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       # taz.de -- Bewegungstermine in Berlin: Menschen können immer noch nicht illegal sein
       
       > Geflüchtete kamen im Wahlkampf nur als Objekt vor: Alle redeten über sie,
       > niemand mit ihnen. Höchste Zeit für ein Revival der O-Platz-Besetzung.
       
   IMG Bild: Proteste gegen die Asylpolitik am Oranienplatz im Jahr 2014
       
       Nun ist es offiziell: Deutschland ist nach rechts gerückt. Die
       Dauerbeschallung mit dem Migration-ist-die-Mutter-aller-Probleme-Diskurs
       war ein großer Erfolg. Die AfD hat sich verdoppelt, auch die CDU/CSU hat
       dazugewonnen. Die Parteien, die immer noch behaupten, links der Mitte zu
       stehen, haben 12 Prozentpunkte verloren. Ein Wermutstropfen ist da nur,
       dass FDP und BSW rausfliegen und die einzige linke Partei im Deutschen
       Bundestag um vier Prozentpunkte zulegen konnte.
       
       Es gibt an diesem Ergebnis auf Bundesebene nichts, aber auch gar nichts
       schönzureden. Die AfD wird künftig mit in der deutschen Regierung sitzen –
       ob nun innerhalb oder außerhalb der Koalition. Wann immer sich in der SPD
       Gewissensbisse regen (was erfahrungsgemäß selten passiert und noch seltener
       Konsequenzen hat): Die AfD wird bereitstehen, noch die ärgsten
       Widerlichkeiten mit der CDU durchs Parlament zu bringen.
       
       Illegalisierte und geflüchtete Menschen sind am unmittelbarsten von diesem
       Rechtsruck betroffen. Im Wahlkampfdiskurs wurden sie zum Objekt erklärt,
       über deren Leben und Schicksal die Gesellschaft legitimerweise entscheiden
       könne. Die Betroffenen dieses Diskurses kamen dabei natürlich nach Kenntnis
       des Redakteurs nicht ein einziges Mal selbst zu Wort.
       
       ## Ein pseudodemokratischer Hohn
       
       Mit Demokratie hat das alles nichts zu tun. Denn Demokratie, das hat schon
       immer mehr bedeutet, als geheime Wahlen. Demokratie ist das Versprechen
       einer freien, gleichen und menschlichen Gesellschaft. Dementsprechend kann
       es auch nie demokratisch sein, darüber abzustimmen, ob bestimmte
       Menschengruppen entrechtet, inhaftiert und abgeschoben werden sollten. Egal
       wie eindeutig so eine Abstimmung ausgeht: Sie ist ein Angriff auf Liberté,
       Égalité und Fraternité, nicht Ausdruck dieser Werte.
       
       Und trotzdem besitzt die CDU die bodenlose Dreistigkeit, nun ausgerechnet
       [1][die demokratische Zivilgesellschaft mit dem Argument anzugreifen], die
       Demos gegen rechts seien irgendwie undemokratisch gewesen. Um noch einmal
       daran zu erinnern: Friedrich Merz hat im Deutschen Bundestag zusammen mit
       den Faschisten der AfD [2][einen Entschließungsantrag] durchgebracht, der
       unter anderem Massenlager für Menschen ohne gültige Papiere fordert.
       Konkret spricht das Papier von der Inhaftierung aller
       „vollziehbarausreisepflichtiger“ Personen – Stand Dezember 2024 [3][galten
       laut dem Mediendienst Integration etwa 40.000 Menschen] als „unmittelbar
       ausreisepflichtig“. Der Antrag selbst spricht von zu Knästen
       umfunktionierten alten Kasernen.
       
       Man möchte ausrasten, wenn man angesichts solcher glasklaren Angriffe auf
       die Menschenwürde das Rumgeopfere der CDU hört, weil Menschen mit
       Lichterketten auf die Straße gehen oder auch das ein oder andere Parteibüro
       besetzen. Ganz nach dem Motto: „Man darf doch gefälligst noch ungestört und
       ungefährdet darüber reden, wie bestimmte Menschengruppen entrechtet und
       abgeschoben werden können!“. Der radikalisierte Konservativismus ist bei
       der Wolfs-im-Schafspelz-Strategie angekommen, völlig offen gegen
       Menschengruppen vorzugehen, und „Foul!“ zu schreien, wenn sich jemand
       wehrt. Vielleicht ist Höcke ein bisschen stolz.
       
       ## Revival der O-Platz-Besetzung
       
       Doch diese Strategie funktioniert nur über „Othering“, nur indem die
       Menschen, über die geredet wird, fiktiv und fremd bleiben. Der
       unauflösliche Widerspruch besteht darin, dass die Menschen, um die es geht,
       faktisch oft bereits seit Jahren in Deutschland leben, sich hier verlieben,
       zur Arbeit, Schule oder Uni gehen. Doch würde anerkannt, dass sie faktisch
       längst Teil dieser Gesellschaft sind, würde der scheindemokratische Betrug
       auffliegen. Man stelle sich nur ein TV-Duell vor, in dem Friedrich Merz mit
       einem „vollziehbar Ausreisepflichtigen“ über den Wert von dessen Leben
       debattiert. Es wäre keine sehr demokratische Optik.
       
       Welchen besseren Moment könnte es deshalb dafür geben, dass geflüchtete
       Aktivist:innen das legendäre Protestcamp am Oranienplatz wiederbeleben
       wollen, in dem von Oktober 2012 bis zur Räumung anderthalb Jahre später
       gegen die schon damals menschenverachtende Flüchtlingspolitik protestiert
       wurde? Endlich mit eigener Stimme zu sprechen, ist eines der Ziele der
       [4][einmonatigen Protestaktion], die am Samstag beginnt. Vom 1. bis zum 31.
       März werden erneut Zelte am Oranienplatz aufgebaut. Solidarisches
       Mitübernachten ist erwünscht (Ab Samstag, 1. März, Oranienplatz, 9 Uhr).
       
       ## Mitmachparade für einen freien Görli
       
       Ein Ort, wo besonders gut die rechte Sündenbock-Politik beobachtet werden
       kann, ist der Diskurs über den Görlitzer Park. Immer wieder werden hier
       alle sozialen Probleme, die der Kapitalismus so mit sich bringt, auf
       diejenigen projiziert, die hier Drogen dealen, weil ihnen eine reguläre
       Beschäftigung verboten wird. Als Lösung der Probleme wird nicht die soziale
       Arbeit, geschweige denn die Entkriminalisierung von Migration, ins Feld
       geführt – sondern die Polizei, die gefälligst alles überwachen und
       kontrollieren soll.
       
       Mauern und Flutlichter sollen also die Lösung sein! Dafür lässt der Senat
       auch mal das ein oder andere Milliönchen springen, sparen lässt sich ja
       noch an verzichtbaren Dingen, wie Frauenhausplätze oder an der
       Jugendsozialarbeit. Gegen diesen Wahnsinn richtet sich die große
       [5][Görli-zaunfrei Mitmachparade] von Initiativen aus dem Kiez (Samstag, 1.
       März, Falkensteinstr. 7, 14 Uhr).
       
       Über den speziellen antikurdischen Rassismus will derweil ein [6][Soliabend
       für Rojava] in der Neuköllner Kiezkneipe Syndikat aufklären. Liza Koç vom
       Zentralen Menschenrechtsrat der Kurd:innen in Deutschland wird über die
       Hintergründe, Gefahren und Folgen für die Betroffenen von antikurdischen
       Rassismus sprechen – und Lösungsansätze aufzeigen. Es wird auch
       traditionelle kurdische Volksmusik und Küfa geben (Samstag, 1. März, Emser
       Straße 131, 18 Uhr).
       
       ## Offenes Antifa-Treffen
       
       Bereits am Donnerstag eröffnet [7][die Ausstellung „Hello Italy“] des
       Fotojournalisten Arez Ghaderi, geboren 1987 in Sanandaj, einer kurdischen
       Provinz im Iran. Ghaderi kam selbst als Geflüchteter nach Deutschland und
       hat im Dezember 2022 als Teil einer Seenotrettungsmission der Organisation
       SOS Humanity Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Europa fotografiert. Seine
       Bilder erzählen die Geschichten dieser Menschen (Donnerstag, 27. Februar,
       Franz-Mehring-Platz 1, 19 Uhr).
       
       Der Rechtsruck ist inzwischen auch in Kreuzberg angekommen. Einige
       Nachbar:innen machen sich Sorgen um ihren Bezirk, der sich schließlich
       immer dadurch ausgezeichnet hat, dass verschiedene Lebensmodelle
       nebeneinander existieren können. Damit das so bleibt, und sich der
       gemeinsame Widerstand gegen die zunehmenden rassistischen Übergriffe
       formiert, rufen die Nachbar:innen zu einer [8][Versammlung im
       Regenbogenkino] (Sonntag, 2. März, Lausitzer Straße 22, 16 Uhr).
       
       Am Freitag beginnt schließlich ein Internationalistisches Forum zu
       Reparationen, zu dem das pan-afrikanische und internationalistische
       Netzwerk PARISC einlädt. 140 Jahre nach der sogenannten „Berliner
       Konferenz“ 1885 – wo die Grundlage für die Aufteilung Afrikas in Kolonien
       gelegt wurde – wollen die Aktivist:innen über die Verbrechen des
       Kolonialismus sprechen – und sich über gemeinsame Strategien für
       Reperationen austauschen. Alle Infos gibt es auf der [9][Webseite der
       Konferenz] (Freitag, 28. Februar, bis Sonntag, 2. März, Spore Initiative,
       Hermannstr. 86).
       
       26 Feb 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /551-Fragen-im-Bundestag/!6072207
   DIR [2] https://dserver.bundestag.de/btd/20/146/2014698.pdf
   DIR [3] https://mediendienst-integration.de/migration/flucht-asyl/abschiebungen.html
   DIR [4] https://stressfaktor.squat.net/node/311220
   DIR [5] https://stressfaktor.squat.net/node/310325
   DIR [6] https://stressfaktor.squat.net/node/311019
   DIR [7] https://stressfaktor.squat.net/node/309771
   DIR [8] https://stressfaktor.squat.net/node/311313
   DIR [9] https://berlin-repairs.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Timm Kühn
       
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       Nach traurigem Ende ist die Bewegung bis heute ungebrochen.