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       # taz.de -- Angriff der Union auf Zivilgesellschaft: „Das schüchtert ein“
       
       > Nach Bekanntwerden einer Kleinen Anfrage der CDU/CSU mit 551 Fragen zu
       > NGOs kommt Kritik von den anderen Parteien. Und aus den eigenen Reihen.
       
   IMG Bild: Protest gegen die Asyl-Abstimmung der CDU mit der AfD am 2. Februar in Berlin. Die aufrufenden Organisationen werden nun von der CDU/CSU unter Druck gesetzt
       
       Berlin taz | Kleine Anfragen gehören im Bundestag zum politischen
       Alltagsgeschäft. Für die Opposition sind sie beliebtes Mittel,
       Informationen von der jeweiligen Bundesregierung zu bekommen, die diese
       nicht unbedingt an die große Glocke hängen will. Lässt man die Anfragen der
       AfD außen vor, sorgen selten die Fragen, höchstens die Antworten für
       Aufregung. Bei der Drucksache 20/15035, unterzeichnet von
       Unions-Fraktionschef und Kanzler in spe Friedrich Merz und
       CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, ist das anders. Seit die 551
       Fragen der Kleinen Anfrage öffentlich geworden sind, ist die Empörung groß.
       Das Agieren der Union könnte auch zu einer Belastung in den
       Sondierungsgesprächen werden, die die Union in der kommenden Woche mit der
       SPD beginnen will.
       
       Die Anfrage der Union sei ein „Foulspiel“, kritisierte SPD-Chef Lars
       Klingbeil am Mittwoch, der jetzt auch Fraktionsvorsitzender ist, und eine
       zentrale Rolle bei den Verhandlungen einnehmen wird. Man könne nicht
       vormittags über eine Koalition verhandeln und nachmittags stelle die Union
       „Organisationen, die unsere Demokratie schützen, an den Pranger“. Auch von
       Grünen und Linken kam Kritik, sogar aus der CDU selbst.
       
       Unter dem Titel „Politische Neutraliät staatlich geförderter
       Organisationen“ listet die Unionsfraktion 32 Seiten lang Fragen vor allen
       zu jenen Organisationen auf, die zuletzt nach ihrer gemeinsamen Abstimmung
       mit der AfD im Bundestag mobil gemacht hatten – und stellen deren
       öffentliche Förderung in Frage.
       
       Explizit fragt sie nach Förderungen für die Omas gegen rechts, Correctiv,
       Campact, attac, der Amadeu Antonio Stiftung, Peta, Animal Rights Watch,
       Foodwatch, Dezernat Zukunft, die Deutsche Umwelthilfe, die Agora Agra GmbH,
       Greenpeace, BUND, Netzwerk Recherche, Neue Deutsche Medienmacher und Delta.
       
       ## Nach AfD Vorbild?
       
       „Staatlich finanzierte Organisationen müssen ihre politische Neutralität
       wahren“, heißt es in der Anfrage. Eine „direkte oder indirekte
       Wahlkampfunterstützung“ für oder gegen eine Partei sei „nicht vereinbar“.
       Genau dies moniert die Union in eigener Sache: „Hintergrund sind Proteste
       gegen die CDU Deutschlands, die teils von gemeinnützigen Vereinen oder
       staatlich finanzierten Organisationen organisiert oder unterstützt wurden.“
       Dies werfe die Frage auf, „inwiefern sich gemeinnützige Vereine, die
       zusätzlich noch mit Steuergeldern gefördert werden, parteipolitisch
       betätigen dürfen, ohne ihren Gemeinnützigkeitsstatus zu gefährden.“
       
       Das erinnert an die Praxis der AfD, die bereits seit Jahren gemeinnützige
       Vereine attackiert, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren – [1][teils
       mit Anzeigen beim Finanzamt]. In der Unionsanfrage wird nun über „eine
       Schattenstruktur“ geraunt, „die mit staatlichen Geldern indirekt Politik
       betreibt“ – mit Verweis auf einen Welt-Artikel, der über einen „deutschen
       Deep State“ fabulierte.
       
       Mehrere der in der Kleinen Anfrage erwähnten Organisationen riefen zuletzt
       mit zu [2][Demonstrationen gegen Rechtsextremismus] auf, nach dem
       CDU-Tabubruch im Bundestag. Hunderttausende Menschen protestierten
       daraufhin bundesweit. Einige Gruppen, wie die Omas gegen rechts, erhalten
       indes gar keine staatliche Förderung. Einzig ein Ortsableger bekam 2023 mal
       5.000 aus einem Aktionsfonds für ein Projekt gegen Rassismus. Andere
       Gruppen oder Medien scheinen der Union anderweitig ein Dorn im Auge zu
       sein. So fragt die Union im Fall der Rechercheplattform Correctiv explizit
       nach einer Einschätzung eines Artikels des Mediums zu rechten „Hardlinern“,
       die die CDU „nach rechts ziehen“.
       
       ## ,, Die CDU will einen Maulkorb verpassen“
       
       Die taz hat bei der Unionsfraktion angefragt, wie die Auswahl der
       Organisationen zu Stande kam. Warum nicht etwa nach dem Bauernverband oder
       dem Bund der Steuerzahler gefragt wird. Und auch nicht nach Kontakten zur
       Adenauer-, Seidel- oder Naumann-Stiftung. Bis zum Redaktionsschluss lag
       keine Antwort vor.
       
       Neben Klingbeil äußerten auch andere Sozialdemokrat*innen deutliche
       Kritik. Die Union bedrohe zivilgesellschaftliche Organisationen „und will
       ganz gezielt denen einen Maulkorb verpassen, die gegen den Tabubruch
       gemeinsamer Abstimmungen der Union mit der rechtsextremen AfD protestiert
       und auf die Gefahren eines solchen Vorgehens für unsere Demokratie
       hingewiesen haben“, sagte SPD-Co-Chefin Saskia Esken der taz. Mit ihrer
       Anfrage versuche die Union, „den breiten gesellschaftlichen Protest gegen
       ihr Vorgehen im Bundestag zu relativieren und zu spalten. Dieses Vorgehen
       ist einer großen demokratischen Volkspartei unwürdig.“
       
       Juso-Chef Philipp Türmer fragte: „Empfindet die Union das wirklich als den
       richtigen Fokus in einer Zeit, in der wir uns eigentlich gemeinsam für den
       Erhalt unserer Demokratie zusammen einsetzen sollten?“ Er ergänzte: „Das
       wäre ziemlich wild.“ Die Omas gegen Rechts hätten in den vergangenen
       Monaten mehr für die Demokratie getan als die Union.
       
       ## Kritik kam auch aus der CDU
       
       Clara Bünger, Abgeordnete der Linken, sagte: „Mit einer parlamentarischen
       Anfrage rächt sich die Union für die antifaschistischen Proteste der
       letzten Wochen.“ Das erinnere an autoritäre Staaten.
       
       Kritik kam auch aus der CDU selbst. „Das darf man so nicht machen, weil es
       einschüchtert“, sagte Ruprecht Polenz, ehemaliger Generalsekretär der
       Partei, der taz. „Natürlich sehe ich bei der einen oder anderen
       Organisation auch einiges kritisch. Aber wir brauchen sie.“ Er selbst
       unterstütze Correctiv finanziell und trete bald bei den Omas gegen Rechts
       in Ingolstadt auf, weil sie gesellschaftlich wichtige Arbeit machen. „Wie
       soll das mit der wehrhaften Demokratie denn funktionieren, wenn
       Umweltschutzorganisationen oder auch Sportvereine oder Kirchen nicht zu
       Demonstrationen zur Verteidigung der Demokratie und gegen die AfD aufrufen
       dürfen, ohne die Gemeinnützigkeit zu gefährden?“, fragt Polenz.
       
       Die Organisation LobbyControl, die selbst nicht in der Anfrage erwähnt
       wird, verwies darauf, dass auch wirtschaftspolitische Organisationen
       öffentliche Gelder bekommen, die ebenfalls und berechtigterweise politisch
       Stellung nehmen. Dazu zählten etwa der Verband der deutschen
       Automobilwirtschaft, der Deutsche Bauernverband oder die
       Ludwig-Erhardt-Stiftung. „Es ist offensichtlich, dass die CDU/CSU diese
       Akteure nicht ins Visier nimmt, weil deren politische Positionen den
       eigenen näher sind“, kritisierte LobbyControl-Sprecherin Christina
       Deckwirth.
       
       Merz hatte gerade erst auch aus der SPD Kritik auf sich gezogen, als er
       kurz vor der Wahl in einer Wahlkampfrede erklärte, er werde künftig Politik
       machen für eine Mehrheit der Bevölkerung, die noch „alle Tassen im Schrank“
       habe, und [3][nicht „für irgendwelche grünen und linken Spinner auf dieser
       Welt“]. Der gerade wiedergewählte SPD-Abgeordnete Helge Lindh sagte, diese
       Äußerung erscheine nun in einem neuen Licht. „Das wirkt jetzt nicht mehr
       wie ein Ausrutscher, sondern wie ein konzertiertes Vorgehen.“
       
       26 Feb 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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