gewordene Op-Art.
       Zeit wird hier erlebbar.
       
       Auch politische Kunst taucht bei Enderby auf, aber eine unideologische,
       forschende. Der bosnisch-niederländische Künstler Miloš Trakilović etwa
       bespielt eine Etage mit Soundaufnahmen von Radiosongs aus Jugoslawien,
       veröffentlicht einige Jahre, bevor dort der Krieg ausbrach.
       
       ## In die Geschichte hineinhorchen
       
       Bahnte sich das Verheerende schon in der Musik an, ist seine Frage, und er
       schickte die Soundaufnahmen durch eine KI, die eigentlich für die
       Komposition von Liebesliedern programmiert ist. Doch das Experiment,
       Maschine und radikale Gefühle zu fusionieren, geht nicht ganz auf, das
       Klangresultat ist ein wenig überraschendes Wabern.
       
       Die [4][Künstlerin Sung Tieu] ist da schon sehr viel präziser, wenn sie in
       ihrer auf zwei Etagen ausgebreiteten Installation auf die Geschichte und
       Gegenwart von vietnamesischen Vertragsarbeiter:innen in der DDR
       eingeht. Ihr Leben in einem Zwischenzustand in Deutschland, legal aber
       unerwünscht. Unter anderem greift sie auf die fast schon vergessenen
       Methoden der Institutional Critique zurück, wenn sie für ihre Ausstellung
       den Vorschlag unterbreitet, in die Institution der KW selbst einzuwirken.
       
       Sie wolle eine Person ihrer Wahl in den Trägerverein der KW eintreten
       lassen, die jährliche Mitgliedsgebühr von 5.000 Euro aufbringen, um die
       doch recht einheitlichen Gruppe der Entscheidungsträger:innen im
       Hintergrund der KW sozial etwas diverser zu machen. Wie man in einer
       ausgestellten Korrespondenz erkennen kann: Emma Enderby, die neue
       Direktorin, ist einverstanden, auch sozial an den mythischen KW etwas zu
       rütteln.
       
       19 Feb 2025
       
       ## LINKS
       
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