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       # taz.de -- Schwarz-rotes Asyl: Was heißt „in Abstimmung mit“?
       
       > Union und SPD legen die Einigung zur Zurückweisung von Asylsuchenden
       > unterschiedlich aus. Es geht um die Rücksicht auf Nachbarstaaten wie
       > Österreich.
       
   IMG Bild: Die Bundespolizei kontrolliert den Grenzübergang zwischen Niedersachsen und den Niederlanden in Bad Bentheim
       
       Freiburg taz | Wird die anvisierte schwarz-rote Bundesregierung
       Asylsuchende auch dann an der Grenze zurückweisen, wenn der dortige
       EU-Nachbarstaat nicht einverstanden ist? Darüber sind sich Union und SPD
       uneins – nur zwei Tage [1][nach ihrer „Einigung“ in den
       Sondierungsgesprächen].
       
       Dass auch Asylsuchende an der Grenze zurückgewiesen werden, das war ein
       zentrales Wahlkampfversprechen der Union und ihres Kanzlerkandidaten
       Friedrich Merz. Es war auch ein zentraler Bestandteil des Fünfpunkteplans,
       den CDU/CSU, FDP und AfD Ende Januar gemeinsam als [2][Resolution im
       Bundestag] beschlossen hatten. Nach dem [3][Messerangriff von
       Aschaffenburg] sagte Merz, er werde keine Regierung bilden, wenn es nicht
       zu Zurückweisungen an der Grenze komme. Hier sei keinerlei Raum für
       Kompromisse mehr, er gehe „all-in“.
       
       Im [4][Sondierungspapier] sind die Zurückweisungen nun auch enthalten: „Wir
       werden in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn Zurückweisungen an
       den gemeinsamen Grenzen auch bei Asylgesuchen vornehmen. Wir wollen alle
       rechtsstaatlichen Maßnahmen ergreifen, um die irreguläre Migration zu
       reduzieren.“ Auf den ersten Blick hat sich Merz durchgesetzt. Doch es gibt
       noch Interpretationsspielraum.
       
       Was heißt denn „in Abstimmung mit“ den Nachbarstaaten? In der
       Öffentlichkeit wurde dies zunächst so verstanden, dass hier ein Konsens mit
       dem jeweiligen Nachbarstaat erforderlich ist. Auf großes Interesse stieß
       daher, dass das österreichische Innenministerium schon kurze Zeit später
       die dortige Polizei anwies, „unionsrechtswidrige Einreiseverweigerungen
       seitens der deutschen Behörden nicht zu akzeptieren“. Allerdings gab
       Österreichs Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) ein ganz anderes Signal
       und sagte der Bild, es sei „erfreulich, dass sich auch Deutschland dazu
       bekennt, konsequent gegen illegale Migration vorzugehen“.
       
       ## Heißt „in Abstimmung“ auch „im Konsens“?
       
       Wie auch immer die österreichische Position am Ende aussieht: Ein Vetorecht
       hat die kommende Koalition den Nachbarländern nicht eingeräumt.
       CDU-Unterhändler Jens Spahn interpretierte die Formulierung „in Abstimmung“
       im Gespräch mit Table-Briefings so: „Man spricht miteinander, aber man
       macht sich nicht abhängig von der Zustimmung des anderen.“
       
       Tatsächlich findet sich die Formel „in Abstimmung“ auch im Grundgesetz, in
       [5][Artikel 23 Absatz 6] zur deutschen Europapolitik. Dort wird die
       Formulierung so interpretiert, dass kein Konsens erforderlich ist, aber
       auch mehr als ein bloßes Miteinander-Reden.
       
       SPD-Chefin Saskia Esken wies Spahns Interpretation dennoch zurück. „Wir
       haben was anderes vereinbart, und dabei bleiben wir auch“, sagte sie im
       Deutschlandfunk. Angesichts der Weltlage müsse Europa geeinigt auftreten,
       deshalb solle man „nicht auf anderen Feldern versuchen, mit dem Kopf durch
       die Wand zu gehen“.
       
       Auch eine zweite Formulierung im Sondierungspapier dürfte noch relevant
       werden. Dort heißt es, es sollen „rechtsstaatliche“ Maßnahmen ergriffen
       werden. Bekanntlich hält die juristische Fachwelt die generelle
       Zurückweisung aller Asylsuchenden an der Grenze für einen Verstoß gegen
       EU-Recht. Merz will sich daher auf einen Notstand berufen, um das EU-Recht
       nicht anwenden zu müssen.
       
       Es ist allerdings fraglich, ob der Europäische Gerichtshof (EuGH) das
       akzeptiert. Und es ist auch wahrscheinlich, dass einzelne Asylsuchende ihre
       Einreise mit Hilfe deutscher Verwaltungsgerichte erzwingen werden.
       Spätestens dann muss sich die kommende Koalition entscheiden, ob sie den
       Begriff „rechtsstaatlich“ ernst meint oder ihn nur als leere Floskel
       verwendet.
       
       10 Mar 2025
       
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