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       # taz.de -- Boxer Agit Kabayel: Ein zweiter Max Schmeling?
       
       > Agit Kabayel könnte Weltmeister im Schwergewichtsboxen und einer wie Max
       > Schmeling werden, heißt es. Warum das ein zweifelhafter Vergleich ist.
       
   IMG Bild: Souveräner WBC-Interimsweltmeister: Agit Kabayel (l.) siegt im Kampf gegen Zhang Zhilei
       
       Wörtlich müssen wir das wohl nicht nehmen, was die Welt da schreibt.
       „Dieser Bochumer will Erbe des großen [1][Max Schmeling] werden“, heißt im
       Springer-Blatt über [2][Agit Kabayel]. Schmelings Erbe ging nach dessen Tod
       2005 an die Max-Schmeling-Stiftung, und das, was die Welt meint, wird ja
       nicht testamentarisch geregelt: die Weltmeisterschaft im
       Schwergewichtsboxen.
       
       Die hatte Schmeling von 1930 bis 1932 inne. Und Agit Kabayel trägt seit 22.
       Februar 2025 den etwas verwirrend klingenden Titel
       „WBC-Interimsweltmeister“. Faktisch bedeutet dies, dass Kabayel, nachdem er
       souverän den chinesischen Boxer Zhilei Zhang k. o. schlug, realistische
       Chancen hat, demnächst [3][Oleksandr Usyk] herauszufordern. Der ist
       Schwergewichtsweltmeister der Verbände WBC, WBA, WBO und IBO. Kürzer
       gesagt: Allerspätestens nach [4][Usyks Siegen] über Tyson Fury weiß alle
       Welt, dass der Ukrainer derzeit die Nummer eins im Weltboxen ist, zumindest
       in der schwersten Gewichtsklasse.
       
       Usyk ist jetzt das, was Schmeling einmal war. Er ist einerseits der beste
       Boxer seiner Zeit, andererseits ist er nicht (was nicht so bekannt ist) der
       von allen Verbänden anerkannte Champ, denn den WM-Titel der IBF hat Usyk
       niederlegt. Und Schmeling? Der wurde zwar 1930 der vom damaligen
       Weltverband NBA bestätigte Titelträger, doch erst ab 1931 erkannte auch die
       mächtige New York State Athletic Commission (NYSAC) Schmelings
       Meisterschaft an. Aufgrund der besonderen Stellung New Yorks im Weltboxen
       agierte die NYSAC damals ebenfalls als eine Art Weltverband. Nur von 1931
       bis 32 war Max Schmeling also Weltmeister aller Verbände.
       
       Das ist kein offizieller Titel, und so ganz richtig ist es ohnehin nicht,
       denn „aller Verbände“ bedeutet nur: „aller wichtigen Verbände“. Im Falle
       von Usyk war es die durchaus renommierte IBF, die eine Pflichtverteidigung
       angeordnet hatte, doch Usyk wollte lieber in den sportlich und finanziell
       viel bedeutenderen Rückkampf gegen [5][Tyson Fury] gehen. Boxerisch war das
       sicher die richtige Entscheidung.
       
       ## Nicht anerkannter Titel
       
       Bei [6][Schmeling] war es damals so: Er war 1930 durch seinen Sieg über
       Jack Sharkey Weltmeister der NBA geworden. In der NBA waren die meisten
       amerikanischen Boxkommissionen vertreten und darüber hinaus noch etliche
       Verbände anderer Länder. Nicht in der NBA war jedoch die mächtige NYSAC,
       und die erkannte Schmelings Titel zunächst ebenso wenig an wie die IBU, die
       International Boxing Union, ein vor allem von Europäern dominierter
       Profiboxverband, der allerdings – zumindest Anfang der 1930er Jahre – kaum
       Einfluss hatte.
       
       Die IBU wurde erst ab Mitte der 30er Jahre von Nazideutschland in Stellung
       gebracht. Nicht zuletzt, um Schmeling wieder ins Spiel zu bringen, dessen
       Ruf durch zwei deftige Niederlagen gelitten hatte: 1933 war Schmeling von
       dem Amerikaner [7][Max Baer], der mit einem Davidstern auf den Hosen in den
       Ring trat, vermöbelt worden; 1938 vom Afroamerikaner [8][Joe Louis], den
       die Nazis nach Schmelings Sieg 1936 über ihn glaubten, rassistisch als
       „Lehmgesicht aus Alabama“ verhöhnen zu können.
       
       Zurück zu Schmelings WM-Titel 1930. Der wurde nicht nur nicht von allen
       Verbänden anerkannt, auch boxerisch gab es Zweifel. Denn [9][Schmeling] war
       der erste Boxer, der nur deswegen Weltmeister wurde, weil sein Gegner
       disqualifiziert wurde. Dabei hatte Jack Sharkey bis zu seinem umstrittenen
       Tiefschlag den Kampf dominiert. In Berlin kursierte damals das Bonmot: „Ick
       hau dir unter die Jürtellinie, dette Weltmeister wirst.“
       
       [10][Carl von Ossietzky], der Herausgeber der Weltbühne und spätere
       Friedensnobelpreisträger, fand die Konstellation vor dem Hintergrund der
       anwachsenden Nazibewegung auch politisch interessant: „Dieser Sieg, weil
       der Feind regelwidrig geschlagen hat und dem Zusammengehauenen der Titel
       zuerkannt wird, das ist der deutsche Wunschtraum seit Jahren.“
       
       Vielleicht sollten wir doch etwas genauer hinschauen, wenn in den Berichten
       über Agit Kabayel von „Schmelings Erbe“ oder „Schmelings Fußstapfen“ die
       Rede ist.
       
       11 Mar 2025
       
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