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       # taz.de -- Unter der neuen Regierung in Damaskus: Syriens Drusen in der Zwickmühle
       
       > Laut Social Media sollen die Drusen ein Abkommen mit der neuen Regierung
       > geschlossen haben. Doch stimmt das? Es gibt Zweifel.
       
   IMG Bild: Der drusische Anführer, Scheich Hikmat al-Hajari, ist auf einem Plakat in Sweida, Syrien, zu sehen
       
       Berlin taz | Eine handgeschriebene Heftseite in arabischer Schrift machte
       am Mittwoch in den sozialen Netzwerken die Runde. Dabei handele es sich
       angeblich um das zwischen einem drusischen Anführer in Südsyrien, Scheich
       Hikmat al-Hajari, und der neuen syrischen Regierung gerade unterschriebenes
       Abkommen. Laut Medienberichten soll der Deal die drusischen Milizen in die
       staatliche syrischen Armee aufgehen lassen. Auch sollen ausgebliebene
       Gehälter sofort bezahlt und zu Unrecht gekündigte Beamt*innen Stellen
       zurückbekommen. Internationale Medien hatten bereits einen Tag zuvor über
       den angeblichen Deal berichtet. Doch die Realität ist offenbar
       komplizierter.
       
       „Es gibt zufriedenstellende Absprachen, aber ich kenne die Details nicht“,
       sagt Muhsina al-Mahithawi. [1][Die taz hatte bereits zuvor über
       al-Mahithawi berichtet]. Sie ist Drusin und war für das Amt der
       Gouverneurin in Suweyda vorgeschlagen worden, sollte ernannt werden – und
       dann doch nicht. Nun wurde sie zur Chefin des provinziellen Rats von
       Suweyda und zur Vizegouverneurin neu ernannt. Als Gouverneur fungiert ein
       von der Regierung entsandter Funktionär, Mustafa al-Bakour, wie die taz
       berichtete.
       
       Offenbar sind nicht alle Drus*innen von dem Abkommen überzeugt, auch die
       Regierung hat offiziell noch nichts verkündet. Das Nachrichtenportal
       Suweyda24 dementierte ebenfalls ein Abkommen und bezog sich auf eine
       anonyme Quelle aus dem Umfeld der drusischen Anführer.
       
       In Suweyda, einer Stadt im Süden Syriens, in der die meisten
       Einwohner*innen der drusischen Religion angehören, ist die Lage seit
       der Machtübernahme einer sunnitischen Rebellenkoalition Anfang Dezember
       2024 kompliziert: Viele Drusinnen und Drusen demonstrierten schon seit 2023
       regelmäßig gegen das Regime des ehemaligen Präsidenten Baschar al-Assad,
       hegen aber auch Misstrauen gegenüber den neuen Machthabern. Umso mehr
       jetzt, nach der jüngsten T[2][ötung von Hunderten alawitischen
       Zivilisten bei Zusammenstößen zwischen Assad-Loyalisten, den neuen
       Streitkräften und Milizen].
       
       ## Syrien bekommt eine Übergangsverfassung – für fünf Jahre
       
       Jüngst unterschrieb Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa [3][ein Abkommen
       mit den kurdischen SDF-Streitkräften im Nordosten]. Demnach sollen die
       kurdischen Einheiten in der syrischen Armee aufgehen und zivile
       Einrichtungen in die syrische Verwaltung integriert werden. Auch sollen die
       Kurden Unterstützer des früheren Regimes bekämpfen und im Gegenzug die
       Anerkennung ihrer Sprache und Kultur sowie syrische Staatsangehörigkeit
       erhalten.
       
       Am Donnerstag unterzeichnete al-Scharaa außerdem eine temporäre Verfassung,
       die fünf Jahre lang gelten soll. Über den Inhalt sind bisher nur einige
       Punkte bekannt: Demnach solle „islamisches Recht die Hauptquelle“ von
       Gesetzen sein. In der vorangegangenen Verfassung wurde islamisches Recht
       als „eine Hauptquelle“ genannt. Die Verfassung soll außerdem nach Angaben
       der Regierung das Recht von Frauen „auf Bildung und Teilhabe an der Arbeit“
       verankern, ihnen politische Rechte garantieren und „Freiheit von Meinung,
       Ausdruck, Medien, Veröffentlichung und der Presse“ schützen. Fünf Jahre
       lang soll die Übergangsverfassung gelten, al-Scharaa ebenso lange im Amt
       bleiben.
       
       Al-Scharaa hatte immer wieder versprochen Minderheiten zu schützen.
       Inwiefern das in der neuen Verfassung verankert ist, muss sich noch zeigen.
       Könnte dennoch das Abkommen mit den Kurden ein Vorbild für die Drusen sein?
       „Wir lehnen es zu diesem Zeitpunkt absolut ab, Waffen abzugeben – die
       Regierung ist salafistisch“, sagt Aktivist Basil Fayez Janbieh. Sollte die
       Regierung freien Wahlen, Gerechtigkeit und einer politischen Vertretung
       aller Elemente des syrischen Volkes zustimmen, wäre man bereit.
       
       ## Ausländische Einflüsse durch Türkei und Israel
       
       Und dann kommen noch die ausländischen Einflüsse hinzu: Jüngst gab es
       Auseinandersetzungen zwischen Drusen und syrischen Streitkräften in
       Jaramana, einem Bezirk der Kapitale Damaskus. Israels Regierungschef
       Benjamin Netanjahu sagte den Drusen seine Unterstützung unmittelbar zu und
       drohte der neuen syrischen Regierung. [4][Seit dem Sturz Assads hat Israel
       syrische Dörfer auf den Golanhöhen und den Grenzgebieten Syriens besetzt]
       sowie ehemalige Militärposten bombardiert.
       
       Verteidigungsminister Israel Katz will syrischen Drusinnen und Drusen
       erlauben, auf den israelisch besetzten Golanhöhen zu arbeiten. Offenbar
       gibt es Spannungen zwischen Drusen, die Syriens neue Regierung unterstützen
       und denen, die Autonomie verlangen. Das bestätigt eine lokale Quelle mit
       Insiderwissen, die anonym bleiben möchte. Er erklärt: Ein Abkommen sei von
       Scheich al-Hajari unterschrieben, dann aber wieder zurückgenommen worden.
       Al-Hajari war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Eine Anfrage der
       taz an die israelische Regierung blieb unbeantwortet.
       
       Ein junger Druse sagt: Man werde gerade in eine Ecke gedrängt, „dass wir
       zwischen zwei Besatzungen wählen müssen: die türkische [Syriens neue
       Regierung, Anm. d. Red.] oder die israelische. Niemand aber möchte eine
       Besatzung.“
       
       Die Drusen in Syrien hätten das Recht, Hilfe [5][bei ihren Verwandten in
       Israel] zu suchen, findet ein Bewohner Suweydas, der anonym bleiben möchte.
       Aktivist Basil Fayez Janbieh drückt es diplomatisch aus: „Meiner Meinung
       nach sollten die Beziehungen zu Israel im Einklang mit internationalem
       Recht und Abkommen erfolgen“. Es gebe viele, sagt er, die Israel als
       demokratischen Staat und Beschützer von religiösen Minderheiten
       unterstützten.
       
       13 Mar 2025
       
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