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       # taz.de -- Einbürgerungen und Wahlrecht: Berlin tut nicht genug
       
       > Das Einbürgern dauert weiter zu lange, sagt Elif Eralp von der Linken. Um
       > die „demokratische Lücke“ zu schließen, fordert sie das Wahlrecht für
       > alle.
       
   IMG Bild: Weil es bei den Einbürgerungen hakt, darf ein großer Teil der Berliner*innen am Sonntag kein Kreuzchen machen
       
       Berlin taz | Die Unzufriedenheit von Menschen, die zum Teil seit Jahren auf
       ihre Einbürgerung warten, wächst rasant: Die Zahl der Untätigkeitsklagen
       gegen die Verwaltung stieg von 402 im Jahr 2023 auf 1.662 Klagen in 2024.
       Dies geht aus bisher unveröffentlichten Antworten der Innenverwaltung auf
       eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Elif Eralp hervor, die der taz
       vorliegen.
       
       Die Zahlen zeigten, dass es ein Fehler gewesen sei, die „Altfälle“ unter
       den Anträgen [1][bei der Umstellung im vorigen Jahr] nicht vorzuziehen,
       kritisiert Eralp. „Schnell hohe Einbürgerungszahlen über Online-Anträge zu
       präsentieren war leider wichtiger als eine gerechte Bearbeitung für alle.“
       
       Im Januar 2024 [2][hatte das Landesamt für Einwanderung (LEA) die
       Zuständigkeit für Einbürgerungen von den Bezirken übernommen]. Dort hatten
       sich zuletzt mehr als 40.000 Anträge auf Einbürgerung angesammelt, über die
       noch nicht entschieden war – manche Anträge waren schon fünf Jahre alt.
       
       Diese „Altfälle“, die noch in Papierform gemacht worden waren, werden
       seither aber nicht prioritär bearbeitet, sondern parallel zu Neuanträgen,
       die seit Anfang 2024 digital beim LEA eingereicht werden. Dies führt dazu,
       dass neue Anträge von 2024 teils nach wenigen Monaten zur Einbürgerung
       führen, während viele „Altfälle“ weiterhin warten müssen.
       
       ## Gebühren von 255 Euro
       
       Eralp kritisiert auch den Hinweis von LEA-Chef Engelhard Mazanke,
       Alt-Antragsteller könnten ihren Antrag ja nochmal digital stellen, dann
       gehe es voraussichtlich schneller. Dies sei für viele keine Alternative, so
       Eralp, da die Gebühren von 255 Euro pro Antrag nochmal fällig werden.
       
       Besonders wichtig ist Eralp das Thema Beschleunigung bei den Einbürgerungen
       auch wegen des „massiven Demokratiedefizits“. Damit meint sie, dass gerade
       in Berlin große Teile der Bevölkerung – rund 20 Prozent, in manchen
       Vierteln bis zu ein Drittel – kein Wahlrecht haben, weil sie keinen
       deutschen Pass besitzen. „Diese Menschen sind nicht an Entscheidungen
       beteiligt, die sie selbst betreffen.“
       
       Laut den vorgelegten Zahlen haben im Bezirk Mitte zum Beisipel 34 Prozent
       der Erwachsenen keinen deutschen Pass. Davon sind 10 Prozent EU-Bürger,
       dürfen also bei Kommunalwahlen abstimmen – aber nicht [3][kommenden Sonntag
       bei der Bundestagswahl]. Insgesamt gab es in Berlin laut der Anfrage zum
       Stichtag Ende Juni 2024 rund 2,4 Millionen erwachsene deutsche
       Staatsbürger, 242.783 erwachsene EU-Bürger sowie 590.178 erwachsene
       Nicht-EU-Ausländer.
       
       ## „Demokratische Lücke“ bleibt bestehen
       
       Eralp geht davon aus, dass die „demokratische Lücke“ mit einem hohen
       Prozentsatz von Nicht-Wahlberechtigten nicht so bald durch Einbürgerungen
       geschlossen werden wird. Dafür gebe es auch nach der [4][Reform des
       Staatsbürgerschaftsrechts im vorigen Jahr] zu viele Hürden, etwa
       Einkommensvoraussetzungen, Sprachtests und „entwürdigende
       Einbürgerungstests“, sagte sie der taz.
       
       Daher setzt sie sich weiterhin für ein „Wahlrecht für alle“ unabhängig von
       der Staatsangehörigkeit ein. Dies sei gerecht, „weil jede*r, der*die von
       Regierungshandeln und parlamentarischen Entscheidungen und Gesetzen
       betroffen ist, auch über das Zustandekommen der Parlamente mitentscheiden
       können sollte“.
       
       ## Senat ist gegen Ausweitung des Wahlrechts
       
       Eralp hatte daher in ihrer Anfrage auch gefragt, wie der Senat zu einer
       Ausweitung des Wahlrechts auf dauerhaft hier lebende Nicht-Deutsche stehe
       und ob er eine entsprechende gesetzliche Änderung auf Landes- und
       Bundesebene anstrebe. Antwort: Nein, dies sei „nicht Gegenstand der
       Regierungspolitik“. Zudem würde ein solches Vorhaben „zunächst eine
       Änderung des Grundgesetzes erforderlich machen“.
       
       Laut Eralp sehen dies viele Jurist*innen heutzutage anders. Es sei ein
       „Armutszeugnis“, findet sie, dass der Senat nicht vorhabe, das Wahlrecht
       auf Menschen ohne deutschen Pass auszuweiten. „Auch weil der Senat
       offensichtlich auch sonst keine Ideen hat, wie die politische Teilhabe von
       Menschen mit Migrationsgeschichte verbessert werden kann außer über
       Einbürgerungen.“
       
       Unterstützung bekommt die Linken-Politikerin vom Bündnis „Pass(t) uns
       allen“, das sich ebenfalls für ein Wahlrecht für alle unabhängig von der
       Staatsangehörigkeit sowie weitere Erleichterungen bei der Einbürgerung
       einsetzt. Olga Gerstenberger vom Bündnis sagt, es sei „als demokratische
       Gesellschaft nicht hinnehmbar, dass 14 Prozent der Erwachsenen in
       Deutschland kein Mitspracherecht haben“. Denn die Menschen lebten hier,
       arbeiteten, zahlten Steuern und seien betroffen von Regierungshandeln auf
       jeder Ebene.
       
       Es brauche dringend einen Perspektivwechsel, findet Gerstenberger: „Weg von
       den rassistisch geprägten Diskussionen über Abschiebungen und einen
       möglichen Entzug der Staatsangehörigkeit, die den Wahlkampf dominieren, hin
       zu der Erkenntnis, dass wir längst eine postmigrantische Gesellschaft sind,
       in der gleiche Rechte für alle gelten sollten.“
       
       ## Vorbild Neuseeland
       
       Vorbilder für eine Ausweitung des Wahlrechts gebe es viele, erklärt
       Gerstenberger. So kennen [5][14 von 27 EU-Staaten das kommunale Wahlrecht
       für Drittstaatsangehörige] (also Nicht-EU-Ausländer) sowie vier EU-Länder
       das Wahlrecht auf regionaler Ebene für diese Gruppe. Und in Neuseeland gibt
       es [6][das uneingeschränkte Wahlrecht für Ausländer] schon nach einem Jahr
       Aufenthalt im Land.
       
       19 Feb 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Bilanz-der-digitalen-Einbuergerung/!6059449
   DIR [2] /Neues-Zentrum-fuer-Einbuergerungen/!5983122
   DIR [3] /Schwerpunkt-Bundestagswahl-2025/!t5007549
   DIR [4] /Reform-des-Staatsangehoerigkeitsrechts/!5986729
   DIR [5] https://www.migpolgroup.com/wp-content/uploads/2024/11/NEI-Policy-Brief-14Nov2024-FINAL.pdf
   DIR [6] https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2449068
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Memarnia
       
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       bestehen.