# taz.de -- Zwei Jahre Tempi-Zugunglück: Die Wut auf Mitsotakis wächst
> Die griechische Regierung unter Premier Mitsotakis übersteht abermals ein
> Misstrauensvotum. Ob sie jedoch zu Ende regieren kann, ist fraglich.
IMG Bild: „Es war kein menschliches Versagen“ heißt es auf den Bannern der Massenproteste, hier vor dem Parlament in Athen
Athen taz | Griechenland ist in Aufruhr. Eine satte Mehrheit der Befragten
spricht sich [1][für vorgezogene Neuwahlen in Griechenland] aus – und dies
erst gut anderthalb Jahre nach dem jüngsten Urnengang. Einer Umfrage des
Meinungsforschungsinstituts MRB zufolge sind 57,5 Prozent der Griechen
dafür, ebenso selbst 22 Prozent der Wähler der konservativen
Regierungspartei Nea Dimokratia (ND).
Doch Hellas’ konservative Regierung unter Premier Kyriakos Mitsotakis sieht
das anders: Mitsotakis will bis zu den turnusmäßig im Sommer 2027
stattfindenden Parlamentswahlen weiterregieren. Ein Misstrauensantrag gegen
ihn scheiterte am Freitagabend. Die 156 ND-Abgeordneten im 300 Sitze
umfassenden Athener Parlament stimmten geschlossen dagegen.
Eingebracht hatten den Antrag die sozialdemokratische Pasok, das Bündnis
der radikalen Linken (Syriza) sowie die [2][Syriza-Abspaltungen Neue Linke
und Kurs der Freiheit.]
Bereits im März 2024 hatte das Parteienquartett einen Misstrauensantrag
gegen Mitsotakis und Co eingereicht. Auch er scheiterte. Damals wie heute
galt der gleiche Anlass: der Frontalcrash des IC 62 mit einem Güterzug im
Tempital am 28. Februar 2023. 57 meist junge Menschen wurden getötet.
## Größte Kundgebungen seit dem Ende der Militärdiktatur
Am 28. Februar zwei Jahre danach fanden [3][in Griechenland und weltweit
die größten Kundgebungen] seit dem Ende der griechischen Militärdiktatur
1974 statt. Rund zwei Millionen Menschen forderten die Aufklärung des
Zugunglücks sowie die Verurteilung aller Verantwortlichen. Die Regierung
Mitsotakis wolle in der Sache von Beginn an vertuschen und verschleiern, so
ihr Vorwurf. Die Strafjustiz werde von ihr kontrolliert,
regierungsfreundliche Medien betrieben pure Propaganda.
Mitsotakis bestreitet die Vorwürfe. Am Mittwoch sah sich jedoch der
Vizeminister für Bürgerschutz, der enge Mitsotakis-Vertraute Christos
Triantopoulos, dazu gezwungen, zurückzutreten. Er muss sich vor einem
Vorermittlungsausschuss im Athener Parlament verantworten. Dabei wird es
auch um das mutmaßliche Verwischen der Spuren am Unfallort unmittelbar nach
dem Frontalcrash gehen: Waggons der beiden Züge wurden entfernt, das
Gelände wurde geräumt, die Erde ausgehoben und der Unfallort zubetoniert.
Durch ein Misstrauensvotum wurde eine Regierung in Athen noch nie gestürzt,
durch den Druck der Gesellschaft jedoch schon. Gefährlicher für den
Fortbestand der Regierung Mitsotakis ist daher der mittlerweile breite und
heftige Protest. Angesichts neuer Erkenntnisse im Fall des Crashs hat er an
Fahrt gewonnen. Zutage gebracht wurden diese von Experten, die von den
Angehörigen der Opfer beauftragt worden waren.
Sie haben hochexplosive Chemikalien am Unfallort gefunden, die offenbar
illegal im Güterzug transportiert worden waren. Der Verdacht: Schmuggel im
großen Stil, den die Regierung offenbar nicht bekämpfe. Dies könnte eine
Erklärung für den Tod jener Passagiere sein, die nicht direkt durch den
Frontalzusammenstoß starben, sondern danach durch Explosionen bei
Temperaturen von bis zu 1.400 Grad pulverisiert wurden.
## Sorgen um den Rechtsstaat
Entgegen der gebetsmühlenartig von Mitsotakis vorgebrachten Erzählung,
wonach es sich lediglich um ein „Unglück“ handele, bezeichnen laut der
MRB-Umfrage fulminante 72 Prozent der Befragten den Fall als ein
Verbrechen. 75 Prozent sind überzeugt von einer Vertuschung.
Die Griechen sorgen sich um ihren Rechtsstaat, der in ihren Augen noch nie
in einer so desolaten Verfassung war. Die Umfragewerte für Mitsotakis’ ND
befinden sich im freien Fall. Sie haben sich im Vergleich zu ihrem jüngsten
Wahlergebnis nahezu halbiert.
Während Mitsotakis sich am Mittwoch vor dem Parlament verteidigte und eine
Vertuschung bestritt, fanden vor dem Gebäude erneut Massenproteste statt.
Auf einem Transparent stand zu lesen: „Ihr habt 57 Oscars der Vertuschung
verdient“ – für jeden Menschen, der bei der Katastrophe ums Leben gekommen
ist, einen.
9 Mar 2025
## LINKS
DIR [1] /Massenproteste-in-Griechenland/!6063583
DIR [2] /Abspaltung-von-Syriza-in-Griechenland/!6052012
DIR [3] /Proteste-zwei-Jahre-nach-Zugunglueck/!6072917
## AUTOREN
DIR Ferry Batzoglou
## TAGS
DIR Griechenland
DIR Zugunglück
DIR Kyriakos Mitsotakis
DIR Syriza
DIR Misstrauensvotum
DIR Massenproteste
DIR Griechenland
DIR Griechenland
DIR Schwerpunkt Krise in Griechenland
DIR Griechenland
DIR Schwerpunkt Krise in Griechenland
DIR Asylpolitik
DIR Griechenland
DIR Kyriakos Mitsotakis
## ARTIKEL ZUM THEMA
DIR Korruptionsskandal: Die KI-Schafe von Kreta
Griechenlands konservative Regierung unter Premier Mitsotakis versinkt in
einem EU-Agrarsubventionsskandal. Regierungsmitglieder treten bereits
zurück.
DIR Griechenlands linke Hoffnungsträgerin: Zoi Konstantopoulou
Die linke Politikerin Zoi Konstantopoulou mischt die griechische Politik
auf. Sie gilt als eloquent und ist eine scharfe Kritikerin der
Mitsotakis-Regierung.
DIR Generalstreik in Griechenland: Griechen gehen wieder auf die Straße
Für viele Griechen reicht das Einkommen kaum zum Überleben. Mit einem
24-stündigen Generalstreik wollen sie auf die Verarmung aufmerksam machen.
DIR Polizistenmord in Griechenland: Multiklub-Besitzer muss vor Strafgericht
Der griechische Oligarch Vangelis Marinakis ist wegen Unterstützung einer
kriminellen Vereinigung angeklagt. Er sieht sich als politisches Opfer des
Premiers.
DIR Makis Voridis in Griechenland: Minister gegen Migration
Die konservative Regierung in Athen hat mit Makis Voridis einen
Rechtsextremen ernannt. Er bot bereits eine Kostprobe für seine neue
Marschrichtung.
DIR Neue Zahlen zu Asyl in der EU: Kaum noch Wege nach Europa
Die Zahl der Asyl-Erstanträge in der Europäischen Union geht 2024 um 11
Prozent zurück. Das liegt auch an Abschottung weit außerhalb der
EU-Grenzen.
DIR Proteste zwei Jahre nach Zugunglück: „So kann es in Griechenland nicht weitergehen“
Zwei Jahre nach dem Zugunglück bei Tempi fordern Tausende weltweit eine
Aufarbeitung des Falls. Sie werfen der Regierung Mitsotakis Vertuschung
vor.
DIR Massenproteste in Griechenland: Treten Sie zurück, Herr Mitsotakis!
Premier Kyriakos Mitsotakis soll Ursachen des schweren Zugunglücks im
Tempital von vor zwei Jahren vertuscht haben. Das zeigen Tonaufnahmen.