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       # taz.de -- Nachruf auf Papst Franziskus: Unerlässlich in einer Zeit der politischen Härte
       
       > Papst Franziskus war ein klassischer Vertreter der Befreiungstheologie.
       > Er hat die Kirche maßgeblich verändert. Am Ostermontag starb er nach
       > längerer Krankheit.
       
   IMG Bild: Papst Franziskus im Jahr 2023 in Rom
       
       Himmelstor taz | Und dann küsste er ihnen auch noch die Zehen! Am
       Gründonnerstag 2016, zwei Tage [1][nach dem islamistischen Blutbad von
       Brüssel], ließ Papst Franziskus sich auf seine schon damals alten Knie
       hinab und wusch die Füße von zwölf Geflüchteten. Unter ihnen: drei junge
       Muslime aus Mali, Pakistan, Syrien.
       
       Die Stimmung in Europa war hitzig und der Papst handelte an Muslimen, wie
       Jesus es an seinen Jüngern getan hatte. Unerhört! [2][Nicht nur den
       Geflüchteten liefen die Tränen übers Gesicht, als das Oberhaupt von 1,4
       Milliarden Katholik:innen ihnen die Zehen trocknete, sie zum Mund
       führte und küsste]. Wie um vor aller Welt zu sagen: Ihr tragt keine Schuld.
       
       Noch mehr als die [3][KI-Porträts mit hipper Daunenjacke] waren es Gesten
       wie diese, die das Bild des 266. Papstes weltweit prägten. Gesten, fast
       unerträglich in ihrer Rührseligkeit – und absolut unerlässlich in einer
       Zeit der politischen Härte.
       
       Schon 2013 führte seine erste Reise den frisch gewählten Pontifex auf die
       [4][Fluchtinsel Lampedusa]. Der erste Lateinamerikaner auf dem Stuhl Petri,
       selbst Sohn von Migrant:innen, wie er vor dem US-Kongress einmal betonte,
       hielt dem ach so christlichen Abendland den Spiegel vor. Parteiisch für die
       Ausgeschlossenen, küssend und umarmend in Asylunterkünften, Gefängnissen
       und Armenvierteln.
       
       In seinem Köfferchen hatte der Argentinier die Befreiungstheologie mit in
       den Vatikan gebracht. Papst Franziskus war ein gemäßigter, spätberufener
       und doch klassischer Vertreter dieser linken Gotteslehre. Mit allen
       sympathischen Facetten eines solchen – und den problematischen.
       
       ## Sohn italienischer Einwanderer
       
       Jorge Mario Bergoglio kam am 17. Dezember 1936 als ältestes von fünf
       Kindern einfacher italienischer Einwanderer im Stadtteil Flores von Buenos
       Aires zur Welt. Er lernte Chemietechniker, bevor er in den Jesuitenorden
       eintrat und Philosophie sowie Theologie studierte. Kurz vor seiner
       Priesterweihe hätte ihn eine Lungenentzündung fast das Leben gekostet, die
       Entfernung eines Teils der Lunge brachte ihn durch.
       
       Als das Zweite Vatikanische Konzil 1965 endete, nahm die linke
       Befreiungstheologie in Lateinamerika Fahrt auf. Der radikale Kampf, wie ihn
       etwa der [5][Befreiungspriester Ernesto Cardenal] gegen die Ungerechtigkeit
       in Nicaragua führte, war Pater Bergoglios Sache nicht. Er begann Literatur
       und Psychologie an verschiedenen Jesuitenhochschulen zu unterrichten und
       machte Karriere in seinem Orden.
       
       ## Gratwanderung während der Diktatur in Argentinien
       
       1976 putschte sich in Argentinien eine Militärjunta an die Macht, die
       katholische Hierarchie stellte sich großteils hinter das Regime.
       Oppositionelle, auch Befreiungstheolog:innen, wurden verfolgt, gefoltert,
       ermordet. Für Bergoglio, mittlerweile argentinischer Provinzial der
       Jesuiten, bedeutete die Diktatur eine Gratwanderung: Welche Zugeständnisse
       sollte er den Machthabern machen, um seine Leute zu schützen?
       
       Für viele Argentinier:innen hat Bergoglio falsch entschieden. Im Zentrum
       ihrer Vorwürfe steht der Fall zweier Jungjesuiten, [6][bis heute ist
       unklar, welche Rolle der spätere Papst bei ihrer Verhaftung spielte.] Hatte
       er sie gewarnt und gebeten, ihre befreiungstheologische Arbeit in den
       Armenvierteln zumindest vorübergehend aufzugeben? Hatte er sich bei
       [7][Diktator Jorge Rafael Videla] für die beiden eingesetzt?
       
       So stellte Bergoglio es dar. Einer der beiden gefolterten Jesuiten jedoch
       erzählte zeit seines Lebens eine andere Geschichte: Er sei sich völlig
       sicher, dass es Bergoglio selbst war, der Informationen über die Arbeit und
       Kontakte der Armenpriester an die Militärs weitergegeben habe.
       
       ## Arbeit mit Drogenabhängigen in den Slums
       
       Nach dem Ende der Militärdiktatur und nach dem gescheiterten Versuch einer
       Doktorarbeit in Frankfurt am Main wurde Jorge Mario Bergoglio in Buenos
       Aires zum Bischof ernannt. Wie um Früheres gutzumachen, wandte er sich als
       solcher entschieden den Armen zu. Dabei leitete ihn nun die teología
       popular, eine argentinische und weniger revolutionäre Variante der
       Befreiungstheologie. Er sorgte für die Drogenabhängigen in den Slums seiner
       Heimatstadt und legte sich mit den Narcos an.
       
       In der dramatischen Wirtschaftskrise Argentiniens von 2001 stellte er
       öffentlichkeitswirksam die freie Marktwirtschaft und die Globalisierung
       infrage. Gegen Korruption, regierungskritisch, volksnah und bescheiden, so
       gewann Erzbischof Bergoglio die Armen für sich. Und den Respekt von
       Kirchenleuten weltweit.
       
       Nachdem [8][Papst Benedikt XVI.] im Februar 2013 sein Amt aufgegeben hatte,
       wählten die Kardinäle ihren argentinischen Kollegen zum Oberhaupt der
       skandalgebeutelten katholischen Kirche. Als ersten Nichteuropäer seit über
       1.200 Jahren. Vielleicht, um von seiner Glaubwürdigkeit zu profitieren.
       Einige könnten den Armenbischof aber auch als Übergangslösung gewählt
       haben, denn gesundheitlich angeschlagen war er schon damals.
       
       Bergoglio hielt im Vatikan an seiner Bescheidenheit fest und grüßte bei
       seinem ersten Auftritt die auf dem Petersplatz versammelte Menge mit einem
       einfachen „buona sera“. Er bezog eine schlichte Unterkunft im Vatikan und
       ließ sich in einem kleinen Fiat kutschieren. Mit seinem Papstnamen deutete
       er, der Jesuit, in Richtung eines anderen Ordens. Franz von Assisi und die
       Franziskaner:innen stehen für Armut, die Wertschätzung der Schöpfung
       und den Dialog mit Andersgläubigen.
       
       Nachdem sein deutscher Vorgänger viel Schaden angerichtet hatte, gelang
       Papst Franziskus eine bemerkenswerte Annäherung der katholischen Kirche an
       muslimische Vertreter:innen und die anderen christlichen Kirchen. Das
       Dokument „Der Bischof von Rom“ von 2024 etwa schlägt vor, die Macht des
       Papsttums zu reduzieren, um in der Ökumene mit Orthodoxen und
       Protestant:innen weiterzukommen.
       
       ## Ökologie und Kapitalismuskritik
       
       Franziskus betrieb das Papstamt „glokal“. Er sah sich selbst schlicht als
       Bischof der römischen Stadtgesellschaft und stärkte die anderen Ortskirchen
       in ihrer Selbstbestimmung. Gleichzeitig setzte er Impulse in globalen
       Fragen. Mit seinem Engagement für Geflüchtete oder seiner [9][Öko-Enzyklika
       „Laudato Si“] sammelte der Oberhirte Sympathiepunkte weit über den
       Katholizismus hinaus. Worte wie „diese Wirtschaft tötet“ waren zuvor noch
       keinem Pontifex über die Lippen gekommen, vor den Vereinten Nationen
       geißelte der Papst die „Wegwerfkultur“. Wim Wenders’ Film „Ein Mann seines
       Wortes“ von 2018 ist ein Dokument [10][dieses befreiungstheologischen
       Aktivismus].
       
       Den „Mann seines Wortes“ vermissten allerdings viele, als Russland die
       Ukraine überfiel, auch im Gazakrieg hatte Franziskus keinen diplomatischen
       Erfolg. Und wie andere klassisch-männliche Befreiungstheologen war
       Franziskus in Fragen von Geschlechterungerechtigkeit und Sexualität
       verstockt. Zwar gab er Verwaltungsmacht an Frauen ab, ernannte sogar die
       erste Regierungschefin des Vatikanstaats. Aber nur, so schien es, um der
       Forderung nach Frauen in „Weiheämtern“ das Wasser abzugraben.
       
       So entschieden er gegen Korruption und Misswirtschaft im Vatikan vorging,
       so halbherzig blieb Papst Franziskus bei der Aufarbeitung und Prävention
       von sexualisierter Gewalt. Schwangerschaftsabbrüche waren für ihn ein
       Verbrechen, „als würde man einen Auftragsmörder anheuern, um ein Problem zu
       lösen.“ Auch das war typisch für einen Befreiungstheologen vom alten
       Schlag.
       
       ## Überkommene Sexuallehre
       
       Franziskus forderte die Katholik:innen auf, geschlechtlichen und
       sexuellen Minderheiten mit „Barmherzigkeit“ zu begegnen, hetzte selbst aber
       auf einer Bischofstagung über „frociaggine“, „ausufernde Schwuchteleien“ in
       den Priesterseminaren. So offen er nach außen auftrat, so fest hielt er im
       Inneren an der überkommenen Sexual- und Beziehungslehre der Kirche. Obwohl
       wissenschaftliche Theolog:innen seit Jahren deren Haltlosigkeit betonen.
       
       Die Katholische Universität Löwen distanzierte sich von Franziskus, nachdem
       er 2024 bei einem Besuch Frauen auf „fruchtbares Empfangen, Sorge,
       lebendige Hingabe“ reduziert hatte. Früher im Jahr hatte Franziskus schon
       von „Gender-Ideologie“ als schlimmster Gefahr der heutigen Zeit gesprochen.
       
       Papst Franziskus setzte auf einen freudig-sozialen Aufbruch der
       katholischen Kirche, gerade durch die wachsenden, konservativen
       Christengemeinschaften in Asien und Afrika. Den sollten westliche Spleens
       nicht stören. Bei [11][einem Besuch in Osttimor 2024] sagte der Papst:
       „Seid vorsichtig! Nehmt euch vor den Krokodilen in Acht, die eure Kultur
       verändern wollen, die eure Geschichte verändern wollen.“ Krokodile kamen
       von Australien aus nach Osttimor, wehe, dasselbe würde mit einer Ausgabe
       von „Gender Trouble“ passieren oder mit irgendwelchen „Schwuchteleien“.
       
       Dass er fehlerhaft war, hat er selbst nie bestritten. „Mir ist eine
       ‚verbeulte‘ Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die
       Straßen hinausgegangen ist, lieber als eine Kirche, die aufgrund ihrer
       Verschlossenheit und ihrer Bequemlichkeit, sich an die eigenen Sicherheiten
       zu klammern, krank ist“, hat Franziskus einmal seine Vision von Kirche
       beschrieben. Als Papst hat er sie konkret und langfristig verändert.
       
       Am Ostermontag um 7.35 Uhr ist Papst Franziskus nach längerer Krankheit
       gestorben. Noch am Sonntag hatte er seinen traditionellen Ostersegen „Urbi
       et orbi“ erteilt. Er wurde 88 Jahre alt.
       
       80 Prozent der Kardinäle, die jetzt zusammenkommen werden, um einen neuen
       Papst zu wählen, hat Franziskus ernannt. Gewichtige Bischofssitze Europas
       wie Paris, Florenz und Mailand hat er dabei übergangen, zugunsten von
       Bischöfen von den Philippinen, aus Indonesien, Indien und sogar Iran.
       
       Doch dass aus dem Konklave ein Papst hervorgeht, der die Lage von Frauen
       wirklich kennt, von intergeschlechtlichen und queeren Menschen, bleibt wohl
       vorerst Stoff für Romane und [12][oscarprämierte Spielfilme].
       
       21 Apr 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Terror-in-Bruessel/!5289498
   DIR [2] https://www.youtube.com/watch?v=pVjHt13RJ9A&t=12s
   DIR [3] https://www.spiegel.de/netzwelt/web/kuenstliche-intelligenz-fake-franziskus-geht-viral-a-d85bf901-2bd8-4e02-a900-3951995b49d4
   DIR [4] /Papst-auf-Lampedusa/!5063676
   DIR [5] /Nachruf-auf-Ernesto-Cardenal/!5666535
   DIR [6] /Der-Papst-und-die-Junta-in-Argentinien/!5071304
   DIR [7] /Zum-Tod-des-argentinischen-Ex-Diktators/!5067112
   DIR [8] /Nachruf-auf-Benedikt-XVI/!5905602
   DIR [9] /Papst-Franziskus-legt-Oeko-Enzyklika-vor/!5204463
   DIR [10] /Wim-Wenders-Film-ueber-Papst-Franziskus/!5513057
   DIR [11] /Papst-in-Osttimor/!6032691
   DIR [12] /Papstwahl-als-Polit-Thriller-im-Kino/!6048833
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Hunglinger
       
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