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       # taz.de -- Reporter ohne Grenzen über Presseschutz: „Viele Journalisten wünschen sich mehr Solidarisierung“
       
       > Angriffe auf Journalist:innen nehmen auch in Deutschland zu. Wie
       > können sie besser geschützt werden? Ein Gespräch mit Reporter ohne
       > Grenzen.
       
   IMG Bild: Graffiti für Pressefreiheit
       
       taz: Frau Weiß und Herr Resch, laut der Deutschen Journalistinnen- und
       Journalisten-Union (dju) gab es 2024 mindestens 100 [1][Angriffe auf
       Journalist:innen] bei Demonstrationen. Mindestens 50 davon bei
       propalästinensischen [2][und israelfeindlichen Aufzügen] in Berlin. Gibt
       es in diesem Kontext mehr Angriffe als in anderen?
       
       Katharina Victoria Weiß: Die dju nutzt eine leicht andere Technik bei der
       Zählung als wir bei [3][Reporter ohne Grenzen]. Aber auch wir beobachten,
       dass für 2024 Übergriffe rund um Nahost-Demonstrationen die aktuell größte
       Gruppe darstellen und damit zum ersten Mal seit langer Zeit Übergriffe rund
       um Rechts-außen-Demonstrationen und Versammlungen abgelöst haben. Es ist
       allerdings wichtig, zu erwähnen, dass sich die meisten der Fälle, von denen
       wir bei Reporter ohne Grenzen erfahren haben, auf die Metropolregion Berlin
       konzentrieren. Hier sind viele Medienschaffende sehr gut mit
       Pressefreiheitsorganisationen wie Reporter ohne Grenzen oder der DJU
       vernetzt. Das heißt, es gibt ein riesengroßes Dunkelfeld.
       
       taz: Wie hoch ist die Gefahr, dass Journalist:innen sich wegen dieser
       Angriffe von bestimmten Themen fernhalten? 
       
       Weiß: Gerade 2024 haben wir von Journalist:innen verschiedener Medien
       Alarmsignale gesendet bekommen. Zum einen ist es die Angst vieler
       professioneller Medienschaffenden, von Demonstrationen zu berichten. Es
       gibt auch eine kleine Personengruppe von Journalisten sehr spezifischer,
       teilweise auch umstrittener Medien, die immer wieder angegriffen werden,
       speziell körperlich auf diesen Demonstrationen. Zusätzlich berichten
       manche, dass sie innerhalb von Redaktionen fürchten müssen, einer Form von
       Repressalien ausgesetzt zu sein, die sie bis in die Selbstzensur treibt.
       Häufig geht es aber auch einfach um sehr aufreibende und ungewöhnlich
       aufwendige Aushandlungen innerhalb von Redaktionen.
       
       taz: Wie können sich Journalist:innen denn besser selbst schützen? 
       
       Weiß: Grundsätzlich ist es so, dass Journalist:innen weltweit einem
       gewissen Berufsrisiko ausgesetzt sind, gerade wenn sie sich mit politischen
       oder wirtschaftlichen Themen befassen. Die Verantwortung auf die einzelnen
       Journalist:innen umzumünzen, halten wir nicht immer für wahnsinnig
       sinnvoll. Es gibt mehrere Anbieter von Sicherheitstrainings, oder
       Begleitschutzorganisationen. In Sachsen zum Beispiel „Between the Lines“,
       die gerade auch freien Journalist:innen bei politischen Versammlungen
       Geleitschutz geben, was oft deeskalierend wirkt. Wir appellieren allerdings
       speziell an die Medienhäuser, ihre festen, gerade aber auch ihre freien
       Medienschaffenden besser zu schützen. Wir appellieren daran, dass alle
       deutschen Medienhäuser unserem Schutzkodex beitreten und sich damit zu
       einer Reihe von Versprechen verpflichten, die ihre Mitarbeitenden in
       Anspruch nehmen können, wenn sie besonderen Bedrohungslagen ausgesetzt
       sind. Von Schutz auf Demonstrationen bis hin zu Unterstützung beim
       Wohnungswechsel, falls die Gefährdungslage so groß sein sollte.
       
       taz: Wie können Journalist:innen ihren Kolleg:innen beistehen, wenn
       sie bedroht werden? 
       
       Weiß: Viele Journalist:innen wünschen sich, wenn es um Reibereien
       innerhalb von Redaktionen geht, dass es eine höhere Solidarisierung
       untereinander gibt. Das bedeutet, wenn zum Beispiel ein großes
       Boulevardblatt eine Kampagne gegen einen Reporter oder eine Reporterin
       fährt, dass sich andere Medienschaffende, die grundsätzlich die Recherchen
       für ethisch und nachvollziehbar halten, hinter diese Kolleg:innen
       stellen. Viele Reporter:innen wünschen sich eine bessere Vernetzung und
       Solidarisierung vor Ort, um körperliche Angriffe abzuwehren. Aber nicht
       immer steht ein:e andere:r Journalist:in daneben, wenn der Kollege
       angegriffen wird. Je vereinzelter Reporter:innen berichten, desto
       stärker werden sie gefährdet.
       
       taz: Was kann die Politik tun, damit Journalist:innen in Deutschland
       besser geschützt werden? 
       
       Christopher Resch: Die zukünftige Regierung sollte sich stark für einen
       besseren Schutz von Journalist:innen in Deutschland positionieren. Das
       fängt bei weichen Faktoren wie dem gesellschaftlichen Klima an. Der
       Lügenpressevorwurf darf sich nicht noch weiter verbreiten. Wir schlagen
       vor, dass auch die Polizei dazu verpflichtet wird, Schulungen zu machen.
       Wir beobachten eine gute Entwicklung.
       
       taz: Wie sieht die Zukunft der deutschen Pressefreiheit angesichts der
       gehäuften Angriffe aus? 
       
       Weiß: Wir prophezeien eigentlich nicht, sondern beobachten, was aktuell
       geschieht. Allerdings warnen wir vor Tendenzen sowohl in als auch außerhalb
       Deutschlands. Wir sehen zum Beispiel, dass die USA in eine deutlich
       pressefeindliche Richtung geht. Eine solche pressefeindliche Rhetorik führt
       häufig auch zu verstärkten physischen Angriffen, auch digitalen, und
       schwerer Diffamierungskampagnen gegen Journalist:innen. Es ist jetzt an der
       Zeit, auf Grundrechte zu pochen und auf die Pressefreiheit. Angriffe auf
       die Pressefreiheit sind kein Problem von wenigen, sondern Angriffe auf
       unser aller Recht auf Information.
       
       12 Mar 2025
       
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   DIR Julia Schöpfer
       
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